■ In Polen demonstrieren die Bauern gegen eine verfehlte Politik: Die Gewalt des Marktes
Polen ist in Aufruhr. Zehntausende blockierten gestern Warschau. Sie eint die Wut auf eine Politikergarde, die ganze Bevölkerungsschichten in die Armut absinken läßt, dies achselzuckend als „strukturelle Kosten“ abtut. Die Mitte-rechts-Regierung fängt die sozialen Kosten der Transformation nicht auf. Für Sozialpolitik gibt es nicht einmal ein eigenes Ministerium.
Die polnischen Bauern hat es besonders hart getroffen. Die Öffnung des heimischen Agrarmarktes gegenüber den hoch subventionierten EU-Produkten löste eine tiefe Krise der Landwirtschaft aus. Zudem ließ die Rubelkrise in Russland den Exportmarkt im Osten zusammenbrechen. Kein Wunder, dass die Einkommen der Bauern seit drei Jahren sinken.
Die verzweifelten Bauern wissen sich nun nicht anders zu helfen, als Importgetreide und -gemüse zu vernichten und in auch gewalttätigen Straßenblockaden die Abschottung des eigenen Marktes zu fordern. Das Problem liegt in der Struktur: Die polnische Landwirtschaft müsste sich auf fremde Märkte einstellen und die Produktion der Nachfrage anpassen. Doch dazu fehlte es an allem: an Geld, Ausbildung und politischer Weitsicht.
Schuld an dieser zunehmend instabilen Situation sind alle bisherigen Regierungen seit der Wende. Denn keine wagte es, die notwendige Agrarreform anzupacken, die nicht ohne ein Massensterben von Bauernhöfen über die Bühne gehen würde. Wohin aber sollten die Millionen arbeitsloser Bauern dann gehen? In die Städte? Dort gibt es zwar Arbeit, aber nicht genug Wohnungen. Auf dem Land hingegen fehlt es an allem. Es gibt kein Handwerk, kein Gewerbe, keine weiterführenden Schulen.
So erfüllte bislang jede Regierung die Einkommensforderungen der Bauern, änderte aber nichts an den verkrusteten Strukturen auf dem Land. Die Folge: Trotz der erfüllten Forderungen liegt das durchschnittliche Einkommen auf dem Land heute 40 Prozent unter dem der Städte.
In der EU fürchten die Landwirte die Konkurrenz aus dem Osten. Polen ist der Beitrittskandidat mit dem größten Agrarsektor. Seit Jahren pumpen die EU-Bauern hoch subventionierte Lebensmittel nach Polen und entziehen so ihren polnischen Konkurrenten die Existenzgrundlage. Auch nach seinem Beitritt zur EU soll Polen nicht in den Genuss der EU-üblichen Zuschüsse kommen. Die EU ist daher mit schuld an den sozialen Unruhen in Polen.
Gabriele Lesser
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