■ In Malaysia wird die Wirtschaftskrise den Machtkampf entscheiden: Mahathirs Pyrrhussieg
In Kuala Lumpur sind die massiven öffentlichen Proteste nach der Verhaftung des entlassenen Vizepremiers Anwar Ibrahim vorerst unterdrückt. Die Regierung hat unter Rückgriff auf die drakonischen Sicherheitsgesetze aus der Kolonialzeit den ungewohnten Protest auf der Straße brutal abgewürgt und weitere Kundgebungen verboten. Anwar wurde als neuer Staatsfeind Nummer eins ohne Anklage für unbestimmte Zeit an unbekanntem Ort weggeschlossen. Seiner Frau droht das gleiche Schicksal, sollte sie seine Rolle als Herausforderer des seit 17 Jahren autokratisch regierenden Premierministers Mahathir Mohamad fortsetzen wollen. Der bisher zwar schrille, aber dennoch erfolgreiche Modernisierer Mahathir hat mit der Verhaftung des als liberal geltenden Anwars seine Maske fallen lassen und sein wahres Gesicht als Despot gezeigt. Der 72jährige konzentriert jetzt in seiner gleichzeitigen Funktion als Ministerpräsident, Innen- und Finanzminister eine bis dahin in Malaysia unbekannte Machtfülle.
Mahathir hat die erste Runde im Machtkampf gewonnen. Doch dies könnte sich als Pyrrhussieg erweisen. Denn gefährlicher als Anwar könnte für Mahathir die wirtschaftliche Entwicklung Malaysias sein. Eine Lösung oder das Fortbestehen der schweren Wirtschafts- und Finanzkrise wird darüber entscheiden, ob die von Mahathir nach Anwars Absetzung verhängten restriktiven Wirtschaftsmaßnahmen greifen oder ob eine Fortsetzung der wirtschaftsliberalen Politik des Ex-Finanzministers Anwar nicht doch erfolgversprechender gewesen wäre.
Solange die Wirtschaft boomte, haben viele Malaysier Mahathirs autoritären Führungsstil und die von ihm vertretene Ideologie „asiatischer Werte“ akzeptiert. Doch mit der Asienkrise kam es zum Streit über die Verteilung der Lasten. Nach dem Sturz Suhartos im benachbarten Indonesien kam es zwischen Mahathir und Anwar zum Machtkampf. Im Gegensatz zu Suharto, der bewußt nie einen Nachfolger aufbaute, bewies Mahathir mit der frühzeitigen Kür Anwars zu seinem politischen Erben Weitsicht. Doch mit dessen Sturz demontierte Mahathir nicht nur seine eigene Politik. Vielmehr baute er mit Anwars Verhaftung auch noch einen prominenten Märtyrer und damit potentiellen Oppositionsführer auf. Glaubt man der Mehrheit der Ökonomen, die zwar Mahathirs bisherige Einschränkung politischer Rechte akzeptierten, werden sich die von ihm verhängten wirtschaft- und finanzpolitischen Restriktionen nach einem kurzen konjunkturellen Strohfeuer bald bitter rächen. Dies dürfte Mahathirs politische Karriere dann auch unabhängig von Anwar beenden. Sven Hansen
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