: In Honeckers Sonderzug
■ „Botschaften des Humors“ — skurrile Eisenbahnfahrten
Potsdam. Mit roter Reichsbahn- Schirmmütze auf dem Haar und grüner Kelle in der Hand gab Berlins Parlamentspräsidentin Laurien den Startschuß: Um Punkt 10.58 Uhr verließ der Regierungssonderzug der ehemaligen DDR am Montag den Bahnhof Berlin-Alexanderplatz zu einer Jungfernfahrt. Der Berliner Karikaturistenverein „Die Spitze“ geht mit ihm im nächsten Jahr auf Europatournee. Das gleichnamige Stammlokal der Karikaturisten in der Lietzenburger Straße, seit Ende der sechziger Jahre feuchtfröhlicher Treffpunkt der Berliner Künstler- und Prominentenszene, hat der Verein verlassen. Es war „nicht mehr unser 'Milljöh‘“, meinte Larl, „wir wollen nach der Renovierung im Roten Rathaus eine angemessene Heimstatt finden“. Bis dahin wollen sich die fünf Karikaturisten Arne, Hans- Joachim Stenzel, Dieter Herbst, Horst von Möllendorff und Larl, mit Honeckers Sonderzug durch die Lande schaukeln lassen und den deutschen „Humor eines eingefrorenen Wasserflohs“ erst mal zum Auftauen bringen. Ihre Botschaft: „Mit Honecker und Tisch gabs nichts zu lachen. Wir nehmen den Spaß an der Freude ernst“. An den gelben Teppichen erkenne man, so Schlafwagenschaffner Frank Teuschert, daß man sich in den Gemächern der ehemaligen DDR-Führungskader befindet. Für den kränkelnden Ex-Staatsratsvorsitzenden Ulbricht wurden in den Endsechzigern die 36 Luxuswaggons gebaut. Ulbricht durfte nämlich, schon damals rund 70 Jahre alt, nicht mehr fliegen, sollte aber standesgemäß durch die Lande transportiert werden, sagte der Schaffner. Mit dem Charme des DDR-Wohnkomforts der Endsechziger wurden denn in hierarchischer Abstufung die Waggons angefertigt. Während das Begleitpersonal in Mehrbettabteilen schlummern durfte, ließ sich Ulbricht in einem Bett nieder, das einzig für ihn längs zur Fahrt hingestellt wurde. Neben dem Salon mit Plüschsessel und Furnierschreibtisch führte eine zweite Tür zum Bad: Auf gräulichem Mosaikboden die bescheidene „Naßzelle“, ein Doppelwaschbecken aus weißer Plaste ergänzt die optische Harmonie. Ulbricht-Nachfolger Honecker, habe, so versichert der seit über 30 Jahren im Dienst stehende Teuschert, den Zug nur einmal im Jahr benutzt. Gesehen habe das Reichsbahn-Personal die Politprominenz nie. dpa
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