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■ In Göttingen eskaliert der Streit um die Pille für Tauben„Wem sagt's der Vogel?“

Göttingen (taz) – Keine Frage, Stadttauben sind nervige Tiere. Sie scheißen Kirchen und Mauern voll, erschrecken alte Damen und sollen sogar Krankheiten übertragen. In Göttingen, wo sich die 700 geschätzten Vögel am liebsten auf den Zinnen des historischen Rathauses und in den Stadtbrunnen tummeln, will die Verwaltung den Viechern nun zu Leibe rücken. Mit Stimmenmehrheit von SPD und CDU beschloß der Rat kürzlich ein mehrgleisiges Konzept, um die Taubenpopulation deutlich zu reduzieren.

Das Programm sieht vor, das Nahrungsangebot für die Tauben erheblich zu reduzieren, ihre Brut- und Schlafplätze auf Dachböden und an Fassaden dichtzumachen sowie die befruchteten Eier durch Attrappen aus Gips zu ersetzen. Außerdem sollen, um die Täubinnen unfruchtbar zu machen, erbsengroße Hormonpillen als Ovulationshemmer ins Futter gemischt werden.

Ein entsprechendes Präparat namens „Xenosterin“ hat die Tierärztliche Hochschule Hannover nach eigenen Angaben bereits erfolgreich getestet. Gegen das Vorhaben haben Natur- und Lebensschützer Protest angemeldet. Der Naturschutzbund (Nabu) und das Vogelschutz-Komitee befürchten durch die „Tauben-Pille“ Qualen für die Vögel und erhebliche Gefahren für die Umwelt. Schon die Aufnahme einer einzigen Tablette lassen den Hormonsspiegel im Blut einer Taube „unnatürlich hoch ansteigen“, meint etwa der Präsident des Vogelschutz-Komitees, Dr. Eberhard Schneider. Da die Dosierung nicht „punktgenau“ auf jedes Tier eingestellt werden könne, sei es möglich, daß manche Tauben gleich mehrere Pillen fräßen und dann unter um so gravierenderen Nebenwirkungen litten.

„Wenn sich die Tauben nach der Pille so fühlen wie ich, dann ist das in der Tat Tierquälerei“, zitiert Schneider eine Frau, die die Anti- Baby-Pille nicht verträgt. Frauen könnten ihr Unwohlsein immerhin artikulieren und die Pille gegebenenfalls absetzen, doch „wem sagt die Taube, ob ihr das Präparat bekommt?“ Eigene Beobachtungen von Tauben, die zu Testzwecken bereits eine Pille intus gehabt hätten, lassen Schneider jedenfalls nichts Gutes ahnen: „Die saßen da mit gesträubtem Gefieder, was ein deutliches Zeichen für Unwohlsein bei einem Vogel ist“.

Andere Vogelarten, die sich an dem Taubenfutter gütlich täten, seien denselben gesundheitlichen Risiken ausgesetzt, argumentieren die Umweltschützer. Auch Tiere, die sich wie Falke und Sperber, Hund und Habicht, bisweilen von Tauben ernährten, bekämen „die Dosis ihrer Beute zugeführt“. Nabu und Vogelschutz-Komitee hinterfragen gleichzeitig das „Klima der Ablehnung“ und die „Hetzkampagne“ gegenüber diesen „wirklich harmlosen und liebenswerten Vögeln“.

Rückendeckung haben die Taubenfreunde durch ein Gutachten des in Berlin ansässigen Bundesinstitutes für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BGVV) erhalten. Weil die Wirksamkeit und Verträglichkeit des Präparates nicht erwiesen sei und seine Unbedenklichkeit für andere Lebewesen in Zweifel stehe, hatte das Institut Mitte Januar Xenosterin die Zulassung als Tierarznei versagt. Die Herstellerfirma erwägt deshalb bereits, die Pille unter dem neuen Namen „Fertilstop 99“ als Schädlingsbekämpfungsmittel auf den Markt zu bringen.

Wie auch immer – die Pillengegner wollen Rechtsmittel gegen den Göttinger Ratsbeschluß einlegen. Man habe bereits einen Anwalt mit der Prüfung juristischer Schritte gegen die Stadtverwaltung beauftragt, so Nabu-Sprecher Manfred Waldschmidt. Dabei komme sowohl eine Klage vor dem Verwaltungsgericht als auch eine Strafanzeige wegen Tierquälerei in Betracht. Reimar Paul

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