Christoph Biermann: In Fußballand
■ Wer ist der Fan? Er ist der Doofe. Er stinkt nach Cola. Er ist ein Zombie.
Wenn Prof. Fritz Scherer, der Vizepräsident des FC Bayern München, über Fußballfans redet, ist er voll der Begeisterung. Selbstverständlich besonders angesichts der Fans des FC Bayern. Gerade die Treuesten der Treuen haben es ihm angetan, die in der Südkurve des Olympiastadions stehen, für Stimmung sorgen und ihrem Team auch in schlechten Zeiten beistehen. Wobei sich Anhänger anderer Klubs die schlechten Zeiten der Bayern als die guten ihres Vereins wünschen würden, aber das ist eine andere Geschichte.
Wenn es also um Fans geht, ist bei Prof. Scherer echte Emphase zu spüren. Fans findet der Chef der FC Bayern Sport-Werbe GmbH toll. Und das leuchtet auch ein, denn so eine Kundschaft wünscht sich doch jeder Unternehmer. Herr Scherer ist Entrepreneur zwar nicht im engeren Sinne, dafür allerdings richtiger Wirtschaftsprofessor, er kennt sich also aus mit der Ökonomie.
Da ist es herauszufinden auch nicht schwer, was man der Fan- Kundschaft alles verkaufen kann: Schals und Trikots, VIP-Karten, Fernseh-Decoder oder Gartengrills und Kaffeemaschinen mit Vereinsemblem.
Das hätte man damals nicht gedacht, als Fan noch streng nach Problemen roch, nach zerschlagenen Flaschen, verwüsteten Straßenbahnen und gebrochenen Nasenbeinen. Der Fan war damals noch nicht als Kunde entdeckt. Dabei hätte auch, sagen wir 1979 oder 1989, niemand im Stadion etwas gegen benutzbare Toiletten, genießbares Essen, höfliche Ordner oder ein Dach über dem Kopf einzuwenden gehabt.
Nicht, daß wir alle nach Merchandising geschrieen hätten, aber einen Schal in den Farben des Vereins gab es damals, jedenfalls 1979, nicht, außer Mutter, Freundin oder man selbst machte sich an die Arbeit.
Man könnte noch an mancherlei erschütternde Mißstände der schlechten alten Zeit erinnern, aber die gibt es dank Prof. Scherer und der anderen Kräfte des Fortschritts nicht mehr. Jedenfalls, solange man keine übertrieben Reinlichkeitsvorstellungen hat und einen widerstandsfähigen Magen. Heutzutage wird man als Fan auch nicht mehr schlecht behandelt (außer man reist mit seinen Klubs ins Münchner Olympiastadion, aber auch das ist eine andere Geschichte). Ein bißchen Verlust ist allerdings trotzdem dabei, obwohl man als Fan vom Problemfall zur Stammkundschaft aufgestiegen ist.
Ich etwa will nicht mehr Fan sein. Und gesteht mir heute jemand seine Liebe zu einem Fußballklub, mag ich es nicht hören. Inzwischen haben doch selbst die größten Langweiler ihre kleine Obsessionsgeschichte über Fußball zu erzählen.
Vor einigen Jahren wären sie noch peinlich unter Verschluß gehalten worden, jetzt versucht jeder seinen persönlichen Remix von Nick Hornby und Fever Pitch. 1979ff wurden nur die Doofen Fußballfans, und die brauchten dafür keine Begründung. Beim kleinen Rest wehte ein Hauch von Subversion. (Jaja, nur ein Hauch.) Trotzig zu einem Verein zu stehen provozierte als wunderbar sinnlose Geste mittelständische Sinnverwalter, die sinnvolles Verhalten einfordern wollten. Sogar Ewald Lienen gehörte zu denen, schrieb keine Autogramme und demonstrierte gegen Berufsverbote.
Heute aber sind derart Sinnverweigerungen längst reaktionär, und der einst wunderbare Irrationalismus von Fußballfans ist industrialisiert. Die Klubs fordern ihn von ihrem Publikum ein, der Treueschwur kann an der Kasse geleistet werden. Ansonsten darf jeder Fußball schlafen und Fußball essen, solange nur Coca-Cola dazu getrunken wird. So hat sich der Kreis geschlossen, und inzwischen sind wieder die Doofen die Fußballfans – nur gibt es keine anderen mehr.
Fan ist ein totes Wort und führt eine zombiehafte Existenz in Fan-Artikel, Fan-Kataloge und Fan-TV. Das Dasein als Fan ist zu einer endgültig trostlose Existenzform geworden. Aber was ist, wenn man das alles weiß und trotzdem Fan ist? Dann hat man ein Problem, das doch besser Prof. Scherer hätte.
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