"In Extremo" in Rumänien: Voll verschimmelt

Bei uns ist die Metal-Mittelalterband In Extremo schon erfolgreich. Nun soll auch Rumänien erobert werden - mit Dudelsack und buntem Feuerwerk.

Metal-Mittelalterlärm oder Musik? Bild: dpa

SIBIU taz Kaum eine halbe Stunde vor dem Auftritt beginnt die Verwandlung. André Strugala stülpt sich eine Strickmütze über und wird zum Harfenspieler "Dr. Pymonte", Reiner Morgenroth mutiert mithilfe eines schwarzbraunen Rocks zum Schlagwerker "Der Morgenstern" und dank einer aufwändig geschnürten Lederhose wird aus Boris Pfeiffer der Dudelsack-Artist "Yellow Pfeiffer". Nur "Das letzte Einhorn" hat noch Probleme mit der Metamorphose: "Knüppelhart, die Scheiße", brüllt Sänger Michael Rhein, als er versucht, seine schwarz-rote Ritterjoppe anzulegen, "und voll verschimmelt."

Die siebenköpfige Band wurde 1995 gegründet. Sie verbindet Dudelsäcke mit E-Gitarren, benutzt auch unkonventionelle Instrumente aus dem Mittelalter. Zusammen ergibt sich eine Mischung aus Metall- und Mittelaltersound. In Extremos bisher erfolgreichstes Album, Saengerkrieg, stand im Mai 2008 auf Platz eins der deutschen Album-Charts. Die Band war bisher dreimal für den Musikpreis Echo nominiert, hat aber noch nie gewonnen. Gastsänger war unter anderem Paddy Kelly.

Andere Bands ähnlicher musikalischer Prägung sind Subway to Sally, Schandmaul und Tanzwut. Ougenweide gilt als Pionier dieser Musikrichtung.

Das passt. Denn In Extremo sind nicht nur Deutschlands erfolgreichste Mittelalterband, sie spielen heute nicht nur vor mittelalterlicher Kulisse in der historischen Altstadt von Sibiu und eröffnen einen demnächst hier beginnenden Mittelaltermarkt. Böswillig könnte man sagen: Nun riecht die Band endlich auch authentisch.

Das Publikum allerdings ist aus anderen Gründen gekommen. Überall in der europäischen Kulturhauptstadt des Jahres 2007 hängende Plakate preisen In Extremo als "renumitul grup de rock medieval din germania". Diese "berühmte Mittelalterrockgruppe aus Deutschland" hat in ihrer Heimat unlängst die noch berühmtere Kollegin Madonna von der Spitze der Albumcharts verdrängt. Die Nummer eins für "Saengerkrieg", ihr neuntes Album, das war auch eine Genugtuung für die Band aus Berlin.

Denn trotz aller Erfolge: Im heimischen Deutschland wird der Versuch von In Extremo, Metal und Mittelalter zusammenzudenken, immer noch belächelt. Der Aufstieg der siebenköpfigen Spielmanns- und Gauklertruppe von der Mittelaltermarktbelustigung zur kommerziell erfolgreichen Rockband wurde vom seriösen Feuilleton bestenfalls belustigt zur Kenntnis genommen. Nur langsam beginnt der Prophet auch im eigenen Land etwas zu gelten. Von deutschen Radiosendern aber werden sie immer noch weitgehend ignoriert.

In Sibiu interessiert das niemanden. In Sibiu sind In Extremo sowieso unbekannt. Auf dem Weg vom Flughafen ins Hotel dröhnen aus dem Taxiradio zwar die Scorpions, aber von In Extremo ist hier noch keine einzige Platte erschienen. Dieser Auftritt ist ihr erster in Rumänien. Dafür aber werden sie am Flughafen von Sibiu empfangen von Konsul Olaf Reif. Der Diplomat vertritt die Bundesrepublik Deutschland in der größten Stadt Transsilvaniens. Heute trägt er unter dem Kordjackett ein In-Extremo-T-Shirt und sagt: "Wir wollen was für Hermannstadt tun."

Hermannstadt, das ist der deutsche Name von Sibiu. Die Siebenbürger Sachsen haben die Stadt vor achthundert Jahren gegründet, heute hat sie einen deutschstämmigen Bürgermeister und sich herausgeputzt. Durch die adrett renovierten Altstadtgassen der europäischen Kulturhauptstadt 2007 patrouillieren stets pärchenweise Polizisten. Die jungen Menschen in den Cafés schlürfen Espresso von Lavazza, an der Ecke bietet Vodafone seine Dienstleistungen an. Die Banca Transilvania wirbt mit Krediten zu 5,55 Prozent Zinsen. Das Armenhaus Europas scheint weit weg. Lediglich zwei bettelnde Straßenkinder haben es geschafft, in die Touristenidylle vorzudringen. Einer der Jungen trägt ein verdrecktes T-Shirt mit dem Aufdruck: "DDR-Elitetruppe".

Am Abend zuvor hatte der Konsul zur Gartenparty gebeten, deftiges Essen und selbst gebrannten Pflaumenschnaps serviert und den halben Stadtrat eingeladen. "Wir sind die Verrückten, die mit den Dudelsäcken kommen", schätzt Gitarrist Sebastian Lange die Außenwirkung seiner Band ein. Konsul Olaf sieht das anders: "Man pflegt hier ein sehr traditionelles Deutschlandbild. Deswegen passen In Extremo gut hierher."

Tatsächlich sind In Extremo längst so etwas wie Kulturbotschafter geworden. Es gibt nicht viele Bands, die im Ausland erfolgreicher sind als sie. Ihre Songs, in denen knarzender Hardrock und mittelalterliche Instrumente eine nicht immer glückliche Verbindung mit Texten von Villon oder auch Goethe eingehen, haben sie schon gespielt in England und Dänemark, in den USA und Spanien, Frankreich, Finnland und den Niederlanden. Nächste Woche geht es wieder mal nach Russland. Dort hat man ungefähr eine Million CDs verkauft - alles Schwarzpressungen allerdings. "In Chile oder Argentinien", schwärmt Sänger Michael Rhein, "da singen 2.000 Leute jedes Wort mit - ob auf Deutsch oder Latein". In Mexiko gibt es sogar ganze Zeilen von Merchandising-Ständen, an denen illegal produzierte Korkenzieher oder Aschenbecher mit In-Extremo-Logo feilgeboten werden. Seitdem besitzt Rhein einen Satz Schnapsgläser mit dem eigenen Abbild.

Diese sagenhafte Erfolgsgeschichte begann auf Mittelaltermärkten. Ganz traditionell schneiderte man die historischen Kostüme selbst und trug Traditionelles zu Dudelsack und Drehleier vor. Irgendwann begann man größere Dudelsäcke zu bauen, um das Geklapper des benachbarten Hufschmieds übertönen zu können. Dass sie dann mit ebendiesen Dudelsäcken "We Will Rock You" nachspielten, war schon nicht mehr so gern gesehen. Die Aufstockung mit E-Gitarre, Bass und Schlagzeug zur Rockband rief dann die Wächter der vermeintlichen Authentizität auf den Plan.

In Extremo wars egal. Sie hatten den Mittelalterrock erfunden. Eine, wie sich mittlerweile herausgestellt hat, einträgliche Eingebung. Denn seitdem bedient die Band mit ihrem geschmeidigen Amalgam aus historisch gefärbtem Eskapismus und gut verdaulicher Provokation überaus erfolgreich die Bedürfnisse einer Klientel, die einfach gut unterhalten werden will und sich nicht darum scheren mag, ob die gammelige Mönchskutte mit einem historisch korrekten Knoten verschnürt ist. Geben In Extremo der Verdrossenheit mit der Moderne eine Stimme? "Auf jeden Fall", sagt Dudelsackspieler Pfeiffer. Ihr Erfolg ist der Beweis dafür, dass die Mittelalterszene, vormals ein Auffangbecken für frustrierte Punks, gescheiterte Hausbesetzer und enttäuschte DDR-Dissidenten, im Mainstream angekommen ist.

Dazu beigetragen hat das mittlerweile legendäre Bühnengebaren der Band. Von dem können sich nun auch die Hermannstädter überzeugen lassen. Das Getöse, das In Extremo für schwarz gewandete Metal-Kids und ein paar versprengte Grufties, aber auch viele Familien veranstalten, ist ganz enorm. Was auf Studioaufnahmen oft klingt, als gehöre es nicht zusammen, entfaltet auf der Bühne eine erstaunliche Kraft. Die schweren Metal-Gitarren wirken nicht mehr wie ein Fremdkörper im infernalischen Gepfeife der bis zu drei Dudelsäcke, das düstere Gehabe wird mit einem augenscheinlichen Augenzwinkern vorgetragen.

Dass sich aber der überdimensionierte Platz im Laufe des Auftritts doch noch angemessen füllt, haben In Extremo vor allem Jens Parschat und Christoph Peischker zu verdanken. Die beiden tragen die Spitznamen "Pumpe" und "Stickstoff" und sind die Pyrotechniker der Band. Unter ihrer Regie wird ein schlichtes Rockkonzert zum Spektakel. Im Rhythmus steigen Feuerfontänen auf und Explosionen lassen das Publikum zusammenzucken. "Ein guter Straßengaukler muss die Leute festhalten", sagt Pfeiffer, "und die Pyrotechnik ist ein guter Effekt, um aufzufallen", ergänzt sein Kollege Marco Zorzytzky alias "Flex der Biegsame". Die früher regelmäßigen Einlagen von Sänger Micha Rhein als Feuerschlucker sind zwar selten geworden, aber die Feuerwehr von Sibiu hat trotzdem vorsichtshalber einen Löschzug entsandt.

Der wird nicht eingreifen müssen. Aber auch so verschwindet die Band immer wieder in den dicken Schwaden der Nebelmaschine. Schließlich steht zumindest das Schlagzeug in Flammen, "Pumpe" und "Stickstoff" greifen noch mal in die Trickkiste, vor der Bühne schüttelt Konsul Olaf begeistert den Kopf, die Dudelsäcke jubilieren und Sänger Rhein geht im blauen Glitterregen theatralisch auf die Knie. In Extremo sind angekommen in Rumänien und haben ein paar hundert Menschen von sich überzeugt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.