: Improvisieren im Dunkeln
In die guten Jazzclubs der Stadt muß man hinabsteigen wie in Bergwerke. Der Jazzkeller im Parkhaus ist ein solcher Stollen des Free Jazz und des Blues ■ Von Rolf Lautenschläger
Jazz ist eine Musik, die zumeist unter der Erdoberfläche gedeiht. Man muß sich tief hinab in Keller ducken, um sie zu finden. Jazzclubs liegen versteckt, eher im Windschatten dröhnender Rock- oder Techno-Kultur. Dort lebt die Musik, hier hat sie ihr Publikum, das Tuchfühlung und das freie Spiel der Klänge liebt. „Zum Jazz“, bemerkte einmal der Musikexperte Wolfgang Sandner, „muß man sich noch immer durchwühlen, ihn wie Goldadern in den Geröllmassen des Pop ausfindig machen und mit Schwerstarbeit abbauen.“ Jazzer seien Einzelkämpfer an dunklen Orten, die Zuhörer benötigten Kennerschaft, die Musiker, den Sound und die Atmosphäre zu entschlüsseln.
In die guten Jazzclubs der Hauptstadt geht es unter die Oberfläche – ins Souterrain also. In den Jazzkeller steigt man hinab, der Franz-Klub oder das Flöz gleichen Katakomben – sind nicht so schick wie das A-Trane und der Badensche Hof. Der Charme des Experiments bei der Ausstattung, der Werkstattcharakter in der Tiefe bilden Spiegelungen der Musik, der Jazzsubkultur.
Authentizität in der Atmosphäre hat sich bis heute der Jazzclub im Parkhaus in der Ostberliner Puschkinallee bewahrt. Während die neue Jazzfront in die Klubs nach Prenzlauer Berg pilgert, pflegt man man hier den improvisierten Kellermuff, die alte Welt des Jazz – und bleibt dabei avantgardistisch.
Wer die Stufen in den Klub hinuntersteigt, muß sich ducken. Ein Tischchen an der Tür dient als Kassenloge. Drinnen, im ewig nikotingeschwängerten Raum, stehen ein paar Stuhlreihen um eine kleine Bühne, auf der die unvermeidlichen Teppiche des Sperrmülls liegen. Kabel hängen von der Decke, Boxen balancieren übereinander, Mikrofon- und Notenständer türmen sich, Entwässerungsrohre halten Scheinwerfer. Im rückwärtigen Dunkel des Jazzkellers wartet eine Bar auf Durstige. Alte Hocker vor abgeschabten Wänden stehen wie Requisiten einer längst vergangenen Zeit in dem Ambiente.
Das Parkhaus gehört zu den ältesten und zugleich innovativsten Jazzclubs im Osten der Stadt. Verändert hat sich seit dem Fall der Mauer zwar nicht die Einrichtung des 1969 gegründeten Szenetreffs. Musikalisch brachte der Fall der Mauer aber einige Unruhe ins Parkhaus. Gleich nach der Wende hätten die im Westteil der Stadt musizierenden Jazzer sich bemüht, dem Klub ihren Ton aufzuzwingen, so Wolf Glöde, Vereinsvorsitzender im Parkhaus. Glöde: „Die haben mit ihrem Mainstream-Gedudel den Laden leergespielt. Wir aber wollten als Jazzfans die DDR- Jazz-Traditionen fortschreiben.“
Daß dies fast in die Hose ging, die Zuschüsse kaum ausreichten und der Jazzkeller 1994 in große Nöte kam, konnte abgefangen werden mit einer Jazzreihe, die donnerstags und freitags über die Bühne geht. Außerdem holt man sich den Blues sowie Nachwuchsjazzer der Berliner Szene auf die Bühne, wie Maria Baptist. Und feine US-Boys, die sonst im Quasimodo auftreten, läßt man auch aufspielen, wie den Bassisten David Friesen.
Die große Liebe der Parkhaus- Fans bleibt jedoch in hohem Maße der Free Jazz der DDR, „auch wenn wir kein Stammpublikum mehr haben“, wie Glöde sagt. Ausverkauft aber war der Laden, als jüngst die einstige Ostcreme des Free Jazz, die Gruppe Synopsis alias Zentralquartett, auftrat.
Die vom Beat und unbändiger musikalischer Exerimentierlust beeinflußten Altjazzer Ernst-Ludwig Petrowsky (sax), Ulrich Gumpert (pos), Klaus Koch (baß) und Günter „Baby“ Sommer (drums) takteten sich durch die Spuren einer neuen Musik, der freien Improvisation und des alten Rock- Jazz, daß einigen der mitswingenden Ostbärte warm uns Herz wurde.
Es war, wie es sein mußte. Die Musiker kamen zu spät, bauten dann erst auf, kippten Bier, frotzelten mit sich und dem Publikum, machten viele Pausen und spielten den freien Jazz – ganz ernst und wunderschön.
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