: Immer mehr Menschen wollen Stroh aufs Dach
Uralte Bedachung wird immer beliebter / Reet sorgt für gutes Klima im Haus: Im Winter muckelig warm, im Sommer erfrischend kühl / Bei guter Pflege hält das getrocknete Schilf 50 Jahre / Das Material kommt neuerdings auch aus der Ukraine
Dem sichtbar betagten Reetdach einer 166 Jahre alten Fachwerkkate in Rohstorf bei Lüneburg haben die Winterstürme sichtbar zu schaffen gemacht, ein Fall für Jürgen Klevesath. Der gelernte Tischler betreibt seit 18 Jahren seinen eigenen Fachbetrieb für Stroh- und Reetdachdeckerei in Handorf.
Von Dachlatte zu Dachlatte arbeitet er sich mit seinem Gesellen vor. Ein Reetbund nach dem anderen lösen sie auf und legen es seitlich an das schon gebundene Reet an. Den Bindedraht führt Klevesath mit einer langen gebogenen Nadel unter das Dach und mit einer Hakennadel holt er ihn an anderer Stelle wieder hervor. „Der Unternäher sitzt dann unterm Dach und gibt die Nadel zurück“, sagt der Dachdecker. Das sei bei modernen ausgebauten Dächern gar nicht mehr möglich.
Wo die Bauern früher einheimisches Stroh verwendeten, kauft man heute getrockneteSchilfhalme aus Ungarn, Rumänien, Österreich, der Türkei, Polen und seit kurzem aus der Ukraine.
Obwohl der Preis für ein Reetdach etwa doppelt so hoch ist wie der für ein hartgedecktes Dach, sei der Reetdachbau seit etwa 15 Jahren im Aufwind, sagt Horst Oellrich, Chef der Dachdecker-Innung in Stade. Ein besseres Wohnklima wird den Kunden gleich mitgeliefert. „Im Sommer hält es kühl, im Winter warm. Es kommt zwar nicht dem Energiesparhaus gleich. Doch um den gleichen Wärmeaustausch und die gleiche Isolierung wie ein 40 Zentimeter starkes Reetdach zu erreichen, müsste man ein 80 Zentimeter dickes Mauerwerk mit Hohlschicht bauen“, sagt Klevesath.
Die mittlerweile etwa 180 norddeutschen Fachbetriebe sind auch mit der Pflege der Reetdächer beschäftigt. Das goldgelbe Stroh vergraut nicht nur schnell unter Sonne und Regen, sondern braucht regelmäßige Pflege. „Nach 15 bis 20 Jahren muss so ein Dach gereinigt und vom Moos befreit werden“, sagt Hans Wilhelm Raap, von der Innung Stade. Im Firstbereich stehe dann meistens auch eine erste Erneuerung an. So könne ein Reetdach gut 50 Jahre halten. Raap führt im Raum Stade den einzigen Ausbildungsbetrieb für Reetdachdecker. Karin Ridegh
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