: Im kalten Licht der Bühne
■ Stimme aus dem Niemandsland zwischen Bürgerschreck und Feuilleton: Kathy Acker, New Yorker Punk-Literatin und eigenwillige Feministin, starb 53jährig in Kalifornien an Krebs
Vor zehn Jahren stand Kathy Acker in Frankfurt auf einer großen Bühne. Auf einer zu großen Bühne. Deshalb bat sie darum, daß für sie noch mittels einiger Hebeplattformen ein kleineres Proszenium gebaut werde. Am Abend sah man sie dort, beleuchtet von einem Spot in einem großen Saal. Sie las. Ich erinnere mich nicht an den Text, nur an den Eindruck, den die Frau auf diesem Festival für experimentelle Literatur hinterlassen hat. Die extra herangeschaffte Bühne, die sie sich ausbat, war allerdings keine Extravaganz. Zwischen Leuten wie Jürgen Ploog, John Garland, John Cage und Oskar Pastior, die an diesem Abend lasen, schuf Kathy Acker einen Raum, um sich und ihre Texte zu präsentieren. Nicht um sich herauszuheben, sondern um nicht unterzugehen als Quotenfrau in einem männlich geprägten Genre.
Das konnte sie. Damit spielte sie, und genau das forcierte sie. Kathy Acker verlangte ein kaltes, weißes Licht auf ihrem grell geschminkten Mund, ihre verdunkelten Augen, dem tiefschwarzen Haar und dem knallengen Kostüm. Sie wußte, daß allen die Spucke wegbleibt, wenn sie in dieses kalte Licht tritt, und sie wußte, daß alle ihren Auftritt mit den schockierenden Beschreibungen von Körperflüssigkeiten und zerhackten Geschlechtsteilen kurzschließen würden. Womit aber niemand gerechnet hatte, war ihre Stimme. Denn die war leise, nicht auftrumpfend. In ihrem Klang und im langsamen Fortschreiten im Text zeigte sich subkutan der Bruch, den Kathy Acker so wirksam zu inszenieren wußte. Das waren die Achtziger.
Rollenmodell war sie trotzdem nie. Sie tauchte in New-Wave-Zeiten auf, und in ihren Texten klang ein von Punk geläuterter Rückgriff auf die sechziger Jahre durch. Cut up hatte sie intus, machte aber kein großes Thema daraus. Sie begleitete das hehre Verfahren mit drei schlecht beherrschten Slangakkorden. Denn Technik ist was für Jungs. Die zertrümmerte Syntax entdeckte sie als eine der ersten, um so etwas wie „weibliche Identität“ zu formulieren. Und das nicht versteckt in der Küche oder halb wahnsinnig als Ehefrau. Offensiv, vorne, im kalten, klaren Licht, wo jeder sie sehen muß, wo jeder alles erkennen kann.
Das kam nicht richtig durch. Vielleicht waren ihre Rückgriffe auf abgehangene Literaturgeschichte, die sie als ein Umschreiben des männlichen Bildungsromans verstand, zu highbrow; vielleicht war ihre Kombination von Gattungen und Genres innerhalb eines Buches, ihr Umschalten zwischen Poem und Einakter zum Beispiel, zu nah an etablierter Avantgarde, als daß sie in einem popkulturellem Kontext wirklich aktuell hätte werden können. Sie sah zwar aus wie Lydia Lunch, aber sie war es schließlich nicht, die mit Sonic Youth Platten aufnahm. Ohne Anschluß gelangte sie in ein Niemandsland zwischen Feuilleton und Bürgerschreck. Von ihren Büchern (auf deutsch u.a.: „Meine Mutter: Dämonologie“; „Pussy, König der Piraten“, beide Maas Verlag, Berlin) bleibt vorerst die Nachricht, daß einige davon auf den Index kamen. An der Uni werden sie inzwischen mit denen von Elfriede Jelinek verglichen (was durchaus interessant sein kann), in Bohemia stellt sie niemand in eine Reihe mit Courtney Love oder P.J. Harvey (was durchaus traurig ist).
Kathy Acker war ihre eigene Generation, und ihr expliziter Feminismus blieb unter sich. In den letzten Jahren nahm sie aber Anschluß an dessen überlieferter Geschichte. Ihre Krebserkrankung machte sie, wann immer sie konnte, öffentlich und stellte sich damit in eine Tradition, in der zum Beispiel Yvonne Rainer angeblich biologische Prozesse wie die Menopause im Verhältnis der Geschlechter als politische thematisiert. Darauf bezogen ist Kathy Ackers Beschreibung ihrer Wahl zwischen den Alternativen, sich einer Chemotherapie zu unterziehen oder sich beide Brüste amputieren zu lassen. Die Krankheit, von der zuletzt auch ihre Leber und die Lymphe betroffen waren, ist auch Thema ihrer letzten literarischen Arbeit, dem Libretto zu der Oper „Requiem“, die im nächsten Frühling uraufgeführt wird. In der Nacht zum vergangenen Montag starb Kathy Acker im Alter von 53 Jahren in einer Klinik in Tijuana, Kalifornien. Martin Pesch
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