Uli Hannemann Liebling der Massen: Im Zwergheim
Es ist beunruhigend. Fast täglich scheint zurzeit von morgens bis abends die Sonne. Noch beunruhigender wäre nur, wenn sie von abends bis morgens schiene. Mit einem strahlenden Lächeln boxt uns der Klimawandel mitten ins Gesicht.
Der menschliche Organismus tilt wie ein Flipperautomat. Die schlechte Laune ist völlig durcheinandergeraten und damit auch der Lebensrhythmus. Das Resignationsenzym Frustrin, das einen bei bedecktem Himmel erholsam in den Vormittag hineinschlummern lässt, wird bei diesem Sonnenamok nicht mehr ausreichend gebildet. Unruhe macht sich breit und Schlaflosigkeit. Der Mensch (oder eben ich) steht auf.
Gut ist das nicht. Viele Menschen begehen schwere oder schwerste Straftaten zu Tageszeiten, an denen sie normalerweise friedlich in die Kissen sabbern würden. Stichwort „Kriminelle Bettflucht“. Andere nutzen die frühe Stunde, um die Umwelt intensiv zu schädigen, indem sie sämtliche Verbraucher einschalten: Toaster, Wasserkocher, Küchenradio. In der Folge wandelt sich das Klima noch mehr, die Sonne hört überhaupt nicht mehr auf zu scheinen, keiner geht mehr ins Bett, auch die Kinder nicht – ein Teufelskreis.
Aber natürlich schlägt der smarte Körper schnell zurück. Er lässt sich nicht überlisten, lässt es sich nicht gefallen, bereits um acht Uhr morgens hochkant hingestellt zu werden wie ein frisch gelieferter Schlafzimmerschrank. Er wehrt sich. Ich drossle den Kreislauf und lasse mich sinken wie ein U-Boot, das dem über ihm kreuzenden Schlachtschiff „Sonne“ zu entkommen sucht. Das Schlafbedürfnis fordert seinen Tribut und wird spätestens um die Mittagszeit übermächtig. Nun fühle ich mich müde und krank und kann kaum noch richtig denken. Der vom Frühaufstehen gebeutelte Kreislauf rebelliert. Müde und krank. Krüde und mank.
Krüde und Mank. Das klingt wie zwei angesagte Top-DJs. Lutz Krüde und Andreas Mank aus München-Leasing. Zwischen einem Termin in Los Angeles und einem Auftritt in Tokio legen die Elektropäpste mal eben im „Zwergheim“ auf, dem kleinsten Klub Berlins, der sich über minus anderthalb Etagen eines ehemaligen Ameisenbaus erstreckt. Das Konzert ist stinkgeheim, und doch hat sich die riesige Fangemeinde in Windeseile die Info zugetwittert: „cum all. sonntag. vier uhr morgens a.m. krüde und mank im zwergheim. davor dj pasta. cu.“
Nicht einmal zwei Leute schaffen es am Ende durch die strengste Tür des Universums, denn mehr passen eh nicht rein. Doch als um acht Uhr morgens endlich die ersten Platten auf den Turntables geschreddert werden, hat sich vor der Friedrichshainer Institution eine Schlange bis nach Potsdam gebildet. Sie alle können sagen, dass sie immerhin dabei waren, und natürlich hofft jeder, wenigstens ein paar Klänge zu erhaschen.
„Space Cock“ heißt die bahnbrechende Neuerscheinung, „dampfende Sphärenzwänge“, wie das Magazin [030] schreibt, „schlackernde Breakbeats, maunzende Riffs und atomisierte Käseigel mixen aus kreuzweise strangulierten Tönen einen Chill-in-Cocktail, der den Ohren-User dahin trägt, wo selbst sieben rapidamente hinter die Binde gekippte Red-Bull-Wodka-Acerola mit Tabasco niemals ankommen.“
Dem gibt es nichts mehr hinzuzufügen, eher noch großzügig wegzustreichen. In jedem Fall das absolute Erlebnis: Krüde und Mank. Müde und krank leider weniger.
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