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Im Zeichen von Ying und Yang

Idyllisch wie eine unzurechnungsfähige Morgendämmerung wurden Große Mütter, Väter, Shiva, Buddha und Krishna gepriesen. Eine indische Nacht im Berliner Ensemble mit Nina Hagen  ■   Von Detlef Kuhlbrodt

Auf dem Brechtdenkmal vor dem Berliner Ensemble sitzt ein Mann mit Ledermütze, langen Haaren und einem dunklen Ledermantel neben dem steinernen Dichter. Er sieht aus wie ein Rebell, der 68 in den Time-Tunnel stieg. Nun ist Bernd Brecht hier und macht eine Sitzperformance gegen den Jugoslawienkrieg. Auf zwei Blättern steht, daß er in Gedanken auch bei den vertriebenen Kosovaren ist. Später singt er, daß er eigentlich schreien möchte.

„Die echten V-Effekte haben kämpferischen Charakter“ steht auf einer der drei runden Säulen neben dem Denkmal. „Das kenn' ich doch noch aus der Schule“, lacht ein dicker Mann.

Barfuß schlendert Nina Hagen mit einer Freundin vorbei. Vor dem Eingang des Theaters steht das Publikum, ist vielleicht so zwischen sechzehn und sechzig, und sieht sympathisch aus. Hippiepunks mit schwarzen Haaren und tollen Frisuren, rote Kreise auf einigen Stirnen, ein paar Blümchenhemden neben Älteren, und auch die Frau mit ihrer Einschulungswundertüte, in der sie „Glücksbotschaften“ hat, die sie uns vor zwei Tagen schon in einem Restaurant verkaufen wollte.

Ende der 70er lief Nina Hagen als Berliner Punkgöre herum und brachte einige dazu, nach Berlin zu ziehen, weil ihre Sprache so charmant, frisch und offensiv-sympathisch klang, wie man sich das von Berlin erhoffte. Dann machte sie in einer österreichischen Talkshow vor, wie sich Frauen streicheln sollten, damit es sich auch schön und gut anfühlt. Beim ORF werde das Band von der Sendung immer noch streng bewacht und unter Verschluß gehalten, sagte ein ORF-Kollege. Das ist alles schon zu lange her, um nostalgisch werden zu können.

Nun war sie eine Weile in Indien und ist möglicherweise erleuchtet.

Auf der Bühne liegt ein Teppich im Kerzenschein; im Hintergrund ein kleiner Altar mit Räucherstäbchen. Wie bei Teenagerkiffen. Nina Hagen sitzt meist neben ihren Mitmusikern Mo Tima (Obertongesang, Harmonium, Percussion), Turkan Tam (Gitarre, Harmonium, Vocals) und Mukandi Lai (Drums, Percussion, Vocals) auf dem Teppich. Das paßt gut zu dem neuerlichen kerzenbeschienenen Gemütlichkeitstrend mit Höhlencharakter in den Berliner Kneipen und Cafés.

Anfangs singt sie a cappella ein paar Sachen aus der „Dreigroschenoper“ und zeigt nach oben, wo sie jahrelang für 65 Pfennig die Stücke von „Meister Brecht“ gesehen hatte. Dann spricht sie vom traurigen Zustand dieser Welt, Überbevölkerung, Umweltverschmutzung, transzendentale Obdachlosigkeit sozusagen – später auch: „The devil is insane / Miloevic is his name“. Zahlreiche Zeichen deuten auf Apokalypse. Ein Großer Meister sitzt im Himalaya. In einfachen Worten erklärt Baba Chi, daß das wahre Selbst in uns allen zum universalen Weltgeistpool sozusagen gehört. Viel spricht sie über den Meister in den Räumen zwischen den indischen Liedern ihrer neuen CD „OM NAMAH SHIVAY“, in denen Große Mütter, Väter, Shiva, Buddha, Krishna und auch andere gepriesen werden, empört sich mehrmals darüber, daß es keine Werbung für Elektroautos gibt, sagt, daß es wissenschaftlich erwiesenermaßen am besten ist, sich morgens von den ersten Sonnenstrahlen streicheln zu lassen, plädiert für engagierte Menschlichkeit und erwähnt auch, daß ihr „neulich das Yin-und-Yang-Zeichen hinter den Kühlschrank gefallen“ ist.

Ein wenig eintönig gemütlich, pfadfindermäßig idyllisch, wie unter freiem Himmel unzurechnungsfähiger Morgendämmerungen kommt das so daher. Nina Hagen singt immer noch großartig; auch dieser Ostberliner Görencharme ist da noch mit drin, trotzdem tendiert die Musik ins zuckersüß Weltmusikalische. Die singen zu melodiös und harmonisch-mehrstimmig. Immer wartet man darauf, daß noch was passiert. Passiert aber nichts. Am Ende vielleicht. Nur da singt sie nun wirklich ganz wunderschön alle acht oder neun Strophen von „Der Mond ist aufgegangen.“

Am Ende steht ein kreativ-sympathischer Zeitungsverkäufer vor dem Eingang des Berliner Ensembles und ruft laut :„SPD-Parteitag: Nur 76 Prozent für Schröder. Das Wetter in Indien: 38 Grad Celsius.“

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