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Im Niemandsland des Folk

■ Wo Heimat bestenfalls zeitweise möglich ist: Songschreiber Johnny Dowd fährt das Genre vor die Krachwand

Mit The Wrong Side of Memphis sagte Johnny Dowd vor vier Jahren hallo – und was für eine düstere Begrüßung war das! Das Debüt des heute 52-Jährigen sprach von Mord und Totschlag, von Sünde und Vergeltung. Von einer Seite Memphis' (das man hier guten Gewissens als R'n'R-Metapher lesen darf), die aus faulig-feuchten Hinterhausstraßen und zerbröckelnden Beziehungen besteht. Da war Schmutz und Schmerz in Wort und Ton, und wenig klang so, wie man es sich einem ehrlichen amerikanischen Songschreiber gerne vorstellen möchte.

Dabei ist Johnny Dowd doch eben das; aber einer, der weit über die heile Welt der Akustikgitarre hinausschaut und sich dahinter in ein klanglisches und textliches Hieronymus Bosch-Bild stürzt. Zumindest textlich ist er damit nicht alleine. Das Morbide war immer Thema in jener Ecke des Folk, aus der auch Dowd ursprünglich stammt. Doch seine Musik hat sich inzwischen so weit von diesen Wurzeln entfernt, dass Temporary Shelter, die Platte, mit der er jetzt auf Tour geht, sehr einsam da steht.

Mit ihren Soundexperimenten und harschen Klängen wohnt sie irgendwo im Niemandsland zwischen den hallenden Dub-Beats eines Lee Perry und den giftigen Rhythmus- und Lärm-Attacken der Birthday Party. Eine Gegend in der bestenfalls noch unerschrockene 80er Jahre-Avant-/Prog-Obskuritäten des Recommended Labels beheimatet waren. Und als wäre das nicht schon Ambivalenz genug, wechselt der Gesang auch noch zwischen Dowds facettenreich beefhearteskem Organ und der Glockenstimme Kim Sherwood-Casos. Kurz: Schubladenmenschen haben ihre liebe Not mit Johnny Dowd, der sich nicht so recht festnageln lassen möchte.

Der Mann selbst nutzt eher schlichte Worte für die nicht leicht zu fassende Komplexität seiner neuen Platte, die ungleich schwerer klingt als die beiden Vorgänger: „Dieses Album handelt von Liebe, Erinnerung und Vergebung. Alle Charaktere sind Fiktion, alle beschriebenen Situationen erfunden. In anderen Worten: Es ist die Geschichte meines Lebens, so wie ich mich daran erinnere.“ Kein Leben, das man mit dem heutigen Möbelpacker tauschen möchte. Schließlich ersetzt auf dieser Platten düstere Bedrohlichkeit jede mögliche Geborgenheit. Selbst wenn die Songs gelegentlich zu helleren Melodien aufreißen – Schutz gibt es, das sagt schließlich schon der Plattentitel, bestenfalls zeitweise.

Warum man sich dennoch nicht entgehen lassen sollte, wenn Dowd samt Band am nächsten Monat im Knust auf der Bühne steht? Zum einen, weil wenige der Augenzeugen seiner letzten Besuche in der Stadt nicht mit schierer Euphorie von diesen Auftritten sprechen.

Zum anderen – und das ist wohl bedeutsamer – weil diese mit Worten kaum einzufangende Soundkreation namens Temporary Shelter mit ihren unterschiedlichen Zutaten so gut funktioniert. Gerade in den latent morbiden Geschichten, die Dowd und Schwerwood-Caso erzählen.

Und nicht zuletzt natürlich, weil der Voyeur in uns eine heimliche Freude daran finden wird, aus der schützenden Distanz (räumlich wie emotional) des Zuschauers heraus den ungeschönten Blick auf Dowds höchst persönliche Familiengeschichte zu werfen.

Gregor Kessler

Montag, 21 Uhr, Knust

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