Im Disneyland-Express: Nur für Mitglieder
Riologie
Aus Jardím Botânico
Suzana Velasco
Ich nehme die U-Bahn-Linie, die vor elf Tagen eröffnet wurde – aber nur für diejenigen, die Tickets für die Olympischen Spiele haben. In nur zehn Minuten erreiche ich das Viertel Barra da Tijuca, das wegen der Shopping Center und der autogerechten Stadtplanung das „Miami Brasiliens“ genannt wird. Eigentlich fühle ich mich wie im Disneyland-Express. Der Bahnhof glänzt, alles ist ordentlich. Schnellbusse erwarten uns, um uns direkt zum Olympic Park zu bringen. Durch das Fenster sehe ich die Fahrspur, die exklusiv für Medienvertreter und die sogenannte olympische Familie ist. Sie ist leer, während es daneben einen kilometerlangen Stau gibt.
Die Arenen im Olympic Park sind alle superlativ: sehr groß, sehr modern, sehr attraktiv. Ich überlege, wer sie benutzen wird, sobald die Fahnen aller Welt weg sind. Werden die ehemaligen Bewohner des Viertels Vila Autódromo die Hallen kennenlernen? Sie lebten in der Nähe des Parks und wurden zwangsgeräumt. Zwanzig von fünfhundert Familien hielten erfolgreich stand.
Während ich darüber nachdenke, erscheint auf der Großleinwand der Basketballhalle plötzlich die Judoka Rafaela Silva – die brasilianischen Fans brüllen begeistert. Silva wurde in der berüchtigten Favela Cidade de Deus geboren. Schon als Kind trainierte sie bei einer Einrichtung für benachteiligte Jugendliche. Nachdem sie bei den Spielen in London ausschied, wurde die schwarze Sportlerin mit rassistischen Beleidigungen überhäuft. Diese Woche gewann Silva die erste Goldmedaille für Brasilien.
Cidade de Deus liegt nur acht Kilometer vom Olympic Park entfernt, aber ich sehe kaum schwarze Frauen wie Silva hier. Auf dem Rückweg ist die Stimmung typisch für Rio. Der Bus ist überfüllt, die Leute sind zufrieden, singen und schreien Sprechchöre gegen Bürgermeister Eduardo Paes. Es ist 1 Uhr nachts, die U-Bahn ist schon zu. Eine Frau bittet den Busfahrer, für sie weit entfernt von Rocinha, der größten Favela Brasiliens, zu stoppen – aus Sorge um ihre Sicherheit. Wir fahren weiter und wachen mit Silvas Gesicht auf allen Zeitungen auf.
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