: Im Auftrag der Partei
Richard Birkefeld und Göran Hachmeister haben ihren historischen Kriminalroman „Wer übrig bleibt, hat Recht“ in der Zeit des Nationalsozialismus angesiedelt
Karriere macht man bei der SS am schnellsten bei so genannten Sonderaufträgen gegen Partisanen und Saboteure. Viele hat Sturmbahnführer Kalterer bereits in den Tod geschickt: Alte Männer, Frauen und Kinder. Juden sowieso. Keine besonders schöne Aufgabe, aber Buße nutzt jetzt, in den letzten Kriegstagen des Jahres 1944, niemandem. Am wenigsten Kalterer selbst.
Auch wenn es sich bei den Autoren Richard Birkefeld und Göran Hachmeister eigentlich um Historiker handelt: „Wer übrig bleibt, hat Recht“ ist ein Kriminalroman – und Hans Kalterer die Hauptfigur. Bevor er sich zu einer Karriere bei der SS entschloss, war Kalterer Kommissar bei der Berliner Kriminalpolizei. Er sieht eine Chance, wieder richtige, normale, kriminalistische Arbeit leisten zu können, als er in Berlin mit einer Mordermittlung beauftragt wird: In seiner Küche ist der hochrangige Parteigenosse Egon Karasek bestialisch zu Tode geprügelt worden. Bei seinen Ermittlungen stößt Kalterer schließlich auf die Spur des geflohenen KZ-Häftlings Ruprecht Haas, der zwischen den Trümmern der zerstörten Stadt nach Frau und Kind sucht. Als er nur noch ihre Gräber findet, macht sich Haas auf die Suche nach seinen früheren Nachbarn, die für den Tod der Familie verantwortlich sind. Einer davon war Egon Karasek.
Aber was bedeutet „normale“ Polizeiarbeit während der Naziherrschaft? Was ist „normale“ Polizeiarbeit in einem Sicherheitsapparat, dessen Offiziere sich von Anbeginn bereitwillig auf die Seite der Nationalsozialisten geschlagen haben? Wie funktioniert „normale“ Polizeiarbeit nach den Erfahrungen der „Polizeibataillone“, die all jene willig exekutierten, die ihnen die Kalterers überstellten?
„Normale Polizeiarbeit“ heißt für den SS-Mann Hans Kalterer etwa, die absolute Autorität seiner Uniform auszuspielen. Und für seinen Konkurrenten, Kommissar Bechthold von der Mordkommission, sind Willkür, die Misshandlung von Verdächtigen und die Manipulation von Akten und Beweismitteln ebenfalls normal. Selbst mitten in den Ruinen zählt der schnelle Erfolg noch am meisten. Normal sind in einem solchen Polizeiapparat damit aber auch gegenseitiges Misstrauen, Bespitzelung und Denunziation.
Und dann hat Hans Kalterer ja auch noch ein persönliches Problem: Unaufhaltsam rücken russische Panzerdivisionen auf die Hauptstadt zu. Neben der täglichen Polizeiarbeit müssen die Ermittler daher ihr unauffälliges Abtauchen und das eigene Überleben organisieren: das heißt neue, unbelastete Ausweispapiere, Beschaffung der notwendigen Finanzmittel und die Verlagerung von allem, was sonst von Wert sein kann.
Ruprecht Haas hat demgegenüber ganz andere Probleme. Dem ist sein eigenes Leben längst völlig egal. Aber die Vollendung seiner Rache wird immer schwieriger. Die ständigen Razzien nach Wehrmachtsdeserteuren, die Kolonnen von Flüchtlingen und die Schützengräben des Volkssturms machen den Aufenthalt auf der Straße für den Illegalen immer gefährlicher. Im Chaos des Untergangs wird da nicht lang gefackelt und einer wie Haas schnell an Ort und Stelle erschossen.
Mit dem eigentlichen Plot ihres Krimis überzeugen die Autoren nicht so ganz. Im Grunde ist „Wer übrig bleibt, hat Recht“ eher ein geschickt verpacktes Sittengemälde über selbstverständliche Gewalt und trügerische Sicherheit sowie die Überlebensversuche, -möglichkeiten und -chancen von alten Nazis, ewigen Mitläufern und neuen Widerständlern, die sich alle auf die eine oder andere Weise in den Terror des Nationalsozialismus verstrickt haben und mitschuldig geworden sind. Eine klare Zuordnung von Gut und Böse ist dabei nur selten möglich. Aber auch das ist für den Leser inzwischen ganz normal geworden. OTTO DIEDERICHS
Richard Birkefeld/Göran Hachmeister: „Wer übrig bleibt, hat Recht“. Eichborn, Frankfurt am Main 2002. 450 S., 22 €
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