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Illegale Einwanderung in die USADas ist wie im Krieg

Francisco Linares will mit seiner Frau illegal in die USA, um dort zu arbeiten. Doch in Mexiko endet die Reise. Francisco wird von Polizisten geschlagen, seine Frau vergewaltigt.

Will trotz allem schon bald wieder in die USA, doch diesmal allein: Francisco Linares vor dem Rathaus in Santa Ana. Bild: Toni Keppeler/latinomedia

SANTA ANA taz | Es passiert jeden Tag. Ein Dutzend trifft es immer, meistens mehr. Erst in der vergangenen Woche sind im Bundesstaat Oaxaca im Süden von Mexiko über 50 illegale Wanderarbeiter bei einem einzigen Überfall auf einen Güterzug entführt worden - Salvadorianer, Honduraner, Guatemalteken. Sie hatten sich auf den Weg gemacht, um in den USA ein besseres Los zu finden als die Armut und das Elend bei sich zu Hause. Die mexikanischen Behörden haben die Massenentführung zunächst wie üblich ignoriert. Erst als die Außenminister der Heimatländer der Entführten gemeinsam Druck gemacht haben, hat die Polizei damit begonnen, nach den Verschwundenen zu suchen.

"Sie hasst alle Männer"

Francisco Linares weiß, was es heißt, in Mexiko als Illegaler entführt zu werden. "Es macht mich wütend, wenn ich so etwas im Radio höre", sagt er. "Und ich könnte heulen." Er und seine Frau sind selbst Opfer von Kidnappern geworden. Sie sind keiner Drogenmafia in die Hände gefallen oder sonst einer kriminellen Bande, sondern der Polizei und der Armee. Die teilten sich das salvadorianische Paar: Die Polizisten nahmen Francisco mit, die Soldaten Delmy. Die Frau wurde täglich von ihren Peinigern mehrfach vergewaltigt. "Sie wird sich wohl niemals davon erholen", sagt Francisco. "Sie hasst alle Männer." Sie redet nicht über das, was in Mexiko geschah.

Die Entführungsindustrie

Die Opfer: Gut 170.000 illegale Migranten passieren Mexiko pro Jahr auf dem Weg in die USA. 95 Prozent davon kommen aus El Salvador, Guatemala und Honduras. 2009 wurden 65.000 aufgegriffen und zurückgeschickt. Nach Schätzungen des staatlichen Menschenrechtsbeauftragten werden jedes Jahr mindestens 20.000 entführt.

Pro Migrant werden durchschnittlich 2.500 Dollar Lösegeld erpresst - in der Regel von Verwandten in den USA, zahlbar per Western Union. Sechs von zehn Frauen werden auf ihrem Weg durch Mexiko vergewaltigt.

Die Täter: Im Süden von Mexiko beherrscht vor allem das Drogenkartell Los Zetas das Geschäft mit den Entführungen. Militärs und Polizisten arbeiten oft mit dieser Mafia zusammen, gehen aber auch auf eigene Rechnung vor. Auch kriminelle Jugendbanden berauben und entführen illegale Wanderarbeiter. (kep)

Es gibt zwei Typen von zentralamerikanischen Auswanderern: gut ausgebildete junge Leute aus der Mittelschicht, meist mit Universitätsabschluss, die in den USA einen Job suchen, den ihnen der heimische Arbeitsmarkt nicht bietet. Sie reisen mit Touristenvisum und mit dem Flugzeug. Und es gibt diejenigen, die man die "Mojados" nennt, die Nassen, weil sie nass werden, wenn sie nachts den Grenzfluss zwischen Mexiko und den USA durchwaten.

Sie reisen zu Fuß, mit dem Bus und auf Güterzügen. "Wir schätzen, dass sich allein in El Salvador jeden Tag zwischen 200 und 300 Mojados auf den Weg machen", sagt Evelyn Hernández, die im Menschenrechtsinstitut der Zentralamerikanischen Universität von San Salvador illegale Wanderarbeiter betreut, die in Mexiko überfallen oder entführt worden sind.

Francisco Linares ist ein Mojado. Er ist in der Provinzstadt Santa Ana im Nordwesten El Salvadors aufgewachsen. Seine Eltern starben früh. Zur Schule gegangen ist er nie. Von Beruf ist er Goldschmied. Das war ein Zufall. Als Jugendlicher hat er mit Freunden immer in einem Hinterhof Murmeln gespielt, in dem eine Frau Tortillas verkaufte. Eines Tages, er war 17, fragte eine Stammkundin: "Wer von euch will Goldschmied werden?" Er meldete sich als Erster. Sie nahm ihn mit in ihre Werkstatt. "Nach einem halben Jahr konnte ich das Wichtigste und habe mein eigenes Geschäft aufgemacht."

25 Jahre hat er als Goldschmied gearbeitet. Er hat Delmy geheiratet, eine schüchterne Frau, die bis zu dieser Reise nie Santa Ana verlassen hatte. Sie putzte und wusch in anderen Häusern und verdiente damit 3 Dollar am Tag. Drei Jungs hat das Paar. Dreimal wurde Franciscos Werkstatt überfallen. Nach dem dritten Mal hatte er Schulden bei der Bank und konnte sie nicht mehr bedienen. "Also bin ich hingegangen und habe gesagt: Ich gehe in die USA, und wenn ich dort bin, bezahle ich. Und so habe ich es gemacht."

Zweieinhalb Monate hat er gebraucht, dann war er in Texas. Unterwegs wurde er zweimal überfallen. Das ist ihm nicht mehr als eine kurze Erwähnung wert. Francisco ist kein ängstlicher Mann. Klein, drahtig, braun gebrannt. Er ist 48 und wirkt eher jünger. Wenn er ins Reden kommt, ist er kaum mehr zu bremsen. Schnell wird er eifernd, fast wie ein evangelikaler Prediger. Seine Freunde nennen ihn deshalb "El Talibán". Ein Jahr und zwei Monate hat er in der Nähe von San Antonio auf einer Farm gearbeitet. "Dann haben sie mich erwischt und abgeschoben. Aber meine Schulden hatte ich bezahlt."

Doch in Santa Ana gab es keine Arbeit für ihn. Und das bisschen Geld, das Delmy nach Hause brachte, reichte nicht, um Monat für Monat die 40 Dollar für den Kredit zu bezahlen, mit dem die Familie ihr knapp 30 Quadratmeter großes Häuschen am Rande der Stadt finanziert hat. "Also habe ich zu meiner Frau gesagt: Gehen wir wieder. Und wir sind zu zweit gegangen." Die Kinder ließ das Paar bei einer Tante zurück. Das war im Frühjahr 2008.

Bis zur Grenze zwischen Guatemala und Mexiko kommt man von Santa Ana aus in billigen Überlandbussen in weniger als einem Tag. Ab Tecún Umán wird es gefährlich. Die Grenzstadt wirkt wie aus einem Western - staubige Straßen, geduckte Häuschen aus Lehmziegeln. Vor den Billard-Saloons und den billigen Bordellen sind Pferde festgebunden. Am Grenzflüsschen herrscht reger Betrieb.

Auf aufgepumpten Schläuchen von alten Lastwagen werden die Illegalen auf die mexikanische Seite gebracht. Die Grenzer werden mit ein paar Dollars ruhig gestellt. Beim ersten Versuch wurden Francisco und Delmy kurz hinter der Grenze von der Einwanderungsbehörde aus dem Bus geholt und zurück nach Guatemala gebracht. Mojados sind leicht zu erkennen. Sie sprechen nicht das singende Spanisch der Mexikaner.

Alle trugen Gewehre

Beim zweiten Versuch schien es zu klappen. Sie waren schon über Tapachula hinaus, die erste mexikanische Großstadt rund 20 Kilometer hinter der Grenze. Sie waren zu Fuß unterwegs. So konnten sie Straßensperren der Einwanderungsbehörde rechtzeitig sehen und umgehen. Als sie wieder eine entdeckten, schlugen sie sich in die Felder. "Wir gingen im hohen Gras, vielleicht fünfzig Meter neben der Straße. Da stellten sich uns drei Männer in den Weg." Sie trugen die Uniformen der Bundespolizei und riefen noch drei weitere Männer herbei. Das waren Militärs. Alle trugen Gewehre.

Der Wortführer spielte mit dem Abzug. "Warum bist du so nervös?", fragte er Francisco. "Ich bin nicht nervös. Ich bin froh, dass ich euch treffe, so kann ich keinen Dieben in die Hände fallen." Er fiel Dieben in die Hände. Als Erstes nahmen ihm die Männer die gut tausend Dollar ab, die er sich für die Reise in die USA zusammengeliehen hatte. Dann trennten sie das Paar. Delmy wurde von den Soldaten mitgenommen, Francisco blieb bei den Polizisten.

"Sie haben mich auf einen verlassenen Hof gebracht. Sie haben mich geschlagen. Sie wollten Telefonnummern von Verwandten in den USA." Francisco hat keine Verwandten in den USA, die man erpressen könnte. Nach zwei Tagen ließen ihn die Polizisten frei. Von seiner Frau wusste er nichts.

Er schlug sich zu Fuß durch bis Ixtepec im Bundesstaat Oaxaca. Dort unterhält die katholische Kirche ein Auffangheim für Wanderarbeiter. Dem Pfarrer erzählte er seine Geschichte. Der nahm ihn vier Tage später mit zu einer Konferenz mit Jorge Bustamante, dem Berichterstatter der UNO für Migrationsfragen, der gerade in Oaxaca ermittelte. Ihm sollte er die Geschichte erzählen. Die Presse war da. "Wahrscheinlich hat das Delmy gerettet." Ihr Fall war jetzt bekannt.

Francisco aber bangte noch zwei Wochen. Einer seiner Söhne hatte ihm ein Passbild seiner Frau geschickt. Das hatte er vergrößern und kopieren lassen und an Bäume und Straßenlaternen gehängt. Dann kam ein Anruf aus Santa Ana: Die Mutter sei wieder zu Hause. Sie weiß nicht mehr, wie sie das geschafft hat. Sie weiß, dass ihr eine Frau in Guatemala Kleider geschenkt hat und ein bisschen Geld. Sie weiß, dass sie von ihren Entführern etwas zu essen bekam, aber sie weiß nicht mehr, was. Sie weiß, dass sie vergewaltigt wurde, jeden Tag, mehrfach. Aber an Gesichter kann sie sich nicht erinnern. Auch nicht daran, woher sie die Narbe an ihrem Arm hat. Irgendwann haben die Entführer sie einfach fortgeschickt.

Ein Job als Friedhofswärter

Zurück in El Salvador ging Francisco zum Menschenrechtsinstitut der Zentralamerikanischen Universität. Er wollte Gerechtigkeit. "Im Grunde können wir diesen Menschen nicht helfen", sagt Evelyn Hernández. "Das Verbrechen fand in Mexiko statt. Es muss dort angezeigt werden, und dort findet auch der Prozess statt." Die Reise und der Aufenthalt kosten Geld, und das hat Francisco nicht.

Immerhin hat er schnell Arbeit gefunden: Im Wahlkampf zog er für seine Partei, die ehemalige Guerilla der FMLN, werbend von Haus zu Haus und bekam dafür 2 Dollar am Tag. Danach fand er eine Anstellung als Friedhofswächter. 217 Dollar im Monat, befristet bis zum Dezember. "Delmy verdient manchmal etwas dazu", sagt er. "Aber oft bleibt sie auch einfach nur zu Hause."

Mit der Abzahlung seines Hauskredits ist er wieder im Verzug. "Im Januar gehe ich deshalb wieder los", sagte er, "alleine." Angst habe er nicht. Im Bürgerkrieg von 1980 bis 1992 gehörte er zu den Stadtkommandos der FMLN. Santa Ana ist eine Garnisonstadt. Sieben Jahre lang hat er im Herzen des Feindes gekämpft. "Ich weiß, wie das ist im Krieg."

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1 Kommentar

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  • M
    Marvin

    Wie kommt man von "Ich weiß, wie das ist im Krieg" zur Überschrift "Das ist wie im Krieg" ?

     

    Ist Ersteres nicht nur eine quasi allgemeine Aussage zum Thema Krieg, während die Überschrift die "illegale Migration" mit Krieg vergleicht?