„Ihr seid Mittäter“

■ Helle Empörung in Berliner Betrieben

Berlin (taz) — „Und der wilde Knabe brach 's Röslein auf der Heiden...“ — vom IG-Metall-Chor auf einer Veranstaltung zum Thema sexuelle Belästigung vorgetragen, entpuppte sich das alte Volkslied als aggressive Rechtfertigung von Vergewaltigung. Der Chor war eine gute Einstimmung, denn unter den rund hundert Berliner GewerkschafterInnen, die am Dienstag abend einer Einladung der IG Metall gefolgt waren, herrschte helle Empörung über die (Nicht-)Behandlung des „Sexskandals“ in der Gewerkschaft. „In der Verwaltungsstelle herrscht doch nur noch Ausnahmezustand, die sind doch gar nicht mehr arbeitsfähig“, begründete ein Metaller seine Forderung nach Einberufung einer Vertreterversammlung. „Überall in den Betrieben wird über diesen Vorfall gesprochen. Aber wir haben immer noch keine Antwort, obwohl wir die Geschäftsleitung deswegen schon dreimal angeschrieben haben“, beschwerte sich ein zweiter.

„Wir wurden erst knapp zwei Monate nach dem Vorfall darüber informiert“, klagte ein ehrenamtlicher Mitarbeiter der Ortsverwaltung. „Im Hauptvorstand“, forderte er, „muß noch mal über die massive Verlogenheit von Beschlüssen diskutiert werden. Auch die Abteilung Frauen scheint hier keine rühmliche Rolle gespielt zu haben.“

Die anwesende Hauptvorstandsfrau Angelika Heiking verstärkte diesen Eindruck. Sie forderte zwar eine „radikale Politik, die an die Wurzeln des Patriarchats geht“, zeigte sich im vorliegenden Fall aber genauso ratlos wie uninformiert, welchen neuen Arbeitsvertrag der nämliche Sekretär vom Hauptvorstand erhalten hat. Es sei „mies“, fand Petra Eller-Goedicke von der ÖTV, nicht kündigen zu wollen, weil angeblich nur so das Opfer gegen eine Gerichtsvorladung geschützt werde: „Die Geschäftsleitung muß dann halt selbst als Zeuge auftreten, die Beweislast muß hier endlich umgekehrt werden.“ Die Bundesfrauenkonferenz der ÖTV habe im letzten November den Grundsatz verabschiedet, daß bei solchen Delikten „der Täter so lange als schuldig zu gelten habe, bis seine Unschuld bewiesen ist“. Um solche Regelungen zu erreichen, müßten allerdings entsprechende Dienst- und Betriebsvereinbarungen abgeschlossen werden, forderten die ÖTV-Frau sowie dieIGM-Frauensekretärin Angela Schürzeberg-Geißler. Eine andere Rednerin brachte die Stimmung vieler auf den Punkt, als sie die Geschäftsleitung — vergeblich — zur Stellungnahme aufforderte: „Ihr seid Mittäter, ihr habt die Informationen zurückgehalten und diesen Menschen gedeckt“. Und der IG Metall-Chor resümierte: „... half kein Weh und half kein Ach, mußt es eben leiden, Röslein auf der Heiden.“