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Archiv-Artikel

Igitt, wie prickelnd

Die Wirtschaftswunderzeiten-Revue „Souvenirs, Souvenirs“ ist einen Monat lang im Waldau-Theater zu sehen. Kein Klischee ist dort zu schlicht

Marcel Proust brauchte nur an seinem Teegebäck, den Madeleines, zu knabbern, schon war er zurück in der verlorenen Zeit seiner Jugend. Eine ähnlich existenzielle Erfahrung kann jeder heute mit Ahoj-Brause erleben. Waldmeister-, Zitronen- oder Himbeergeschmack: aus dem kleinen Tütchen in die Handfläche geschüttet und aufgeleckt! Das unangenehm süße Prickeln auf der Zunge ist uns Wirtschaftswunderkindern so vertraut wie Schlager von Freddy Quinn, die Isetta, Frau Antje oder Unterhosen von Schiesser.

Auf diesem simplen, aber wirkungsvollen Wiederbegegnungseffekt beruht die Bühnenshow „Souvenirs, Souvenirs“, die Vicco und Peter Malente (Knut Vanmarke/Dirk Voßberg) zusammen mit Anne Welte und Tina Eschmann zusammengestellt haben. Damit soll das zwischen Pleite und Neuanfang herumwirtschaftende Waldau-Theater in den kommenden vier Wochen gefüllt werden.

Ja, das ist Boulevard! Da werden ganz schnell die Nasen gerümpft. Und wenn die alte Mannschaft des Theaters unter der Regie des Ex-Intendanten Michael Derda solch eine Revue aufgeführt hätte, wäre es auch garantiert ein schlimmer Schenkelklopfer á la „Charlys Tante“ geworden. Aber man kann aus „Ich will keine Schokolade, ich will lieber einen Mann“ auch eine hochkomische Parodie machen, wenn mit ironischer Distanz und liebevoller Detailtreue gearbeitet wird. Genau dies ist der „Familie Malente“ gelungen.

Weil sie aus einer Vielzahl von Quellen geschöpft, ganze Jahrgänge der „Brigitte“ studiert, Flohmärkte durchforstet und in den Archiven des Bonner „Haus der Geschichte der Bundesrepublik“ recherchiert hat, kann nun sehr pointiert und immer mit dem genau passenden Originaltext, Requisit oder Schlager das Lebensgefühl der 50er und 60er Jahre heraufbeschworen werden.

Das ist immer komisch, oft aber auch anrührend. Denn damals hielten die meisten von uns ja tatsächlich den Hawaii-Toast für einen Höhepunkt der Zivilisation.

Die vier Akteure entwickeln in kleinen Spielszenen und etwa 40 musikalischen Nummern, die live zur eingespielten Musik gesungen werden, langsam ihre Bühnenpersönlichkeiten, die den damaligen Stars nachgebildet werden. Vicco Malente hat viel von Theo Lingens Steifheit. Um so komischer sind seine verwegenen Tanzschritte auf Stachelbeerbeinen in den Kunstfasershorts. Tina Eschmann ist die kühle und ewig lächelnde Blondine á la Heidi Brühl. Peter Malente gibt dazu den strahlenden Kavalier im Stil von Peter Alexander. Und Anne Welte gelingt es sogar, aus der Klischeefalle der „komischen Dicken“ herauszufinden. Sie gibt die Trude Herr mit souveränem Selbstbewusstsein und einer eindeutig besseren Singstimme.

Das Darsteller-Quartett will natürlich unterhalten. Dies gelingt auch wunderbar. Bei der Premiere wurde gleich beim ersten Stück kräftig mitgeklatscht. Zum Schluss gab es begeisterten Applaus mit – in Bremen alles andere als selbstverständlichen – Standing Ovations.

„Souvenirs, Souvenirs“: das sind viele, mit zärtlichem Spott dargebotene Fundstücke aus unserer gemeinsam verlorenen Zeit. Im Waldau-Foyer wird dazu kostenlos Ahoj-Brause verteilt.Wilfried Hippen

„Souvenirs, Souvenirs“: bis 27. August, mittwochs bis sonntags, 20 Uhr, Waldau-Theater