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Identitätssuche bei Borussia DortmundSicherheit statt Sexyness

Borussia Dortmund und Bodø/Glimt trennen sich im Champions-League-Spiel mit 2:2. Der BVB scheint sich uneinig zu sein, wie man richtig Fußball spielt.

Nico Schlotterbeck ärgert sich sichtlich im Champions-League-Spiel gegen Bodø/Glimt Foto: Maximilian Koch/imago

Spätestens am Dienstagabend ist Nico Schlotterbeck mehr oder weniger schleichend zum obersten Anführer von Borussia Dortmund avanciert, nicht nur aufgrund seiner deutlichen Worte, die den Klub nun erschüttern. Auch sein Umgang mit der Kapitänsbinde machte das deutlich.

In der Champions-League-Partie zuvor gegen Villarreal gab er diese noch an Emre Can weiter, als der alte Kapitän eingewechselt wurde, am Mittwoch behielt er die Binde selbst. Und in der Chefrolle trat er nach dem 2:2 gegen den norwegischen Club Bodø/Glimt auch vor die Kameras, um zu sagen, was Can in ähnlichen Situationen der Vergangenheit eher floskelhaft umschiffte.

„Extrem fahrig“ habe der Dortmunder gespielt, immer wieder sei der Spielfluss durch „unfassbar schlechte erste Kontakte“ gestört worden, erklärte der von großem Zorn erfüllte Verteidiger und ging zum Frontalangriff auf einige Mitspieler über: „Die Spieler, die reinkommen, verlieren jeden Ball.“

Gemeint waren damit vor allem die geistig seltsam abwesend wirkenden Angreifer Serhou Guirassy und Karim Adeyemi, an die auch der nächste Schlotterbeck-Satz gerichtet sein dürfte: „Ich glaube, manchen war nicht bewusst, wie wichtig das ist.“ Die Dortmunder werden noch Spiele in Tottenham und gegen Inter Mailand bestreiten, dass dort zwei Siege gelingen, ist unwahrscheinlich.

Kritik an der Spielweise aus den eigenen Reihen

Die beiden gegen Bodø/Glimt verlorenen Zähler bergen damit sehr konkret die Gefahr, genauso viel wert zu sein wie das Überstehen einer gesamten Runde samt Hin- und Rückspiel. Beide Tore hatte übrigens Julian Brandt geschossen, der den Klub am Wochenende zuvor in einen Unruhezustand anderer Art gestürzt hatte.

Nach dem bemerkenswert stabilen 2:0-Sieg gegen Hoffenheim am Sonntag zündete er trotz der großen Zufriedenheit seines Trainers mit Leistung und Ergebnis eine Diskussion über die Spielweise des BVB an. „Es ist, wenn man ehrlich ist, nicht meine Art und Weise, Fußball zu spielen, wenn man es sich 90 Minuten lang anguckt. Aber manchmal muss ich es dann auch akzeptieren“, sagte er und beklagte sich über fehlenden Mut und zu viele lange Bälle.

Gegen Bodø/Glimt suchte die Mannschaft nun auch aufgrund der eigenen Favoritenrolle eher nach fußballerischen Lösungen, hatte 63 Prozent Ballbesitz, spielte 546 Pässe, das Problem: Diese Spielweise beherrscht das Team nicht so gut. Jobe Bellingham ist zu langsam in seinen Handlungen und zu unpräzise, Adeyemi zu fahrig, Brandt zu unzuverlässig, und Maxi Beier unterlaufen zu viele technische Fehler.

Besser funktioniert die Mannschaft seit Kovačs Amtsantritt, in Duellen wie gegen Hoffenheim, wo sie einen Fußball spielt, der Brandt weniger gefällt, der aber den wichtigsten Prinzipien des Trainers folgt: Kontrolle, Sicherheit, Fleiß, Ordnung, Klarheit. Hinter diesem plötzlich wieder lichterloh brennenden Krisenstoff steckt eine Dortmunder Identitätssuche, die nun schon seit vielen Jahren läuft.

In der legendären Erfolgsära unter Jürgen Klopp wurde der BVB-Fußball zum Orientierungspunkt für viele Trainer auf der ganzen Welt, galt als innovativ und beispielgebend. In all den Bundesligajahren nach Klopps Rücktritt 2015 unterhielt der Klub dann den hinter Bayern München zweitteuersten Kader der Bundesliga, woraus Selbstansprüche entstanden.

Lieber sexy oder erfolgreich?

So ein Verein müsse auch weiterhin einen mutigen, unterhaltsamen und von einer großen eigenen Gestaltungskraft geprägten Fußball spielen, hieß es, bis Edin Terzić 2023 Chefcoach wurde und mit seinem „Nicht-sexy-aber-erfolgreich“-Credo einen Kontrapunkt setzte. Terzić schaffte zwar nur mit Mühe die Qualifikation für die Champions League, erreichte aber das Endspiel in der Königsklasse, in dessen Vorfeld der langjährige Abwehrchef Mats Hummels in einem sehr bewusst platzierten Interview grundlegende Zweifel an Terzić’ Vorstellungen äußerte, die zwar noch kritischer, aber doch sehr ähnlich klangen wie Brandts Gedanken.

Während einiger Partien habe er sich in seiner „Ehre gekränkt gefühlt“, sagte Hummels, „so in diesem Trikot auf dem Platz zu stehen. So unterwürfig, so fußballerisch unterlegen.“ Terzić musste gehen, der Nachfolger Nuri Sahin, der eher den Brandt-Hummels-Ansatz präferierte, verlor ständig und wurde durch Kovač ersetzt. Der Kroate ist insgesamt ja schon recht erfolgreich mit seinem Stil, der den Terzić-Vorstellungen ähnelt.

In der Bundesliga hat das Team nur das Spiel beim FC Bayern verloren und ist ansonsten ungeschlagen. In der Champions League ist ebenfalls noch vieles möglich, und grundsätzlich sind die inneren Widerstände gegen eine eher auf Handwerk und Sicherheit ausgerichtete Spielweise schwächer als vor zwei Jahren.

Dazu passte das Lob, das Hoffenheims Trainer Christian Ilzer vom vorigen Sonntag gegenüber Kovač aussprach: „Ich habe immer Bewunderung, wenn Trainerkollegen es schaffen, in qualitativ guten Mannschaften so eine enorme Bereitschaft im Spiel gegen den Ball und eine Begeisterung für das Verteidigen zu erzeugen.“ Gegen Bodø/Glimt erlebte die Mannschaft nun einen Rückfall, womöglich weil es beim BVB auch ein charakterliches Problem gibt: „Fast arrogant“ habe Dortmund gespielt, sagte Felix Nmecha, und Sportdirektor Sebastian Kehl monierte „eine gewisse Art von Überheblichkeit“.

Echter Kovač-Fußball lässt sich mit dieser Haltung nicht spielen.

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