Identität Abchasien sieht sich als unabhängig an. Für die Welt ist es aber ein Teil Georgiens. Deshalb tut man am Schwarzen Meer alles, um ein eigenes Land zu sein: Das Staatsschauspiel
Als der Fotograf Jonas Fischer 2012 von Georgien aus das Schwarze Meer umrundete, erreichte er zum ersten Mal Abchasien. Ein Landstrich, immerhin dreimal so groß wie das Saarland, eine georgische Provinz zwar, aber es einfach betreten konnte er nicht; es brauchte ein Visum vom abchasischen Außenminister. Mit georgischen Lari konnte er auch nicht bezahlen, es brauchte russische Rubel.
De jure gehört Abchasien zu Georgien, de facto ist es unabhängig.
Wie die Selbst- und Fremdwahrnehmung von Staatsgebilden auseinanderdriften kann, erfuhr Fischer während ein paar verstörender Tage, die er dann dort verbrachte. Er fragte sich: Wie kann eine Gesellschaft unter solchen Bedingungen funktionieren? Dreimal kehrte er nach Abchasien zurück, um ein Land zu porträtieren, das es eigentlich nicht gibt. Aber gerade deshalb ist es so sichtbar: Weil Staatlichkeit hier besonders inszeniert wird. „Wenn sich die Abchasen als Staat nicht ernst nehmen, dann tut es ja niemand“, sagt Fischer.
Die Abchasen sind sehr stolz auf ihre Heimat. Sie erzählten Fischer gern von der Legende, nach der Gott ihnen das Land gab, das er für sich selbst aufbewahrt hatte, und auch sonst freuten sie sich, dem jungen Fotografen ihre Sicht der Dinge erläutern zu können. Deshalb sei seine Arbeit dort auch nicht besonders schwierig gewesen, sagt Fischer.
Aus jedem Fototermin wurde für ihn eine Lehrstunde in abchasischer Politik und Geschichte. Und immer wieder wurde Fischer an den „völlig aufgeblasenen Staatsapparat“ erinnert. Fast alle der etwa 240.000 Einwohner, so sein Eindruck, arbeiten irgendwie im öffentlichen Dienst.
Die Bausteine des De-facto-Staats Abchasien präsentiert Fischer nun wie einen Katalog für Staatsgründer. Der Inszenierung widersetzte er sich nicht. Die Protagonisten zeigten sich, wie sie es wollten. So wirken sie oft wie Darsteller in einer Kulisse. Fischer hofft nun, dass in der Gesamtschau schon deutlich wird, dass das Staatsschauspiel oft an seine Grenzen stößt.
Es ist eine Inszenierung, die nach außen wirken soll, wobei allerdings deren größter außenpolitischer Erfolg (neben der diplomatischen Anerkennung einer Handvoll Staaten) die Ausrichtung der Domino-Weltmeisterschaft im Jahr 2011 war.
Stärker als nach außen wirkt die Inszenierung nach innen: Es gilt, sich von den Nachbarn abzugrenzen, indem man ethnologische Unterschiede hervorhebt. Ein ideologischer Kitt entsteht; er soll die Gesellschaft zusammenhalten. Die Abchasen weben an einer gemeinsamen Erzählung, die durch das Erinnern an den Unabhängigkeitskrieg 1992/93 geprägt ist, Heldenverehrung inklusive. Verschwiegen wird, dass Abchasien ohne die Unterstützung Russlands, politisch, wirtschaftlich und militärisch, wohl nicht mehr existieren würde.
Die Menschen und Orte, die Jonas Fischer fotografiert hat, gibt es wirklich. Was Abchasien ist, das muss sich der Betrachter nun selbst erschließen.
Sebastian Erb
Jonas Fischer lebt in Hamburg. 2015 hat er sein Fotografiestudium in Bielefeld abgeschlossen. Der Bildband „De facto“ ist seine Abschlussarbeit. Bei der Recherche in Abchasien unterstütze ihn die Kulturwissenschaftlerin Annika Gläser.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen