piwik no script img

„Ich werde mich nicht anbiedern“

Polens Exstaatschef Lech Walesa über seine Trümpfe und Chancen bei den diesjährigen Präsidentschaftswahlen, einen neuen Marshallplan für die ehemaligen kommunistischen Staaten und die Probleme von Polens Beitritt zur Europäischen Union

Walesa über Walesa: Mein überzeugendstes Argument ist mein Sieg über den Kommunismus

Interview BARBARA OERTEL

Sie treten bei den Präsidentenwahlen an. Was für Chancen rechnen Sie sich aus? Laut jüngsten Umfragen scheinen die Polen mit Amtsinhaber Aleksander Kwaśniewski zufrieden zu sein.

Lech Walesa: Zufrieden würde ich so nicht sagen. Denn die Menschen bezahlen einen hohen Preis für die Reformen. Die Verantwortung für die hohen Kosten hat das postkommunistische Lager an die jetzige Regierung weitergegeben, die diesen Staat aufbauen muss. Ich erhalte von meinen Landsleuten viel positive Resonanz. Sogar mit dem Titel „Mann des 20. Jahrhunderts“ wurde ich geehrt. Aber ich werde auch viel kritisiert, weil ich kämpferisch bin. Trotzdem werde ich mich nicht anbiedern.

Was haben Sie anderes anzubieten als Kwaśniewski?

Auf dieser Welt zählen nur drei Dinge: Militärkraft, Wirtschaftskraft des Staates und gute Argumente. Alexander Kwasniewski hat von alledem nichts. Kurz vor dem Ende seiner Präsidentschaft ist der polnische Staat weder militärisch noch wirtschaftlich stark. Kwaśniewski selbst ist ein gewendeter Kommunist, der heute das eine sagt und morgen das genaue Gegenteil. Ich verfüge auch nicht über die ersten beiden Dinge, aber ich habe Argumente. Mein überzeugendstes Argument ist mein Sieg über den Kommunismus. Das kann mir niemand streitig machen. Außerdem habe ich Ideen für Verhandlungen mit dem Westen, um Polen einen geeigneten Platz in der Welt zu sichern. Dazu gehört die Neuauflage eines Marshallplanes für die ehemals kommunistischen Staaten.

Wie sieht dieser Plan aus?

Es geht hierbei nicht um direkte Hilfe, sondern um kluge Investitionen. Mit direkter Hilfe meine ich die Gelder für Russland, die in schwarzen Kanälen versickert sind. Um so etwas etwas zu vermeiden, sollten lieber westliche, kompetente Firmen diese Gelder erhalten, um in den entsprechenden Ländern zu investieren. Sie garantieren mit ihrem Namen dafür, dass das Geld wirklich angelegt wird. Davon profitieren alle Seiten.

Was den Beitritt Polens zur Europäischen Union angeht, so gibt es in den westlichen Ländern noch viele Vorbehalte.

Das es diese Vorbehalte gibt, ist nur natürlich. Aber man muss diese Probleme auch von einer anderen Seite betrachten. Die Entwicklung der Technik bedingt auch eine Weiterentwicklung der Staatenorganisation. Jetzt, in den Zeiten des Internets, müssen grenzüberschreitenden Strukturen aufgebaut werden. Aber das müssen wir planen, sonst drohen wirtschaftliche und politische Konfrontationen. So haben wir die Freizügigkeit geschaffen, aber keine Mittel, uns gegen den Zuzug aus Asien und Afrika zu schützen. Würde China seine Grenzen öffnen, stünde in kurzer Zeit rund eine Milliarde Chinesen in Deutschland vor der Tür. Und was würden die Deutschen tun? Wieder einen Nationalstaat ausrufen? Deswegen muss so schnell wie möglich, aber klug, ein geeintes Europa geschaffen werden.

Ein vereintes Europa bedeutet aber auch, dass es wieder einen eisernen Vorhang gegeben wird – an der polnischen Ostgrenze.

Den zu errichten, sind wir gerade dabei, aber wir tun das sehr ungeschickt. Wo die Polen bisher Handel getrieben haben, erlauben wir jetzt deutschen Großmärkten, sich anzusiedeln. Hier sehe ich einen großen Widerspruch. Westeuropa fordert Polen auf, sich wirtschaftlich zu erheben. Gleichzeitig kaufen sie unsere Waren aber nicht ab, besetzen dafür aber unsere Märkte im Osten. Das ist ein großer Fehler. Heute verdienen zwar noch die Handelsketten daran, aber morgen werden alle Seiten den politischen Preis dafür bezahlen.

Ihr Vater ist an den Folgen deutscher Lagerhaft gestorben. Jetzt ist endlich die Entschädigung für Zwangsarbeiter perfekt.

Es ist traurig, dass diese Hilfe so spät kommt, gerade für die Menschen, die die Transformation durchmachen. Sie sind kaputt, und daher muss man ihnen helfen. Diese Generation wird vorsichtig mit den Mitteln umgehen und sie nicht sofort verbrauchen. Anders als die jungen Leute, die alles sofort ausgeben würden. Deshalb wird dieses Geld arbeiten und sich vermehren.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen