: „Ich unterschätze mein Publikum nicht“
Die Moderatorin Charlotte Roche über Musikfernsehen, Alice Schwarzer, Wein und Pils und warum sie nie für die FDP Werbung machen würde
Interview MARTIN WEBER
Charlotte Roches Sendung „Fast Forward“, eine Mischung aus ausgewählten Videoclips, hervorragend-absurden Moderationen und langen Interviews (unter anderem waren Mick Jagger, Macy Gray oder Wiglaf Droste zu Gast) läuft seit Anfang des Jahres auf Viva. Davor konnt man Charlottes Kapriolen auf dem intellektuellen Arm von Viva, Viva 2, anschauen, der inzwischen in das Larifari-Seichtprogramm Viva Plus eingestampft wurde. Nach einer Grimme-Nominierung im letzten Jahr hat die in Wimbledon geborene 24-Jährige gerade den Bayerischen Fernsehpreis bekommen. Charlotte Roche ist in Mönchengladbach aufgewachsen, unter wie sie sagt, „ziemlich hippiemäßigen Umständen“.
taz: Wie fühlst du dich als Insel des guten Geschmacks im Meer der Seichtigkeiten?
Charlotte Roche: Auf keinen Fall immer toll. Es ist klar, das Viva für eine gewisse Zielgruppe leicht verdaulich sein muss, und manchmal macht es eben Spaß, ganz anders zu sein. Und dann gibt es auch Momente, in denen ich morgens in den Sender gehe und denke: Bin ich jetzt total wichtig für diesen Kanal oder total entbehrlich?
Die Arbeitssituation bei Fast Forward ist ziemlich außergewöhnlich für ein Musiksender-Format. Ihr ignoriert zum Beispiel die Titel, die ansonsten in der Rotation sind.
Jetzt, wo wir eine Insel sind, machen wir auch eine richtige Insel. Auf Viva Zwei kam Nu Metal vor, und jetzt sagen wir halt: Weg mit der Scheiße, wir spielen nur noch, was jedes einzelne der fünf Redaktionsmitglieder in der Sendung haben will. Auch die Popsachen, auf die sich alle einigen können, laufen bei uns nicht, weil die ja sowieso woanders im Programm sind. Das ist schon eine priviligierte Situation, diese redaktionelle Narrenfreiheit.
Kannst du dir den Status deiner Sendung innerhalb des Musikfernsehens erklären?
Das sind immer die asozialsten Fragen, wo man selber erklären soll, warum andere einen toll finden. Ich glaube einfach, dass sich viele über den frischen Wind freuen, den ich ins Fernsehen bringe. Die Leute sind sicherlich nicht komplett auf einer Linie mit mir, weil alles, was ich in der Sendung sage, ja extrem subjektiv gefärbt ist. Aber die müssen ja auch nicht einig mit mir sein – die freuen sich einfach, dass da jemand im Musikfernsehen überhaupt seine Meinung sagt. Und dann spielt sicherlich eine Rolle, dass Fast Forward gar nicht als Personality-Show geplant war, für die Personality war bei Viva Zwei Niels Ruf eingekauft. Am Anfang war ich einfach eine Clipstrecken-Moderatorin, und die Sendung startete im Gegensatz zu Viva Plus ohne großes Tamtam. Fast Forward wurde nicht zusammen mit einem Sponsor aus dem Boden gestampft. Wir konnten erst mal in Ruhe machen, nach und nach hab ich immer mehr Interviews geführt, und auf einmal gab’s dann eine eigenständige Redaktion. Fast Forward hat es als absolutes Nischenformat geschafft, und wenn etwas heimlich größer wird und langsam wächst, ist das sicher einfacher.
Wodurch grenzt du dich von anderen Musikfernsehen-Moderatoren ab?
Vielleicht dadurch, weil ich halt immer bei allem und jedem extrem die Klappe aufreiße und etwas mache, was man eigentlich nicht machen sollte: Ich motze auch über das Musikfernsehen. Das ist schwierig genug, weil ich ja selber da arbeite, aber im Musikfernsehen läuft nun mal viel Scheiße.
Hast du schon mal Ärger mit deinem Arbeitgeber gehabt?
Einen einzigen Fall gab’s. Ich hab mal in einer Sendung erzählt, wie ich mit 16 mit einer Freundin von einem „Zivilbullen“ beim Kiffen erwischt worden bin. Daraufhin wollte mich ein pensionierter Pfarrer, der die Sendung immer guckt, anzeigen. Bei so was versteht natürlich niemand in der Geschäftsetage mehr Spaß, weil das richtig Penunzen kosten kann. Später kam dann eine Mail von einem hohem Polizeimenschen, und der hat mir erklärt, wo das Problem liegt: nicht etwa beim Kiffen, das ich in der Sendung überhaupt nicht verherrlicht habe, sondern beim Wort „Bulle“. Das ist nämlich Beamtenbeleidigung, obwohl es doch sogar Serien wie gibt wie „Der Bulle von Tölz“. Ich hab mich dann bei dem Polizeimenschen entschuldigt, und damit war die Sache erledigt.
Was bedeutet Musikfernsehen für dich, ist das so etwas wie Formatradio mit Bildern?
Es gibt sicherlich eine Tendenz in diese Richtung. Einer wie Ray Cokes hat schon vor etlichen Jahren daran gearbeitet, alles aufzubrechen und möglichst viel anders zu machen. Im Moment bemühen sich die meisten VJs, sich bloß nicht unterscheidbar zu machen. Sie sehen alle gleich aus und setzen alles daran, so wenig Leute wie möglich zu verprellen. Und das ist einfach immer langweilig, wenn man versucht, eine riesengroße Projektionsfläche abzugeben. Es gibt ganz viele Beppos, die Schickimicki sind und sonst nichts. Wer da für meine Begriffe außer mir heraussticht, sind Christian Ulmen und Markus Kavka.
MTV hat sich unlängst mit Berichten über die große Politik versucht. Plant ihr mit Fast Forward auch so etwas?
Seit zwei Monaten funktioniert das bei uns eher andersrum. Verschiedene Parteien treten an mich heran und wollen, dass ich mich im Wahlkampf engagiere: Moderationen auf SPD-Veranstaltungen, Statements, wie ich den Adler Findolin auf der Seite vom Bundeskanzleramt finde, Statements zu was-auch-immer. Am häufigsten tritt die FDP an mich heran und ich muss sagen: Ich weiß nicht, wie jemand auf die Idee kommen kann, dass ich die FDP unterstütze. Das beleidigt mich. Ich würde niemals Werbung für eine Partei machen – ganz egal, für welche.
Aber es ist doch offensichtlich, warum das so ist. Du giltst als Role-Model, du bist 24 …
Ich weiß nicht, ob ich ein Role-Model bin. Es gibt extrem viele Mails von 13- bis 16-jährigen Mädchen, die schreiben: „Danke, dass es dich gibt, du hilfst mir weiter.“ Das geht von oberflächlichem Klamottenscheiß und Haarefärben bis hin zu Sachen wie „Wegen dir trau ich mich auch immer mehr, den Mund aufzumachen“ – das ist natürlich ein tolles Kompliment. Ich habe auch keine Angst vor dieser Vorbildrolle. Ich finde aber trotzdem, dass ich aus der Sendung rausgehen kann mit der Verabschiedung „Tschüss. Leute, ich geh mir jetzt die Hucke vollsaufen“. Das bedeutet nicht, dass alle Zehnjährigen Strohrum kaufen und sich damit umbringen werden. Ich unterschätze meine Publikum nicht; die wissen, was ernst gemeint ist und was nicht.
Was hat zu deiner Sozialisation beigetragen, wer hat dir in der Zeit des Heranwachsens geholfen?
In erster Linie natürlich Mama und die Art, wie sie drauf war. Durch Mama bin ich zum Beispiel Emma-Leserin geworden. Alice Schwarzer war ein alternativer Star in meiner Pubertät. Daher rührt sicherlich auch mein geschärftes Bewusstsein für Sexismus. Ich hab eine Zeit lang HipHop-Videos gedisst, in denen nur Ärsche und Titten in knappen Bikinis vorkamen. Mittlerweile sehe ich das etwas differenzierter und bin mir längst nicht immer sicher, ob Musiker damit ein Rock-’n’-Roll-Klischee nicht nur erfüllen, sondern es gleichzeitig auch durch den Kakao ziehen. Ich finde es zum Beispiel sehr schwierig, Robbie Williams Sexismus vorzuwerfen. Wenn der sagt „Now it’s time to lift your T-Shirts up, Ladies“, ist das eher tongue in cheek.
Nachdem Alice Schwarzer bei dir zu Gast war, hat sie versucht, über dich bei der jüngeren Generation anzudocken.
Ohne Alice Schwarzer wäre der Feminismus damals kaum möglich gewesen. Sie hat schon viel bewegt – auch wenn man ihr vorwerfen könnte, dass sie keine anderen in der Emma-Redaktion hat groß werden lassen. Dadurch, dass ich öfter in der Emma vorkam, hab ich mich schon instrumentalisiert gefühlt und mich deshalb auch wieder zurückgezogen.
Wo begegnet dir der ganz alltägliche Sexismus?
Nehmen wir mal an, ich gehe mit zwei Männern in ein Restaurant. Da ist es ganz egal, wie modern das Lokal ist, ob die Bedienung alt, schwul, eine Kampflesbe oder Pole oder Italiener ist: Die wird das Bier immer einem erst einem der Männer hinstellen – auch wenn ich Pils bestellt habe und die Herren Wein und Sekt. Es gibt anscheinend noch immer Männer- und Frauengetränke. Das macht mich ganz verrückt, und wenn mir das zum zehnten Mal passiert, schreie ich den Kellner einfach an. Für die anderen neun gleich mit.
Wie stehst du zu deinem Chef Dieter Gorny?
Dieter ist für mich vor allem der Chef des Senders. Wenn andere ihm seinen Kapitalismus vorwerfen, finde ich das total überflüssig. Natürlich will er als Vorstandsvorsitzender, dass die Viva Media AG Geld verdient. Wenn er das nicht wollen würde, hätten wir alle bald keinen Arbeitsplatz mehr. Und uns von Fast Forward lässt Gorny eisenhart machen, was wir wollen. Redaktionelle Freiheit als absolute Philosophie – das ist unbezahlbar, und ich halte das immer noch für ein Wunder. Wenn ich schlechte Laune hab, denk ich da dran – und schon hab ich wieder gute.
Was glaubst du, wie lange du in der Viva-Nische noch gut aufgehoben bist?
Es gibt da keinen Masterplan. Und ein Zeitlimit, wann ich weg bin, hab ich mir schon gar nicht gesetzt. An manchen Tagen denke ich: Ich kann alles im Musikfernsehen. Aber dann bin ich komischerweise total aufgeregt beim Interview mit Noel Gallagher, und das zeigt mir, dass ich in der Branche doch noch nicht alles erlebt und überstanden habe.
Ein paar andere Projekte sind aber trotzdem in Arbeit …
Es gibt ein Buchprojekt, das vertraglich schon unter Dach und Fach, aber immer noch nicht angefangen ist. Ich bastle da dran rum, ent- und verwerfe Ideen, dann lass ich’s wieder aus Zeitgründen wochenlang liegen – es wird auf alle Fälle ein Ding im Stil eines Tagebuchs, in dem das Absurde meines Berufs und der Musikbranche allgemein ganz weit vorne steht.
Gibt es konkrete Pläne in Richtung Schauspielerei?
Vor anderthalb Jahren hab ich in einem Splatterfilm die Rolle eine Scream-Queen gespielt, so mit explodierenden Extremitäten. Mittlerweile hab ich meine Agentur gewechselt und werde jetzt von der Managerin betreut, die auch mit Heike Makatsch arbeitet. Es ist eine völlig neue Weise, mit Projekten umzugehen, und ich merke, dass mir das weiterhilft. Nebenbei habe ich auch schon ganz viele Drehbücher gelesen.
Ist Heike Makatsch ein Vorbild für dich?
Was den Karriereweg vom Musikfernsehen hin zu irgendetwas anderem angeht – sicherlich. Heike war schon bei der Viva-Gründung dabei, ich bin dazugestoßen, als der Sender schon erfolgreich war. Aber dass dieser Schritt vom Musikfernsehen weg so klappen kann, hat eine riesige Vorbildfunktion für mich. Ich find auf jeden Fall klasse, wie Heike sich zum Beispiel in den „Semmelings“ gegen gestandene Schauspieler behauptet hat.
Wen siehst du noch gerne im Fernsehen?
Ganz klar: Harald Schmidt. Es vergeht kein Tag, an dem ich die Sendung nicht wenigstens auf Video aufzeichne. Es hat ja auch keinen Sinn, den nicht jeden Tag zu gucken. Wenn Schmidt zum Beispiel sagt „Andrack, aufschrieben: Morgen testen wir Angorapullis“, dann machen die das am anderen Tag ja auch.
Was bewunderst du am meisten an Harald Schmidt?
Da gibt es vieles. Dass er immer weniger auf seine Stand-up-Gags setzt zum Beispiel. Den ganzen Bildungsbürgerkram, den er zusammen mit Andrack verzapft. Dass er den Schauspieler und Kabarettisten raushängen lässt und dabei in einer Sekunde besser ist als jeder Comedian, der sein ganzes Programm auf Parodien aufbaut. Und dann natürlich das Prinzip der verplemperten Fernsehsendezeit, wenn er an seinem Schreibtisch Fischstäbchen brät. Das Großartigste ist aber, dass ich genauso wie viele andere auf seine Fernsehrolle reinfalle. Ich glaube daran, dass er mich in seiner Show vertritt, ich lese aus dem, was er macht, genau das, was ich will. Dabei ist der Typ so aalglatt, den kann man gar nicht packen. Ich frage mich manchmal, ob der zu Hause auch so ein grantiger John-Cleese-Choleriker ist.
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