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„Ich trete als Schriftsteller zurück“

■ Gesualdo Bufalino, Autor der „Mitternachtslügen“ erklärte unserem Mitarbeiter Francesco La Licata: „Ich schreibe nicht mehr. Ich bin nicht mehr imstande, die Gewalt zu erklären, die mich umgibt.“

Die Stimme am Telefon verrät Schüchternheit, ist aber sehr höflich, wie immer. Seit Tagen habe ich ihn zu erreichen versucht - Gesualdo Bufalino, 68, einer der intimsten Kenner der sizilianischen Mentalität. Es geht um eine Äußerung unseres Arbeitsministes Carlo Donat-Cattin, der behauptet hat, im Justizwesen der Insel tummelten sich zu viele Sizilianer. Doch Bufalino zieht sich sofort zurück, als er das Ansinnen hört, so als blitze da eine Gefahr auf. „Nein“, sagt er, „bitte nicht: fragen Sie mich darüber nichts. Ich habe beschlossen, mich zu enthalten. Ich möchte nicht mehr in den Zeitungen erscheinen, möchte nicht mehr auf Fragen antworten, keine Interviews mehr geben. Möchte für einige Zeit dieses ständige Präsentsein unterbrechen.“

Die Überraschung läßt mir kaum Zeit, meine Gedanken klar zu fassen. „Sehen Sie“, fährt die traurige Stimme aus Comiso fort, „Sie sprechen mit einem Menschen, der inmitten von Vorüberlegungen steht. Was soll ich Ihnen denn zu einer derart komplexen Angelegenheit sagen? Was soll ich schon von den Polemiken über die Richter und Staatsanwälte wissen? Außerdem ist das eine so schwierige Materie, daß man sie nicht mit irgendeinem mehr oder weniger guten Statement abtun kann, da gehört schon mehr Engagement dazu. Aber gerade diese Art Engagement will ich vermeiden. Ich mag das nicht mehr. Ich befinde mich in einer Phase des Des -Engagements. Sie sprechen mit einem Menschen, der zurücktreten will; auch von seiner Rolle als Schriftsteller.“

Woher so viel Bitterkeit? Bufalino war, jeder weiß es, stets ein scheuer Mensch, schwierig, den es mehr zur Einsamkeit hinzog, der eher aus der Erinnerung heraus lebte, als daß er sich auf die Bühne einer unendlichen Allgegenwärtigkeit drängte. Doch bis zur Demission als Schriftsteller - da ist doch noch ein weiter Weg. Woher das Bedürfnis zu „verschwinden“? „Das ist meine Sache, sind private Überlegungen, ich will darüber nicht sprechen. Und: wenn man verschwinden will, sollte man es tunlichst auf Zehenspitzen tun.“

So finde ich mich denn nun in Comiso, in diesem warmen Herbst, auf der Suche nach der verborgenen Krankheit des Gesualdo Bufalino. Die Stadt, gefühllos und abweisend, hat die lange Sommerpause noch nicht so recht überwunden. Die Via Architetto Mancini, wo der Schriftsteller mit seiner alten Mutter wohnt, ist still und sonnendurchflutet. Bufalino ist nicht zuhause. Er ist einkaufen, alltägliche, rituell erledigte Obliegenheiten, eine Bindung an Comiso. Eine Bindung, die er oft bekannt hat, auch wenn er nicht selten erläuterte, daß er „in der Mikro-Realität dieses Ortes eher 'heimlich‘ gelebt“ habe - „nicht nur in den ersten sechzig Jahren, in denen ich völlig unbekannt war, sondern auch noch danach“. Alles in allem: „Ein Leben wie viele andere auch. Zwei oder drei echte Krankheiten, zwei oder drei halbe Freunde, ein melancholischer Humor ...“

Die Melancholie. Er sitzt nun auf dem Diwan seines Wohnzimmers, hat Probleme, über sich selbst zu sprechen, verschränkt die Hände, schließt sie über dem Knie zusammen, den Kopf ins Genick gelegt. Wiederholt: er wolle sich „künftig jeder Art Öffentlichkeit enthalten“: „Ich möchte ruhig sein, weitab von allem. Ich glaube, ich bin einfach nicht imstande, die Mechanismen zu begreifen und zu erklären, die die Irrationalität, die Gewalttätigkeit unserer Welt beherrschen. Ich muß mich da raushalten.“

Warum? „Weiß ich selbst nicht genau: Müdigkeit, Alter.“ Das folgende Wort spricht er nicht aus; man hört es dennoch: „Abscheu.“ „Außerdem: worüber wundert ihr euch eigentlich? Ich war doch immer so. Ich habe mich selbst nur beim Lesen wohlgefühlt, in meinem Kino, bei meinen Erinnerungen.“

Was also? Bufalino wird nicht mehr schreiben, oder? „Doch, ich werde schreiben. Aber ich werde nicht mehr veröffentlichen. Zwei Bücher werden noch erscheinen, eine Sammlung von Aphorismen über die Ehe, die Ehe im Laufe der Jahrhunderte; dazu einige Arbeiten, die schon in Zeitungen und Zeitschriften erschienen sind. Erfüllung des Vertrags mit dem Verlag. Danach habe ich keine Verpflichtungen mehr. Einige Interviews, die ich dem Verleger versprochen habe, werden noch erscheinen. Dann muß ich auch noch zwei Literaturpreiskomitees vorsitzen, alte Verpflichten. Danach ist Schluß. Ich habe keine Lust, meine Produktion an irgendwelche Termine oder Verträge zu binden. Ich habe keine Lust, mir Zeit zu stehlen, die ich sonst fürs Lesen verwende. Fassen Sie es nicht als Unhöflichkeit auf, aber auch Sie sind im Moment ein Eindringling, der mich von anderen Dingen abhält.“

Doch eine Überraschung? In gewisser Weise ja, vor allem wenn man sich bewußt macht, daß man einem Mann gegenübeseitzt, der sein sechzigstes Lebensjahr abgewartet hat, bis er ein Buch veröffentlicht hat, das er seit Jahrzehnten in einer Schublade verborgen hielt. Und ist nicht gerade Bufalino der Verfechter der unendlich immer weiter perfektionierbaren Arbeiten, von Arbeiten, die in sich weiterwachsen und erst mit dem Tod des Autors enden? Hat nicht gerade er gesagt, daß „die Veröffentlichung eine Art Unfall darstellt“ und daß „das Buch quasi gefriert, zu einem Leichnam wird, wenn man es den Lesern ausliefert“?

Offenbar hat ihn inzwischen der Widerwille gegen jede Art Abzug aus seiner Welt überwältigt. „Wissen Sie, wie ich mich fühle, wenn man einen Beitrag zu irgendetwas von mir will? Wie ein Schiffbrüchiger, der aufs Ufer zuschwimmt. Ich sehe es, komme näher, aber dann kommt eine Welle und macht all meine Anstrengungen vergeblich, wirft mich zurück.“

Übersetzung: Werner Raith

Lieferbar ist von Gesualdo Bufalino:

Der Ingenieur von Babel, Suhrkamp, 200 Seiten, 28 DM;

Museum der Schatten, Wagenbach, 128 Seiten, 9,50 DM;

Das Pesthaus, Bibliothek Suhrkamp, 19,80DM

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