: Ich sterbe gern für teures Öl
7. Januar
Christian sagt: »Du übertreibst.« Und er legt los; hält mich offenbar schon für infiziert von Kriegshysterie. Schau mal, Christian, bremse ich ihn, gestern bei der Weltspiegel-Sendung, wo du dich doch so gerne ekelst, da hast du gesagt: »Ja, ja, so machen sie's.« Kriegsvorbereitungen im US-TV: Die goldene 12 taucht aus einem blauen Meer auf, Fanfaren, schon wieder ein Tag weniger bis zum 15. Der Countdown — sie nennen die Sendung wirklich so — läuft. Also Zeit für die Show »Krieg, pro und kontra«. Wie ist die Stimmung? Sieh an, Öl ist auf die Kontra-Seite gewandert! Verstehe: wenn die arabischen Öllöcher brennen, wird der Bleifuß selbst im Kat teuer. Da muß die US-Antikriegsliga leider ihre Plaketten einstampfen. Die neue Parole lautet: »Ich sterbe gern für teures Öl«. Die Pro-Front dagegen hat mit ihrem Renner nationales Prestige mächtig an Boden gewonnen. Wegen der »Glaubwürdigkeit« muß Krieg sein; sonst wäre man ein lächerlicher paper tiger. Wußte gar nicht, daß die dieselbe Metapher benutzen. Ob die am Schluß auch per Telefonabstimmung entscheiden? Rufen Sie uns an, vielleicht haben Sie eine besonders originelle Kriegsidee. Es gibt jede Menge Preise und als Hauptgewinn einen 1.-Klasse- Flug an die Front. In die Wüstenkote mit authentischem Kriegsambiente... Ja, so machen sie's. Fast so gut wie ihre Snuff-Shows, wo jemand live vor der Kamera stirbt. Und da sagt Christian, ich übertreibe.
Muß ihm noch mal vorhalten, daß 90 Prozent der Frauen, mal abgesehen davon, daß alle zivilisierten Menschen gegen Krieg sind, daß 90 Prozent der Frauen Krieg ablehnen [is ja wohl der größte stuß, der mir untergekommen ist. sezza].
Winterstiefel kaputt. Daß mein Schuster ein guter Schuster ist, hat sich rumgesprochen. Zu meinen Stiefeln sagt er: »Die können sie am 22. abholen.« Noch ein Countdown.
Der Taxifahrer in der letzten Woche wollte alle Berliner Autofahrer nach Paris zum Üben schicken. Der, mit dem ich heute auf dem Weg zum Archiv-Bernd im Stau saß, war entschiedener: »Die Hälfte von denen hat doch CDU/FDP gewählt. Dann sollen sie auch konsequent sein und sich zum Fronteinsatz melden. Da kämen wir hier besser voran.«
Bernd total depressiv. Er archiviert immer noch alles Gedruckte, was ihm unter die Schere kommt. Hauswurfsendungen, Kassenbons, Urlaubsprospekte, Zeitungen, Fahrscheine, Pornoheftchen, Flugblätter... Alles heftet er ab und verschlagwortet es nach mysteriösem System in riesigen Zettelkästen. Wer anderes als Bernd wäre in der Lage, die globale Wirklichkeit zu überblicken? Materialmenge macht keine Probleme, erklärt er. Ist relativ auf dem laufenden. Schlagwort »Gi-Ga- Kri«: Artikel aus 'Washington Post‘ mit Giftgaskriegs-Szenario, militärische und ökologische Folgen. Schlagwort: »As-Bak-Ch«: diverse Artikel über Bedeutungslosigkeit des Außenministertreffens in der Schweiz. Schlagwort »Kriegsspra- Gensch-Zit«: »Wir sind froh, daß unsere Friedensinitiative auf breiter Front Erfolg hat.« Alles bestens sortiert. »Und — kannst du mir nun sagen, wo es langgeht?« Bernd schüttelt den Kopf. Rückt aber dann doch mit der Sprache raus: »Das Sein eines Archivars bestimmt sich aus einer exakten Rekonstruktion der Vergangenheit, die als Gegenwart unübersichtlich war. Wenn aber jetzt schon die Gegenwart Vergangenheit ist, weil die Zukunft Gegenwart ist — was soll's dann noch mit mir?« Christel Ehlert-Weber
Wird bis zum 16. Januar täglich fortgesetzt.
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