»Ich habe genügend Lehrgeld bezahlt«

■ Mikis Theodorakis über links und rechts und das alte griechische Prinzip der Demokratie als solches

Mikis Theodorakis, einst die Symbolfigur der griechischen Linken und inzwischen Minister der konservativen Regierung, glaubt an »keine Ismen mehr«. Als »Überlebender einer inzwischen getöteten Linken« vertraut er nur noch einem Prinzip; dem der »Demokratie«. Über den Gesinnungswandel des Komponisten sprach anläßlich seines bevorstehenden Berliner Konzerts in der HdKAsteris Kutulas.

Kutulas: Du bist jetzt als »unabhängiger Linker« Minister in einer »rechten Regierung«. Könntest du mir bitte diesen Widerspruch erklären?

Theodorakis: Ich wurde Anhänger der kommunistischen Linken während des Zweiten Weltkrieges, als sie jene Kraft darstellte, die in Griechenland für Freiheit und Demokratie eintrat. Aber schon während des sich anschließenden Bürgerkrieges nach 1945 wurde mir das größte Problem dieser Bewegung bewußt: ihre fehlende innerparteiliche Demokratie. Deshalb gehörte ich von 1949 bis zur Ermordung von Lambrakis 1963 keiner linken Organisation mehr an. In den Fünfzigern und Sechzigern wurde in Griechenland die Vereinigte Demokratische Linke (EDA) aufgebaut, die im Grunde die legale Organisation der damals illegalen Kommunistischen Partei darstellte, deren Führung aus dem sozialistischen Ausland die Fäden zog, also wiederum vollkommen undemokratisch Beschlüsse faßte. Darum hatte ich auch mit der EDA nichts am Hut. Als aber Grigoris Lambrakis 1963 ermordet wurde — über den der Film »Z« handelt — kam es zu einer Zusammenarbeit mit der EDA, mit der ich die Lambrakis-Jugendbewegung gründete, deren Vorsitzender ich wurde. In dieser Jugendbewegung setzten wir konsequent demokratische Strukturen durch, was zur Folge hatte, daß sie innerhalb eines Jahres etwa 300.000 Mitglieder zählte, wodurch sie zur größten politischen Organisation des Landes wurde.

Das war meine Antwort auf die undemokratischen Strukturen der EDA, gleichsam ein Entwurf der »anderen Linken«, so wie sie sich nach 1968 auch in verschiedenen anderen kommunistischen Parteien herauszubilden begann. Es kam zu großen internen Auseinandersetzungen, die aber intern blieben, weil tatsächlich andere Prioritäten gesetzt werden mußten: Die Rechte war damals faschistisch durchsetzt, übte die Regierungsgewalt mit polizeistaatlichen Mitteln aus und hatte in ihren Reihen noch ehemalige Nazikollaborateure.

Der Polizeistaat, der Thron und die Amerikanokratie waren damals die drei großen Stützen der rechten Regierungen, die eine absolut reaktionäre, obskuratistische Politik betrieben. So stand als dringliche Aufgabe vor der damaligen Opposition — der linken EDA und der Zentrumsunion — die Demokratisierung des Landes. Diesem Ziel diente ich damals fanatisch, genauso fanatisch, wie ich zugleich gegen die reaktionären und dogmatischen Kräfte innerhalb der kommunistisch geführten linken Bewegung auftrat. Ich wandte mich wiederholt gegen den Totalitarismus in der EDA, denn ich war mir sicher, daß sie im Falle einer Machtergreifung in der Gesellschaft einen ähnlichen Totalitarismus aufbauen würde.

Das brachte mich in krassen Gegensatz zur EDA-Führung, die mich daraufhin noch kurz vor der Diktatur 1967 als Vorsitzenden der Lambrakis-Jugend ablösen ließ. Als sich einige Monate später die Obristen an die Macht putschten, änderte das die Situation grundlegend. Nun war es nicht mehr wichtig, das Land weiter zu demokratisieren, sondern einzig und allein der Sturz der Junta. Alle politischen Differenzen wurden jetzt zweitrangig. Mir wurde sofort klar, daß der Charakter dieses Kampfes nur patriotischer Natur sein konnte, also jenseits von Parteigrenzen geführt werden müßte. Das veranlaßte mich, die »Patriotische Front« zu gründen, die mit allen politischen Gruppierungen gegen die Junta zusammenarbeiten sollte. Aber ich hatte mich verrechnet, denn sowohl Papandreous Sozialisten als auch die orthodoxen Kommunisten konnten auch in diesem Augenblick nicht über ihren eigenen Schatten springen. Also wandte ich mich 1973 an den im Exil lebenden Karamanlis und bot ihm an, eine Regierung zu bilden, die die Junta absetzen sollte. Das Entsetzen unter den Linken über den Vorschlag der »Lösung Karamanlis« war riesig. Dieser Vorschlag erwies sich aber als absolut realistisch, denn schon ein Jahr später war die Junta gestürzt und Karamanlis Ministerpräsident, zu dessen ersten Amtshandlungen die Legalisierung der seit 1945 illegalen Kommunistischen Partei gehörte!

Wie kamst du eigentlich dazu, dem ehemaligen konservativen Ministerpräsidenten Karamanlis, dieser Gallionsfigur der Rechten, diesen Vorschlag zu machen?

Die Junta hatte eine interessante Klärung mit sich gebracht, die mich überhaupt veranlaßt hatte, Karamanlis diesen Vorschlag zu unterbreiten: Die Junta erwies sich als eine Karikatur der Rechten. Und sie zog sofort einen unmißverständlichen Trennstrich zur demokratisch gesinnten Rechten, indem sie viele rechte Politiker, wie Herrn Kanelopoulus oder Herrn Mitsotakis, den heutigen Ministerpräsidenten, sowie eine ganze Anzahl von rechten Militärs einsperren ließ. Die Junta entpuppte sich als der faschistische Teil der Rechten. Das führte zu einem grundsätzlichen und folgenreichen Ergebnis: Die demokratische Rechte trennte sich ein für allemal von ihren extremistischen, faschistoiden Elementen. So verwundert es nicht, daß es der rechte Politiker Karamanlis war, der dann 1974 die verantwortlichen Obristen richten und einsperren ließ und sogar die Monarchie, die mit der Junta gemeinsame Sache gemacht hatte, abschaffte.

Dieser Prozeß war insofern von ausschlaggebender Bedeutung, weil die anderen beiden großen politischen Parteien in Griechenland, die Kommunisten und die Sozialisten (PASOK), diese Demokratisierung nicht durchgemacht und ihre faschistoiden und dogmatischen — also undemokratischen — Elemente noch in ihren Reihen haben. Jedem, der die griechischen Verhältnisse kennt, wird das einleuchten. Die inzwischen abgelöste skandalumwitterte Regierung Papandreous und der Machterhalt der orthodoxen Kommunisten innerhalb der kommunistischen Bewegung schienen mir eine große Gefahr für Griechenland zu sein.

Das ist auch der eigentliche Grund, weswegen ich als Unabhängiger in einer rechten Regierung einen Ministerposten angenommen habe, um in Griechenland — im besten Sinne des Wortes — europäische demokratische Verhältnisse durchsetzen zu helfen.

Zum anderen gibt es auch gar keine andere politische Kraft außer der konservativen Neuen Demokratie von Mitsotakis, die in der Lage wäre, das Land aus der Krise zu führen. Die Sozialisten unter Papandreou haben von 1981 bis 1989 regiert und das Land in den wirtschaftlichen und moralischen Ruin geführt. Und die kommunistische Linke hat mehr mit sich zu tun, als sich um die nationalen Belange des griechischen Volkes zu kümmern.

Trotzdem betrachtest du dich weiterhin als einen Linken?

Ich habe genügend Lehrgeld bezahlt und meine Enttäuschungen mit allen möglichen Ismen gehabt. Es reicht. Ich glaube an gar keine Ismen mehr. Ich vertraue inzwischen, nachdem das Christentum und der Islam im Heiligen Offizium und in Khomeini mündeten und nachdem die Idee des Kommunismus im totalitären Staat gipfelte, nur noch einem Prinzip: dem alten griechischen Prinzip der Demokratie. Es gibt nur den Kampf um Demokratie und Freiheit, nichts weiter. In diesem Sinne fühle ich mich als einen Überlebenden einer inzwischen getöteten Linken. Das Tragische an der ganzen Sache ist, daß wir unterm Strich froh sein müssen, den Bürgerkrieg verloren zu haben. Denn stell' dir vor, was unsere »Genossen« aus Griechenland gemacht hätten! Wir hätten womöglich das »bulgarische Modell« übernommen oder gar »rumänische Verhältnisse« gehabt...

Ich erinnere mich einer Veröffentlichung im 'Spiegel‘, die die ständige Änderung deiner politischen Haltung beschrieb. Wie du vom Kommunisten zum Sozialisten und nun zum Rechten würdest. Wie stehst du dazu?

Zu meinem Kommunisten-Dasein und meiner Beziehung zur Rechten habe ich bereits gesprochen. Meine sehr kurze Zusammenarbeit mit Papandreou hat einen ganz konkreten Hintergrund.

Sieht man sich den griechischen Staatshaushalt an, fällt etwas sofort auf: Er ist der anachronistischste in ganz Europa. Er reserviert fast 70 Prozent aller Ausgaben für Staat und Armee! Und ein Blick in die Verteilung des Bruttosozialprodukts verrät, daß Griechenland prozentual die höchsten Rüstungsausgaben der westlichen Welt hat, vor den USA und der Türkei. Ich habe versucht herauszufinden, warum das so ist. Weswegen geben wir soviel für Rüstung aus, wo wir doch das Geld ganz dringend für Bildung, Kultur und Gesundheitswesen brauchen? Die Antwort ist: wegen der türkischen Bedrohung! Warum hat die Türkei so große Rüstungsausgaben? Wegen der griechischen Bedrohung! Was steckte aber hinter dieser »Bedrohung«? Strategische Interessen? Unsere eigene Dummheit und Verantwortungslosigkeit?

Also fuhr ich 1986 in die Türkei und schlug einigen türkischen Intellektuellen vor, eine griechisch-türkische Freundschaftsgesellschaft zu gründen, was wir auch taten. Die damals regierende sozialistische PASOK stempelte mich daraufhin zum Verräter ab. Doch die Idee setzte sich sehr schnell durch und hatte in der Bevölkerung eine große Resonanz, so daß bald alle Parteien in der Freundschaftsgesellschaft vertreten waren.

Ein Jahr später traf sich der damalige Ministerpräsident Papandreou mit Turgut Özal in Davos. Ich war Vorsitzender der Freundschaftsgesellschaft und bot Papandreou sofort meine Mitarbeit und Hilfe bei der griechisch-türkischen Aussöhnung an. Das war meine selbstverständliche Pflicht, wenn ich unsere Arbeit ernst nehmen wollte. Für mich war nur eins ausschlaggebend: daß der griechische Ministerpräsident eine national verantwortliche Politik betreibt. Und für mich spielte meine Parteizugehörigkeit keine Rolle. So kam es, daß ich seine Botschaft persönlich Turgut Özal überbrachte. Es war ein Triumpf für unsere Freundschaftsgesellschaft: Papandreou, der noch vor einem Jahr ein Falke war, hatte sich um 180 Grad gewendet!

Damit war auch meine Zusammenarbeit mit Papandreou beendet, zumal er versuchte, aus ihr parteipolitisches Kapital zu schlagen. Auf keinen Fall war dieser Schritt ein parteipolitischer. Er diente einzig und allein dem Frieden und der Verständigung unserer beiden Völker.

Du bist Mitglied einer Regierung und mitverantwortlich für deren Politik. Wie fühlst du dich eigentlich dabei?

Ich hoffe, daß wir mit den kommenden Gesetzen helfen werden, Griechenland zu modernisieren und aus der Krise zu führen. Vieles ist natürlich unpopulär. So unpopulär wie ein Chirurg nur sein kann. Aber ich hoffe, daß die Ergebnisse positiv für unser Land sein werden. Jedenfalls bin ich mit dieser Sache ganz schön verstrickt. Es ist das erste Mal in meinem Leben, daß ich sozusagen nicht auf der Seite der Streikenden bin. Das ist für mich schon sehr seltsam, denn bislang war ich immer auf ihrer Seite. Ich kann mir das zwar rational erklären, aber emotional komme ich mit diesem Widerspruch nicht klar. Und mir ist auch bewußt, daß ich mit großem Einsatz spiele und alles verlieren kann.

Mikis Theodorakis ist aus Anlaß des Erscheinens seiner neuesten Plattenproduktion Theodorakis Sings Theodorakis auf seiner ersten Solo-Tournee. Am 5. Juni tritt er in der Hochschule der Künste auf.