piwik no script img

Ich bin ein Bergfriedhof!

Wie Monsieur Blaupopsch genarrt wurde und Mrs. Vanderpolster heftig erschrak. Zehn höchst jenseitige Miniaturen

von MARK SARG

Die engstirnige Leiche

Eine Leiche war so engstirnig, dass sie nicht und nicht begreifen wollte, dass sie eine Leiche war. Fortwährend lud sie sich selbst bei allen nur möglichen Leuten ein, konnte keine Party auslassen und war insbesondere von diplomatischen Empfängen ganz angetan. Da man ihr aber unschwer anmerkte, was sie war, wollte man sie nirgendwo und gab sich allergrößte Mühe, sie möglichst rasch wieder loszuwerden.

In ihrer Not suchte sie schließlich einen angesehenen Leichenberater auf – und gemeinsam heckten die beiden einen raffinierten Plan aus: Ab sofort hatte die Leiche ein Schild umgehängt mit der Aufschrift: „Trägerin des Ersten Preises für die beste Maskierung des Jahrhunderts.“

Und nun – oh Wunder über Wunder! – taten sich ihr überall Tür und Tor wie von selbst auf. Man riss sich geradezu um ihre Anwesenheit und brüstete sich damit, sie zu Gast gehabt zu haben. Ihre Beliebtheit nahm derartige Ausmaße an, dass sie letzlich sogar ins Parlament gewählt wurde. Und von da an dauerte es gar nicht lange, bis sie – als Krönung ihrer Laufbahn – per Volksentscheid Bundespräsidentin wurde!

Das jüngste Gericht

Um eine würdige Auswahl für seine verstorbene Frau zu treffen, weilte Monsieur César Schmauchfinger in den Schauräumen eines großen Bestattungsunternehmens. Von der enormen Vielfalt des Angebots bald erschöpft, ließ er sich in einen offen stehenden Sarg fallen, wo er – vom Personal unbemerkt – einschlief.

Als er nachts erwachte und sah, worin er lag, dachte er, er wäre tot. „Bin ich froh!“, frohlockte er. „Hat wenigstens die Sucherei ein Ende!“ Und zufrieden schlief er wieder ein.

Morgens geweckt von einer Putzfrau, die ihn schnarchen hörte, wähnte er sich vor dem Jüngsten Gericht, stand sogleich auf und salutierte artig. Als er ihren Kübel mit Wasser bemerkte, meinte er, eine „heilige Waschung“ stehe ihm bevor, und entkleidete sich ohne Umschweife völlig. Da alarmierte die Putzfrau die Polizei, und diese steckte ihn wegen „Vergehens gegen die Sittlichkeit“ in eine Zelle.

„Ich hätte nie gedacht, dass man sogar als Toter derlei Alpträume haben kann!“, seufzte er dort.

Die schleichende Dame

Frühabends sich seinem Hause nähernd, nahm Monsieur Edelhirsch Blaupopsch schon aus einiger Entfernung eine höchst seltsame Dame wahr, die im Garten umherschlich und dabei eine merkwürdige Truhe an einem Seil nachzog.

Energisch wollte er sie zur Rede stellen, doch in diesem Augenblick sprang der Deckel der Truhe auf, zwei kleine grüne Teufel mit violetten Hörnern galoppierten heraus und begannen ihn zu umtanzen. Unterdessen stieg die Dame in die Truhe, entkleidete sich dort in der Manier einer Stripteasetänzerin, um sich schließlich hinzulegen und den Deckel über sich zu schließen. Jetzt beendeten auch die beiden Teufel ihren Rundtanz und schlichen davon, indem jetzt sie die Truhe nachzogen.

Kopfschüttelnd wollte Monsieur Blaupopsch ins Haus gehen, da merkte er, dass der Fußabstreifer fehlte. „Hat sie doch etwas mitgehen lassen!“, fluchte er.

Die Wallfahrt nach Paris

Die Einwohner eines malerischen Bergfriedhofs führten untereinander eine Fragebogenaktion durch, mit dem Ziel, den Friedhof um einige Verbesserungen zu ersuchen. Das Ergebnis brachte zutage, dass die Leichen mit der Wohnqualität im allgemeinen zufrieden waren, wenn auch hie und da kleinere Mängel im Service moniert wurden. Hingegen kristallisierten sich zwei Hauptbeschwerdepunkte heraus:

Erstens die starren Öffnungszeiten des Friedhofs: Man wollte nach Wunsch auch abends oder nachts Besuche empfangen dürfen. (Begründung: Wir sind schließlich keine Kinder mehr!)

Zweitens wollte man andererseits den Kontakt zu Besuchern dadurch intensivieren und herzhafter gestalten, dass man nicht nur nächtens, wenn in der Regel keiner da war, sondern vor allem auch am hellichten Tage herumgeistern durfte.

Die Doyenne der Leichen, Gräfin Keffi Rösenstödt, übergab dem Friedhof das Umfrageergebnis. Der zeigte sich nicht im Geringsten beeindruckt. „Ich habe kein Verständnis für derlei Eskapaden. Ich bin ein Bergfriedhof und bei mir herrscht Zucht und Ordnung! Wenn euch das nicht passt, fahrt nach Paris meinetwegen!“, meinte er.

In einer daraufhin einberufenen Leichenversammlung beschloss man, den Vorschlag des Friedhofs wörtlich zu nehmen und eine Spendenaktion für eine Gruppenreise nach Paris zu starten. Man stellte an den markantesten Punkten des Friedhofs Behälter auf und versah sie mit Schildern, die allerdings über dem Vorschlag der raffinierten Gräfin die Aufschrift „Für eine Wallfahrt nach Paris“ trugen.

Und tatsächlich: Die Spekulation ging auf! Das Wörtchen „Wallfahrt“ übte derart magische Wirkung auf die Besucher aus, dass diese sich gar nicht erst fragten, wer da nach Paris reisen wolle, sondern automatisch vom guten Zweck überzeugt waren und ihre Geldbörsen entsprechend eifrig zückten.

Als Gräfin Rösentödt, die zur Verwaltung der Spenden bestimmt worden war, deren Ausmaß erkannte, konnte sie der Versuchung nicht widerstehen: Sie unterschlug das Geld, schnappte sich eine knackige Soldatenleiche, der nur leider der halbe Kopf fehlte, und fuhr mit dieser allein nach Paris.

Die Aufgeklärtheit

Nacht für Nacht heimgesucht wurde Madame Gulla Nervenkerl von einem Schreckgespenst, das sich – dicht an ihrem Bette stehend – unter fürchterlichen Drohgebärden ganz entsetzlich aufzuplustern pflegte. Gleichwohl hatte sie, neben verächtlichem Lächeln, immer nur eine Antwort parat: „Mich können Sie nicht erschrecken. Ich bin aufgeklärt! Machen Sie, dass Sie hinauskommen!“

Man weiß nicht, wie lange dieses seltsame Spiel währte. Bekannt hingegen ist: Als man Madame eines Morgens mit durchgedrückter Kehle fand, lag folgende Nachricht auf ihrem Nachttisch: „Ich sterbe mit Stolz, im Vollbewusstsein der Aufgeklärtheit!“

Für die Kriminalbeamten war diese „Information“ zur Aufklärung des Falles nicht eben hilfreich.

Die Selbstbeachtung

Überhaupt keine Beachtung hegte Professore Amilcare Hirnsprung für sich selbst. Er grüßte sich nicht, ignorierte sogar sein Spiegelbild und nahm insgesamt nicht die geringste Notiz von sich. So kam es, dass er – in seinem Arbeitszimmer auf und ab gehend – über seine eigenen Beine stolperte und sich eines davon brach.

Das brachte ihn zum Nachdenken, und er beschloss, sich künftig mehr Beachtung zu schenken. Vor allem gewöhnte er sich an, anzuklopfen, bevor er einen Raum in seinem Hause betrat, um sich zu vergewissern, dass er nicht schon darin sei.

Als er dergestalt eines Nachts an seine Schlafzimmertür klopfte und von drinnen eine fremde Männerstimme, die eindeutig nicht die seine war, aufmunternd rief: „Nur zu! Herein mit dir!“, traf ihn vor Schreck der Schlag.

„Das hat man nun davon, wenn man sich selbst zu viel Beachtung schenkt!“, war gerade noch sein Resümee.

Der Pflichtbesuch

Höllischer Lärm aus seiner Bibliothek versetzte Hofrat Augustus Treubischl in nächtlichen Alarm. Zitternd und bangend betrat er sie und traute seinen Augen kaum: Ein Gespenst – nur um ein solches konnte es sich dem Aussehen nach handeln – war im Begriff, alles kurz und klein zu schlagen. „Stören Sie mich nicht bei der Arbeit und alterieren Sie sich nicht!“, sagte es, als es seinen entsetzten Gesichtsausdruck bemerkte. „Ich bin desto rascher fertig und melde mich dann bei Ihnen. – Es handelt sich um einen reinen Pflichtbesuch“, fügte es wie zur Besänftigung hinzu.

Hilflos wankte der Hofrat wieder hinaus und ließ sich auf sein Bett fallen. Bald darauf erschien sein „Besucher“ auch schon, um sich höflich zu verabschieden – und wie nebenher noch zu bemerken: „Übrigens, beste Grüße von Ihrer Frau Gemahlin.“

Da entsann er sich schlagartig deren letzter Worte, ehe sie verschied: „Keine Angst, ich komme wieder! Wenn ich selber nicht kann, schicke ich jemanden!“

Die Leiche und die Lerche

Einen einsamen Waldweg entlangspazierend, begegnete eine Leiche einer Lerche. Die beiden fanden einander auf Anhieb so sympathisch, dass sie sofort einige wunderschöne Duette zu singen begannen. Ein neugierig herbeigeeilter Maikäfer begleitete sie auf seiner Miniaturgeige.

Immer noch ganz entflammt, kehrte abends die Leiche heim zu ihrem Sarg. Verwundert fragte dieser, wer sie denn in solch ausgelassene Stimmung versetzt habe. „Es war die Lerche und nicht die Nachtigall!“, gab sie zur Antwort.

Gestärkte Wäsche

Zum Bügeln bereitliegende Wäsche war durch die Wartezeit hungrig geworden und beschloss, noch rasch einen Imbiss zu verzehren.

Als dann die Dame des Hauses, Mrs. Hermi Vanderpolster, das Zimmer betrat, sprang ihr mit einem Satz die nunmehr gestärkte Wäsche entgegen, jagte die in Panik Kreischende hinaus und warf ihr das Bügeleisen hinterher.

Das schwarze Ungeheuer

Fräulein Frenizia Godekerl wollte morgens ihre Zähne putzen, als aus dem Abfluss des Waschbeckens ein schwarzes Ungeheuer auftauchte. „Ich bin sehr in Eile, ich habe einen Termin“, sagte Frl. Godekerl hektisch. „Ich bitte Sie, kommen Sie ein anderes Mal wieder!“ – „Wer sagt denn, dass ich zu Ihnen will, Sie eingebildete Person?!“, entgegnete das Ungeheuer. „Ich wollte mir nur mal rasch Ihre Zahnbürste leihen. Ich habe meine verlegt.“ Und es riss ihr die Zahnbürste aus der Hand und verschwand.

Da Frl. Godekerl die Bürste von dem Ungeheuer nicht zurückbekam, beschloss sie, mit ihm nicht mehr zu sprechen, falls sie ihm wieder begegnen sollte.

Anders als BECK, wohnhaft in Berlin, heißt MARK SARG in Wirklichkeit ganz anders. Er kam an Allerheiligen zur Welt und lebt in Wien

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen