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Ich bin ein 68er

■ Giuseppe Sinopoli über Götz Friedrich und seine Pläne in Dresden

Immerhin nehme ich eine alte Tradition auf“, sagt der italienische Stardirigent Giuseppe Sinopoli in einem ausführlichen Interview, das am Donnerstag im 'Corriere della Sera‘ erschien, „der erste Chef der Staatskapelle Dresden war ein Italiener, ein gewisser Antonio Scandella. Er leitete dieses älteste Orchester der Welt von 1568 bis 1580.“

Sinopoli erklärt in dem Interview, was ihn bewegt hat nach Dresden zu gehen: „Meine Beziehung zu Dresden datiert schon aus der Zeit vor dem Fall der Mauer. Zum ersten Mal habe ich dort 1988 dirigiert. Dabei ist ein besonderes Feeling zwischen uns entstanden, das vertieft zu werden verdient. Zum ersten Mal durften diese Musiker frei wählen, unabhängig von der Partei, und diese Musiker wählten mich. Und ich habe sofort zugesagt, trotz der Unsicherheiten, die es noch gibt. Zum Beispiel weiß ich noch nicht, wie und wie hoch ich für dieses Engagement bezahlt werde.“ Zur Orchestertradition der Staatskapelle Dresden sagt Sinopoli: „Technisch gesehen besitzt es herausragende, unvergleichliche Streicher. Seine Stärken hat es im deutschen Repertoire: Bruckner, Schumann und vor allem Strauss, der einige seiner Werke für die Staatskapelle komponiert hat.“ Mit einem Straussprogramm will Sinopoli auch das Orchester auf einer Europatournee und auf der Weltausstellung in Sevilla vorstellen. Das Orchester soll auch in Zukunft trotz Sinopolis Leitung offenbleiben für andere Dirigenten: „Ich verstehe das Orchester nicht als eine mir persönlich unterstehende Republik. Ich werde viele meiner berühmten Kollegen einladen, es zu dirigieren, von Haitink über Levine bis zu Colin Davies. Ich bin sicher, daß die Staatskapelle zusammen mit den Berlinern, dem Orchester des Bayerischen Rundfunks und dem von Leipzig zu den großen Klangkörpern in Deutschland zählen wird.“

Dem Engagement in Dresden war Sinopolis inzwischen notorischer Streit mit dem Chefintendanten der Deutschen Oper Berlin, Götz Friedrich, vorausgegangen. Sinopoli hatte den Streit kürzlich bei den Bayreuther Festspielen beendet, indem er seinen Vertrag, der ihn ab September als Generalmusikdirektor an das Berliner Haus binden sollte, kündigte. „Friedrich hat meine Forderungen allzusehr sabotiert. Aber es gibt keine persönliche Antipathie, nur unterschiedliche Sichtweisen. Ich wollte der Musik den ersten Rang im Opernhaus geben, Friedrich wollte die Regie bevorzugen. So mußte ich meinen Abschied erklären, obwohl der Berliner Senat und die Presse dagegen waren. Natürlich, ich habe die musikalischen Pläne für die Stadt ruiniert. Abbado sollte die Berliner leiten, Barenboim die Staatsoper und ich die Deutsche Oper. Aber das ist Friedrichs Schuld, er ist zu autoritär für jemanden wie mich, der aus der 68er -Generation kommt.“

„Also habe ich jetzt die Reise in der umgekehrten Richtung angetreten“, fügt Sinopoli im 'Corriere'-Interview hinzu, „ich emigriere vom Westen in den Osten. Ich habe Berlin verlassen, das Symbol der Einheit, um nach Dresden zu gehen, auf die andere Seite. Das hat zu starken Spannungen geführt. Der Einigungsprozeß scheint keine einfache Sache zu sein.“

Auch für Italien hat Sinopoli Pläne: „Für das Jahr 2000 habe ich einen großen Traum: ein italienisches Nationalorchester, aus den besten Musikern.“ Unmittelbarere Pläne sind allerdings gescheitert. Wagners Ring wird Sinopoli 1992 nicht an der Mailänder Scala dirigieren, sondern in Dresden.

taz

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