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IT im KlassenzimmerVoll digitalisierter Frontalunterricht

Schullehrer werden zu Webmastern. Auf der größten Bildungstechnik-Messe "Bett" liefern sich IT-Firmen eine Schlacht um den milliardenschweren Markt.

Erst eroberten die Computer die Kinderzimmer. Jetzt die Klassenzimmer. Bild: dpa

LONDON taz | "Es ist ein gewaltiger Markt, so viel ist sicher". Dan Buckley ist ein ruhiger Referent, der seine Worte mit viel Bedacht wählt. "Is this reasonable?", lautet seine Lieblingsformel, "Ist das vernünftig?". Buckley spricht lange über die sechs Revolutionen der Lehrerrolle für digitale Klassenzimmer. Geht es um den weltweiten Bildungsmarkt, kommt Buckleys Temperament voll in Fahrt.

Buckley und seine Firma Education Impact sind die Wandelversteher, -Berater und -Profiteure der digitalen Revolution. Sie beraten IT-Firmen und Schulen, wie sie am besten zueinander finden. Vielleicht werden sie auch überrollt vom online-Tsunami, der auf die Schulen zuschießt.

Nirgendwo kann man das besser sehen als auf der Bett 2012, der wichtigsten IT-Bildungs-Messe. Vielleicht sollte man besser Bildungstechnologie sagen. Denn auf der Londoner Bett werden Klassenzimmer zu Multimedia-Centern hochgerüstet: Elektronische Tafeln, Tablets und Textbooks, lauter intelligente Stifte und spacige Brillen. Und die alles entscheidende Frage: Wie groß ist das ideale Smartphone fürs Klassenzimmer? Da liegt Samsung mit seinen Bildschirmgrößen zwischen iPhone und iPad ganz gut.

Intelligente Tafel

Das Schaulaufen der Giganten gerät auf der wichtigsten EduTech-Messe der Welt zu einem freundlich brutalen Konkurrenzkampf: "Smartboards festigen ein antiquiertes Unterrichtsschema", keilt die 3D-Branche gegen den Marktführer in Lerntechnologie. Kritisiert wird hier, dass die intelligenten Tafeln die frontale Aufmerksamkeit der Schüler fesseln - Feuerzangenbowle mit digitalen Mitteln.

Nebenan ätzt das kollaborative Google mit seiner Doc-Plattform gegen den Monopolisten Microsoft. "Für jede zweite Frage muss der Schüler zum Webmaster der Schule", sagt der Googler. "Wieso lassen wir die Schüler ihre Videos und Audiodateien nicht selber hochladen?"

Und Intel, der Chiphersteller mit 43 Milliarden Dollar Umsatz, tut so als schwebe er über allem: "Uns geht es zuallererst um Bildung", sagt die pädagogische Beauftragte in einem der Intel-Lernforen. Da raunt einer der Zuhörer: "Klar, in welches Endgerät die ihre Chips einbauen, ist denen doch egal."

Das stimmt und ist gleichzeitig auch falsch, wie zuletzt das türkische Beispiel zeigt: Die türkische Regierung wollte 15 Millionen Tablets für Schulen kaufen und Intel gab sofort ein Gebot ab, obwohl die gar keine Tablets im regulären Angebot haben. Intel bot angeblich sogar an, in der Türkei ein Entwicklungszentrum zu bauen. Mit Intel bieten auch Microsoft – ebenfalls kein Tablet-Hersteller – und der schicke Marktführer Apple Gebote ab. Von 70 Millionen Türken sind ein Viertel Schüler – nahezu jeder von ihnen soll ein Tablet bekommen.

Das sind die Größenordnungen, von denen die Branchenriesen träumen: ganze Länder komplett zu digitalisieren. Der Pisa-Newcomer Korea will bis 2015 alle alten Schulbücher auf E-Books kopieren und zusätzlich die Klassenzimmer mit Elektronik vollstopfen. Die Koreaner haben eine eigene starke IT-Industrie mit LG-Electronics oder Samsung, die vom Telefon bis zum Chip alles selber herstellen können. Die Konkurrenz ist hart, die Standards wechseln schnell. "Wir haben keine IT-Industrie mehr", sagt ein deutscher Berater zerknirscht, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen mag.

Verpassen die Deutschen wieder den Anschluss?

Alle warten nur darauf, dass der schlafende europäische Riese erwacht. Wann gibt Deutschland den Auftrag für die Vollabdeckung der Klassenzimmer? Zuletzt hat Bildungsministerin Annette Schavan 2009 davon gesprochen. In ganz Europa fragt man sich: Verpassen die Deutschen nach Pisa zum zweiten Mal den Anschluss?

Die Frage der Intel-Didaktikerin Sabine Huber bleibt freilich allzu oft unbeantwortet: "Wofür ist digitales Lernen gut? Was haben sie davon – im Vergleich zum alten Lernen mit dem Buch?". Am Stand von Espresso-Education, einem britischen Lernsoftware-Entwickler, der auf der Insel, in USA, Kanada und Australien verkauft, laufen viele Lehrer nach wenigen Minuten entnervt davon. Kindergartenkinder und Grundschüler werden in einem Meer von Animationen, Aktivitäten und Fragespielen ertränkt.

Als ein Mann am Stand von Espresso fragt, was die Animationen mit der Lebenswirklichkeit der Schüler zu tun haben, antwortet die Espresso-Werberin: "Wir verkaufen das, was die britische Regierung von den Kindern zu lernen verlangt". Der Lehrplan als Wirklichkeit. Das ist die schmale Basis vieler IT-Lernprodukte. Stand 2012.

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7 Kommentare

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  • PM
    Peter M.

    wie kommt das? nicht in einem kommentar zustimmung. sind das alles nur dumme menschen, im besten fall dumme lehrer, die sich nicht bewegen wollen?

     

    oder greift christian füller mit seinen berichten zu schule2.0 zu kurz. ich bin selbst kein lehrer und denke mir, dass schulen gut daran tun, auf einem technisch sinnvollen stand zu sein.

     

    aber: es leuchtet ein, dass dies allein es nicht besser macht. und weiß gott nicht alles, was ich vom pcs kenne, ist sinnvoll für unsere jugendlichen und unsere schulen.

     

    herr füller?

  • L
    lilie

    Eine technische Vollausrüstung von Klassenzimmern ändert noch nichts am Lehr-Lernarrangement. Didaktik beinhaltet mehr als Reiz-Reaktion-Schemata sowie sie in vielen Computerprogrammen zu finden sind und langweilt nach einiger Zeit. Auch sofortige Rückmeldungen auf Eingaben bedingen noch keine bessere Lernbereitschaft der SchülerInnen, also keine bessere "(Aus-)Bildung" oder Austesten von demokratischen Handlungoptionen. Gegebenenfalls könnten sich SchülerInnen noch einfacher ablenken und konsumieren, denn auch der Umgang mit Medien muss erlernt werden und hängt nicht nur von Schule ab sondern auch dem sozialen Umfeld.

    Grundsätzlich ändert sich erstmals an den psychologischen und neuronalen Prozessen des Lernens nichts nur das Medium ist ein anderes geworden.

  • U
    ulschmitz

    1. wer zahlt die anschaffungskosten?

    2. wer zahlt die kosten aus dem laufenden betrieb?

    3. bleiben die alten tafeln als reserve?

    4. welche copyrights muss ich beachten, was darf ich tatsächlich zeigen?

    5. das gerede von der "digitalen revolution" kann einem schon auf den wecker gehen; was passiert, wenn der ganze technik-kram mal ausfällt?

    5a. immer noch fallen die leutchen auf das geblubber von "modernen medien" herein, als wäre mit dem attribut "modern" dann per aktueller - und schnell veralteter - technik modernität des unterrichts garantiert;

    5b. tatsächlich geht es doch auch darum, den lehrerberuf zu entwerten, aus lehrerInnen bezahlte zwerge zu machen, die für jeden blödsinn zu kaufen / zu haben sind;

    5c. jetzt fehlt nur noch, dass irgendein trollo die "skinner-box" wieder hervorkramt, die wurde ja in den 1960er jahren in den medien als zukunft der schule und der lernens verkauft, die "skinner box" ollte obendrein lehrerInnen überflüssig machen;

    5d. ein ähnlicher käse wurde dann angerührt, als alle schulen dringend ein "sprachlabor" brauchten - und, wo sind sie, die sch...teuren anschaffungen? wo gibt es sie noch? welche schule quält ich noch mit sprachlaboren ab?

    6. der milliardenmarkt ist ein erzwungener markt, weil es schulpflicht gibt; er ist deshalb grundsätzlich abzulehnen;

    7. warum sollen eh von medien umstellte, was age ich: geistig längst zugestelte schülerInnen auch noch in der schule per medien terrorisiert werden; das ist doch heute schon so: vorne versucht ein eigens eingeflogener prof die probleme der regenerativen energien zu entwickeln, mindestens 20-30 schülerInnen der oberstufe daddeln auf ihren handys herum, um den krankheitszustand ihrer hirne auf möglichs hohem niveau zu halten. 10 minuten ohne SMS - und die lieben lernerInnen drehen durch.

    8. Erster Preis: eine therapie!

  • N
    Nepeta

    Die digitale Revolution im Klassenzimmer ermöglicht mehr Schüler mit Hilfe der besten Informationen und didaktische Programme aus zu bilden, und ich stimme Anreas H. bei, daß ein solches Vorgehen schwache Lehrer unterstützen würde. Alles, was man tun kann um unsere Jugend lernen zu lassen, soll man, und da digitales von ihr als interessanter als Papier und Kreide auf Tafeln empfunden wird, alles prima: Tempora mutantur, nos et mutamur in illis.

     

    Die Konzentration der Kenntnisse aber, die die neuesten technischen Entwicklungen ermöglichen, finde ich insofern gefährlich, dass sie Schulen, Lehrer und Schüler in unselbstständige, unkritische Konsumenten verwandeln kann. Unsere Schulen dürften künftig wie McDonalds gerunnt werden, wobei die Lehrer nur aufwärmen und präsentieren was vom Bildungsministerium übers Internet die Klasse herein kommt. Wenn es dazu käme, würde die ganze Nation zu Fett, und nicht nur im Körper.

     

    Ein besseres Modell scheint mir eine Art Kopie der Khan Akademie(, wobei alle Lehrer aber dazu beitragen und selbst auf Schul- oder Fachebene selbstständig ihren Unterricht organisieren: Technologie ist gut, darf aber nicht zum Ersatz der Lehrerfähigkeit werden.

     

    *http://de.wikipedia.org/wiki/Khan_Academy

  • BZ
    Bastiaan Zapf

    Hier von einem "Milliardenmarkt" zu sprechen, ohne dies Angesichts der Existenz von Open-Source-Software (und Schulbüchern?) und tonnenweise Gebrauchtgerät aus den Behörden zu hinterfragen, ist doch nichts als Werbung für eben diesen.

     

    Und stattdessen wird alles mögliche Hinterfragt und mal wieder "die Bildungsdebatte" durch den Wolf gedreht - ohne neue Erkenntnisse zu liefern.

     

    Das größte Problem an Schulen dürfte nach wie vor das der Gewalt sein. Siehe Pfeiffer.

     

    Ich bin enttäuscht über diesen Artikel.

  • R
    Rüdiger

    Was nützt dieser Technik-Schnickschnack, wenn die Kinder nicht intelligenter werden, siehe Pisa.

     

    Unsere Eltern haben mit Schiefertafeln mehr gelernt als die Kinder mit IT heute.

    Es liegt also am sinkenden Potential der Kinder nicht an den Lehrmitteln.

  • AH
    Andreas H.

    Ohne den richtigen Umgang mit den digitalen Medien bringt es auch nix, dass man sie einfach in die Schulen hineinpresst. Lehrer wissen zumeist nicht, wie sie damit umgehen sollen und Kinder denken, dass das ein schönes Spielzeug ist.

     

    Letztens habe ich einem 3-jährigen mal mein iPad gezeigt. Was war so toll daran? Applikation starten und schließen, dann andere Applikation starten und wieder schließen. Das könnte der Kleine den ganzen Tag machen. Es ist einfach nur dieses reaktive, was es so interessant macht. Ein Buch reagiert nicht, wenn ein Kind das liest, deshalb fehlt zumindest da der Reiz an Büchern. Kinder brauchen Feedback und wenn ich die ganzen Geschichten höre, wie Lehrer heutzutage mit den Kleinen umspringen, wäre mir ein technisches Gerät, wo Leute mit Herz und Seele dran gearbeitet haben, viel lieber als ein Lehrer ohne Herz und Seele. Auch Lehrer leben manchmal an der Realität vorbei, denn es sind nun mal Kinder und ohne Spaß am Unterricht und am Lernen wird den Kindern nichts beigebracht. Die Kinder haben noch genug Zeit, sich ernsthaft (also ohne viel Spaß) mit Themen zu beschäftigen.