INTERVIEW: N.Andrejewa: Dreimal Nein!
■ Die Sprecherin der Dogmatiker in der KPdSU sieht die kapitalistische Restauration als Gemeinschaftswerk von Bush und Gorbatschow
Die Dozentin des „Lensowjet“-Technischen Instituts, Nina Alexandrowna Andrejewa, wurde am 14.April 1988 weltberühmt, als in der Zeitung 'Sowjetskaja Rossija‘ ihr Artikel „Ich kann meine Prinzipien nicht opfern“ erschien. Es war dies die erste heftige öffentliche Kritik von „rechts“ an der Perestroika-Politik Michail Gorbatschows. Heute propagiert Nina Andrejewas Gruppe — hauptsächlich Leningrader Kommunisten — „Jedinstwo“ (Einheit) die Einberufung eines zwanzigsten Parteitags der allrussischen (!) Kommunistischen Partei (Bolschewiki). Ziel: Wiederbelebung einer Partei Stalinschen Typs.
Mit Nina Andrejewa sprachen für die taz in Leningrad Maxim Korschow und Konstantin Trifonow.
taz: Ihre Kampfgenossen haben Sie als Alternative zu Michail Gorbatschow nominiert. Verspüren Sie in sich die Kraft, den Posten des Präsidenten einzunehmen?
Nina Andrejewa: Unsere Organisation hält die Einrichtung eines Präsidentenpostens in der UdSSR für verfassungswidrig und die präsidiale Gewalt als Institution für einen Anachronismus, der dazu dient, die Sowjetmacht zu liquidieren. Das ist ein Abrücken von der Volksherrschaft, ein Weg, der direkt zur Errichtung einer bourgeoisen Diktatur führt. Deshalb bin ich bereit, den Posten des Generalsekretärs einer bolschewistischen Partei einzunehmen, die im Falle einer extremen Zuspitzung der Lage die Verantwortung für die Situation im Lande auf sich nehmen wird.
Auf welchem Wege werden Sie ihre Kandidatur durchsetzen?
Dies wird auf dem neunundzwanzigsten außerordentlichen Parteitag der KPdSU geschehen, der in Kürze zusammentreten sollte. Neben anderen Fragen wird unsere Gesellschaft dort auch einen politischen Mißtrauensantrag gegen Gorbatschow vorbringen. In einer kommunistischen Partei ist für Leute wie ihn und seine Bundesgenossen kein Platz. Eine völlige Säuberung der Partei ist unumgänglich. Was die zentralen Parteiorgane jetzt treiben, wird zur Entstehung einer Bourgeoisie führen, ich würde sagen, einer äußerst reaktionären, profaschistischen Bourgeoisie.
Wie schätzen Sie Boris Jelzin ein?
Äußerst negativ. Jelzin und Gorbatschow ziehen an einem Strang. Sie treiben das Land bewußt in den völligen Ruin, nur mit verschiedenen Methoden. Während Gorbatschow manövriert, geht Jelzin rücksichtslos über Stock und Stein. Das Ziel — die Errichtung des Kapitalismus in Rußland und in der UdSSR — bleibt das gleiche.
Einige der letzten „Ukase“ Gorbatschows zeugen immerhin davon, daß er die Union als einheitliche Weltmacht erhalten möchte.
All seine Ukase sind nur ein Ablenkungsmanöver. Als Resultat der in den letzten fünf Jahren durchgeführten Gorbatschowschen Reformen ist unser Land schwerkrank. Und der Glaube, daß diese halben Maßnahmen in unserem Lande Ordnung schaffen können, ist einfach unseriös. All unser Elend rührt daher, daß wir versuchen, einen Menschen umzuerziehen, der sich im Laufe von siebzig Jahren Sowjetherrschaft an einen völlig anderen Lebensstil gewöhnt hat, der an permanenten sozialen Schutz gewöhnt ist. Und gerade das Eindringen kapitalistischer Beziehungen in unser Leben ist die Quelle all unserer Leiden.
Hat Ihre zukünftige Partei ein Programm für die Zeit nach der Machtübernahme?
Unsere Plattform ist im wesentlichen ausgearbeitet. Die Hauptsache dabei ist das Nein zum Kapitalismus, das Nein zur Marktwirtschaft, das Nein zum Privateigentum an Grund und Boden und an Produktionsmitteln. Alles andere ergibt sich daraus.
Wie viele Mitglieder haben Sie im Lande insgesamt?
Etwa dreißig- bis vierzigtausend Aktivisten. Dazu kommen allerdings noch viele Mitglieder, die nicht aktiv genug arbeiten, das hängt von vielen Umständen ab. (...) Ich kann von vielen Fällen der Hetze gegen unsere Anhänger und auch gegen mich erzählen. Nach der Veröffentlichung meines Artikels in der 'Sowjetskaja Rossija‘ wurde gegen mich und meine Familie ein regelrechter Terror entfaltet. Deshalb hat unser Exekutivkomitee entschieden, daß Genossen, die es nicht für möglich halten, ihre „Jedinstwo“-Zugehörigkeit öffentlich zu bekennen, dies auch bleibenlassen dürfen. (...) Der Durchschnitt unserer Mitglieder ist sehr qualifiziert, wir haben ein eigenes ideologisch-prognostisches Zentrum, eine Fachgruppe für Wirtschaft. Es liegt ein Programm für den Kampf mit dem Antikommunismus vor, jetzt stehen wir vor dem Abschluß eines Programms zur Bolschewisierung der KPdSU. Das Ziel besteht dabei darin, die KPdSU als Partei der Arbeiterklasse, der körperlich arbeitenden Bauernschaft und der marxistisch-leninistischen Intelligenz entsprechend den Prinzipien des demokratischen Sozialismus wiederzubeleben.
Glauben Sie an den Erfolg Ihrer Sache?
Das Leben der menschlichen Gesellschaft wird durch objektive Gesetze geregelt. Und die historische Logik ist auf seiten des sozialistischen Entwicklungsweges. Weil nämlich die sozialistische Gesellschaft als Ordnung über der kapitalistischen steht. Ich bin überzeugt, daß der Niedergang, der sich jetzt in unserem Lande vollzieht, auch auf den Lebensstandard der Arbeiterklasse im Westen Auswirkungen haben wird. Früher waren die Kapitalisten gezwungen, ihren Arbeitern gewisse Vorteile zu gewähren, damit diese besser lebten als die Menschen in der UdSSR. Jetzt können sie darauf verzichten. Der Zerfall des sozialistischen Systems in der UdSSR verstärkt die Ausbeutung der Arbeiter im Westen, was objektiv zur Verschärfung der Widersprüche zwischen den Staaten führen wird.
Und zu einem dritten Weltkrieg?
Ganz richtig. Die deutsche Wiedervereinigung, genauer gesagt das Verschlingen der DDR durch die Bundesrepublik, macht einen Weltkrieg auf der europäischen Tagesordnung wieder möglich. Es stimmt allerdings, daß die deutsche Frage durch den Konflikt am Persischen Golf in den Hintergrund gedrängt worden ist. Dieser Krieg: 28 hochentwickelte Länder gegen den kleinen Irak — das war einfach barbarisch. Heute steht der Westen an der Schwelle einer gewaltigen Krise. Deshalb hat man sich entschlossen, im Irak Krieg zu führen. Deshalb versucht man heute, die UdSSR als Rohstoffbasis zu gewinnen, als Einkaufsmarkt für billige Arbeitskräfte und als Absatzmarkt für billige minderwertige Waren, die man zu Hause nicht loswerden kann. Und sehen Sie: Mit Hilfe der gegenwärtigen Führung hat es der Westen geschafft, die ganze sowjetische Wirtschaft zu ruinieren. Man kann sagen, daß der Westen die „Perestroika“ bei uns talentiert durchgeführt hat.
Der Westen?
So ist es. Erst kürzlich habe ich von westlichen, besonders belgischen Kommunisten Material darüber bekommen, daß die „Gorbastroika“ im Interesse der USA und Bushs vollzogen wurde.
Insgesamt möchte ich bemerken, daß der Prozeß der Wiedergeburt der Arbeiterbewegung in der Welt jetzt schon begonnen hat — nach dem Schock, der auf den Zerfall des Blockes der sozialistischen Länder folgte, an den Bush und Gorbatschow gemeinsam Hand angelegt haben. Ja, und was erwartet uns jetzt alle? Hunger und Arbeitslosigkeit. Sehen Sie sich nur die ehemalige DDR an. Wie viele Menschen finden sich jetzt dort auf der Straße wieder? Genauso wird es auch bei uns werden.
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