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INTERVIEW„Man kann das Blut nicht hundertprozentig sicher machen“

■ Zwei Patienten der Berliner Charité, darunter ein siebenjähriger Junge, sind durch eine Blutkonserve mit dem HIV-Virus infiziert worden Professor Meinrad Koch vom Aids-Zentrum des Bundesgesundheitsamtes: Die Gefahr, sich durch Blutkonserven zu infizieren, ist „ungeheuer klein“

taz: Wie sicher sind Bluttranfusionen? Wie groß ist das Restrisiko, sich dabei mit dem HIV-Virus zu infizieren?

Meinrad Koch: Das Risiko, sich bei einer Blutübertragung mit dem Virus zu infizieren, wird auf 1:300.000 bis 1:1.000.000 geschätzt.

Wer trägt nun in diesem konkreten Fall die Schuld: die Charité oder die Blutbank?

Aufgrund der Informationen, die mir vorliegen, trifft die Blutbank in diesem Fall keine Schuld. Sie hat die vorgeschriebenen Tests durchgeführt und die Spender gefragt, ob eine HIV-Infektion vorliegen könnte. Aufgrund der Testergebnisse und der Auskünfte wurde die Blutkonserve dann freigegeben.

Der Spender hatte sich kurz zuvor infiziert, was er selbst nicht wußte. Seine Blutspende wurde acht Tage später an die Charité weitergegeben. Ist das nicht zu früh?

Das Blut ist nur bis zu einem begrenzten Zeitraum lagerfähig. Es läßt sich nicht zweimal testen, das ist technisch nicht möglich. Deshalb muß man sich fragen, ob dieses Risiko 1:300.000 tolerabel ist für jemanden, dem unter Umständen mit dem Blut das Leben gerettet werden kann. Man kann das Blut nicht hundertprozentig sicher machen.

Reichen die Testmethoden aus, um sofort festzustellen, ob Antikörper im Blut sind? Ab wann zeigen sich die Antikörper?

Sie lassen sich nie am ersten Tag ausfindig machen, sondern erst drei bis sechs Wochen nach der Infektion feststellen. Versuche, über einen direkten Virusnachweis das Blut zu untersuchen, zeigen, daß es zwar technisch machbar wäre, aber nur mit ungeheurem finanziellen Aufwand.

Also muß das Blut doch mindestens drei Wochen in der Blutbank bleiben?

Dafür plädiere ich nicht. Wir müssen uns immer wieder vor Augen halten, daß die Häufigkeit, sich zu infizieren, ungeheuer klein ist.

Also bleibt für alle, die operiert werden müssen, die Bluttransfusion ein Risiko, sich mit dem HIV-Virus zu infizieren.

Das Risiko ist sehr gering. Nehmen wir ein Beispiel: Ich hatte eine schwere Herzoperation und kann nur mit einem Spenderherzen weiterleben. Das zu mir passende Herz, mit dem ich noch fünf bis zehn Jahre weiterleben könnte, ist jedoch von einem HIV-Infizierten. Wie soll ich entscheiden? Kann ich dem Patienten zumuten, dieses Risiko zu tolerieren? Man muß es im Verhältnis zur Lebenserwartung des Patienten stellen, der eine Transfusion bekommt.

Es handelt sich in diesem Fall um einen sehr jungen Patienten, der infiziert wurde.

Vermutlich war es ein Notfall. Also wenn er die Bluttransfusion nicht bekommen hätte, wäre er möglicherweise gestorben. Aber wir müssen ganz offen zugeben, daß ein Blutspender, der sich gerade erst mit dem Virus infiziert hat, mit den heute und in absehbarer Zeit möglichen analytischen Verfahren nicht als solcher auszumachen ist.

Wird generell zuviel auf Blutkonserven zurückgegriffen?

Das ist sehr schwierig zu beantworten. Untersuchungen zufolge war wohl ein nicht unerheblicher Teil von Blutspenden überflüssig.

Insgesamt sind 16 Patienten bei der Berliner Charité von der Transfusion betroffen, zwei davon sind inzwischen HIV-infiziert. Wie hoch ist das Risiko bei den anderen?

Das kann ich nicht sagen. Bei Plasmaspenden empfehlen wir, es nur dann zu verwenden, wenn eine Zweituntersuchung vorliegt. Das kann man aber nur machen, wenn man einen ausreichenden Pool von Spendern hat. Wenn die Blutbanken, wie in Berlin, von der Hand in den Mund leben, ist diese Zweituntersuchung gar nicht möglich. Deshalb sind wir alle aufgefordert, eine Reserve zu schaffen. Interview: Bärbel Petersen

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