INTERVIEW: Ein Sicherheitsnetz für Shamir
Yael Dayan über die Aussichten einer Nahost-Konferenz ■ Die israelische Schriftstellerin und Politikerin Yael Dayan ist Mitglied des Zentralkomitees der oppositionellen Arbeiterpartei und engagiert sich in der „Friedensbewegung" Peace Now. Wegen ihres Einsatzes für eine israelisch-palästinensische Verständigung — sie tritt für eine Zwei-Staaten-Lösung ein — wurde sie in diesem Jahr mit dem Kreisky-Preis für Menschenrechte ausgezeichnet.
taz: Die Friedensbemühungen im Nahen Osten werden von einigen als ein zweites Camp David bezeichnet. Damals schlossen Israel und Ägypten einen Separatfrieden; den Palästinensern wurde lediglich eine Autonomie-Regelung in Aussicht gestellt, die sich niemals realisierte. Halten Sie diesen Vergleich für gerechtfertigt?
Yael Dayan: Es gibt Ähnlichkeiten, weil Rußland keine sehr große Rolle spielt. Die Vermittler sind die USA und Ägypten, das bei Camp David allerdings Teilnehmer, nicht Vermittler war. Ich bezweifle, daß das, was Shamir „direkte Gespräche“ nennt, tatsächlich zustande kommt. Ich kann mir nicht vorstellen, daß Assad und Shamir sich länger als zwei Minuten treffen können, ohne in die Luft zu gehen. Ich bin sicher, daß die Amerikaner und Russen mit am Tisch sitzen werden. Selbst der Camp-David-Prozeß dauerte zwei Jahre, und Begin (der damalige israelische Ministerpräsident, d.Red.) kam nur zur Unterzeichnung.
Entscheidend ist vielmehr, Arbeitsgruppen zusammenzustellen, die auch wirklich miteinander arbeiten können. Außerdem ist es wichtig, eine Explosion gleich zu Beginn zu verhindern. Später wird es genügend Zeit und genügend gegenseitiges Interesse geben. Jetzt müssen wir darauf hinwirken, daß die Palästinenser an der Konferenz teilnehmen, unter welchen Bedingungen auch immer. Wenn sie jetzt nicht teilnehmen, wird die Welt ihnen nicht hinterherlaufen. Sie stehen nun vor einer sehr mutigen Entscheidung. Wer dann von ihnen am Tisch sitzt, ist unwichtig, im Geiste und als Ratgeber wird Arafat an ihrer Seite sein. Wenn sich der Palästinensische Nationalrat jedoch gegen eine Teilnahme an der Konferenz entscheiden, wird Shamir der glücklichste Mann der Welt sein und die nächsten Wahlen gewinnen.
Während sich US-Außenminister James Baker bemüht, den Friedensprozeß in Gang zu bringen, verstärkt Wohnungsbauminister Ariel Sharon vor Ort sein Siedlungsprogramm derart, daß für die Palästinenser in der Westbank lediglich zwei Reservate übrig bleiben werden. Worüber kann man da überhaupt noch verhandeln?
Was Sharon da unternimmt, ist sehr schädlich auf der Ebene des Bodens, aber nicht der Bevölkerung. Seit dem Golfkrieg wird Land illegal konfisziert, aber Bewohner werden nicht vertrieben. Das ist umkehrbar. Was nicht umkehrbar ist, betrifft die großen Städte, die früher errichtet wurden. Wenn es zu einer Konferenz kommt, wird auch das auf der Tagesordnung stehen. Das weiß auch Shamir. Er hat nicht gesagt, daß er nicht über die Siedlungen sprechen wird, er weigert sich nur, als eine Vorbedingung den Bau von Siedlungen einzustellen. Deshalb sollten die Palästinenser auch an den Gesprächen interessiert sein. Nichts kann sie daran hindern, diese Frage sofort auf die Tagesordnung zu setzen. Shamir wird das akzeptieren müssen, da er sich in der Minderheit befinden wird. Niemand wird ihn unterstützen.
Glauben Sie angesichts der unterschiedlichen Positionen im Likud-Block, daß es dennoch eher zu einer Lösung kommen könnte, als wenn die Arbeiterpartei an der Macht wäre?
Nein, aber es ist leichter, zu einer Autonomie-Regelung zu kommen. Die Autonomie mag zwar das letzte Wort Shamirs sein, aber die USA und Europa sollten garantieren, daß es sich dabei nur um eine Übergangsregelung handelt.
Übergangsregelungen können sich als außerordentlich zählebig erweisen.
Im Falle von Camp David war von fünf Jahren die Rede. Gehen wir heute von einem Zeitraum von drei Jahren aus — das ist nicht sehr lange. Drei Jahre, in denen es im Rahmen der Autonomie eine gewählte palästinensische Körperschaft geben wird, in denen die Diskussionen weitergehen, bis es zu einer Einigung über den endgültigen Status der besetzten Gebiete kommt. Das ist auch für Shamir akzeptabel.
Und die endgültige Regelung?
Für Shamir: die Autonomie. Für die Palästinenser eine Autonomie- Regelung, die ihnen das Recht gibt, am Ende dieser Periode zu entscheiden, was sie wollen, vorausgesetzt, der Terror wird eingestellt und Israel anerkannt. Die Amerikaner, Ägypter, Russen sollten den Palästinensern ihre völlige Unterstützung zusichern, wenn sie nach den drei Jahren entscheiden, eine Föderation mit Jordanien einzugehen, wie es jetzt heißt. Eine solche Garantie werden sie von Shamir niemals bekommen, da er strikt dagegen ist.
Sollte das Ausland also Druck auf Israel ausüben?
Politischen Druck. Aber ich glaube, das wird gar nicht notwendig sein. Wenn die Autonomie funktionniert, wird die gegenwärtige israelische Regierung nicht überleben. Es wird sich herausstellen, daß der einzige Weg zu einem wirklichen Frieden und einer wirklichen Kooperation der Weg zu einer Trennung auf Dauer ist. Drei Jahre stabile Autonomie mit einer starken palästinensischen Infrastruktur, mit Hilfe aus Europa, um die Flüchtlinge in den Lagern anzusiedlen, mit Ansätzen der Demokratisierung, dem Ausbau des Erziehungs- und Gesundheitssystems, dem Aufbau kleiner Fabriken, mit Exporten in die arabischen Länder: da wird sich ein palästinensischer De-facto-Staat herausbilden. Kein Shamir wird sagen können: Moment mal, wir wollen, daß die Palästinenser Steuern zahlen, wir wollen nicht, daß sie eine Flagge hissen, sonst schicken wir unsere Panzer. In der zionistischen Bewegung wurde das der „Staat auf der Straße“ genannt, und es gab ihn über 20 Jahre lang. Wir hatten alles, bis auf die Fahne und Pässe.
Sie würden den Palästinensern also vorschlagen, dem zionistischen Beispiel zu folgen und Fakten zu schaffen?
Ja, aber ich glaube, daß es dabei ein großes Problem gibt. Wir hatten viele Parteien und zahlreiche Debatten, aber die meisten Juden blickten auf eine demokratische Tradition zurück oder bezogen sich auf die russische Revolution. Für sie handelte es sich auch um ein soziales Experiment, nicht nur um ein politischs Ziel. Die Palästinenser dagegen werden durch ihren Haß auf die Besatzung zusammengehalten, weniger durch ein positiv formuliertes Ziel.
Ich glaube daher, daß die Übergangsperiode für Israel wichtig, für die Palästinenser aber ganz entscheidend ist. Sie müssen irgendeine Art von Rechtssystem entwickeln. Es gibt keine Polizei, keine Gerichtsverfahren, die Leute schließen sich ein, weil sie Angst vor Einbrechern haben; jeder kann sich eine Maske aufsetzen und von einer 'patriotischen Aktion‘ sprechen. Ich möchte gerne davon ausgehen, daß die Palästinenser sich dieses Problems und der Notwendigkjeit einer Übergangsperiode bewußt sind. Das möchte auch Shamir, und daher muß man mit dem Teufel gehen, zumindest den Teil des Weges, den er zu gehen bereit ist.
Unterstützt die Arbeiterpartei in dieser Situation den Ministerpräsidenten?
Wenn er an der Konferenz teilnimmt, ja, sonst nicht. Man sollte ihn unterstützen, damit er nicht als Ausrede auf den rechten Parteiflügel verweist, der bereits seinen Austritt aus der Regierung angekündigt hat, falls es zu einer Konferenz kommt. Die Arbeiterpartei und die linken Parteien werden sicherstellen, daß Shamir auch ohne die extreme Rechte eine überwältigende Mehrheit hinter sich hat, falls er in der Knesset Probleme bekommen sollte, eine Stimmenmehrheit für die Konferenz zu bekommen. Wir werden dafür sorgen, daß Shamir nicht ohne Netz und doppelten Boden im Parlament dasteht. Interview: Beate Seel
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