INTERVIEW: „Die Ausgrenzung hier ist das entscheidende Problem“
■ Friedensforscher Albert Statz, Gastprofessor an der Hochschule der Künste Berlin, über die Realitäten der Einwanderung
taz: Die Innenminister Westeuropas sind davon überzeugt, daß die illegale Zuwanderung von Ost- nach Westeuropa in den nächsten Jahren stark ansteigen wird...
Statz: Dort, wo Bürgerkrieg, Umweltkatastrophen oder auch wirkliche Hungersnöte herrschen in Osteuropa, kann es sicher eine größere Wanderungsbewegung in Richtung Westen geben. Aber das ist nur ein Teil des Problems. Wahrscheinlicher ist, daß die Menschen aus Osteuropa, insbesonders aus Polen, in den Westen gehen werden, um dort eine gewisse Zeit zu arbeiten oder um eine Ausbildung zu machen. Ein anderes Problem sind die Roma und Sinti, insbesonders aus Rumänien. Die Verfolgung, die sie in ihren Ländern erleiden, wird sicherlich dazu führen, daß sie versuchen werden, ihre Heimat auf Dauer zu verlassen.
Bedeuten diese Wanderungsströme, wie der Bundesinnenminister annimmt, eine Gefahr für die innere Stabilität der westlichen Staaten?
Nur dann, wenn diese Menschen hier in die Illegalität gezwungen werden, wenn sie etwa auf dem Arbeitsmarkt keine Möglichkeit haben, ihren Unterhalt legal zu verdienen, und nicht den gleichen arbeitsrechtlichen und sozialpolitischen Bedingungen unterliegen wie andere Arbeitnehmer auch. Die Frage der Kriminalität ist auch immer eine der Gesellschaft, die kriminalisiert.
Das sieht Bonn aber anders. Da möchte man am liebsten die Grenzen dichtmachen...
Daß das nicht funktioniert, sehen wir am Beispiel der Grenze zwischen den USA und Mexiko. Diese riesige Landgrenze, die Westeuropa und die EG zu Osteuropa haben, läßt sich nicht kontrollieren. Indem man nur diese Grenze besser bewacht, stellt man sich nicht der wichtigsten Frage, und das ist die, wie wir mit diesen Menschen — die kommen werden — in unserem eigenen Land umgehen. Das entscheidende Problem ist die Ausgrenzung der Menschen durch Nationalismus, Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit hier.
Empfehlen Sie den Innenministern, statt Abschiebung lieber ein Einwanderungsgesetz und eine Arbeitserlaubnis zu diskutieren?
Die Zuwanderer müssen, auch wenn sie sich hier nur für eine gewisse Zeit aufhalten, eine Arbeitserlaubnis bekommen. Das ist die einzige Möglichkeit, den Druck in Richtung Illegalität zu vermeiden. Auch kann der Staat ein Abkommen mit den osteuropäischen Ländern treffen, daß die Zuwanderer hier eine Berufsausbildung erhalten, die dann später in ihren eigenen Ländern genutzt wird. Die Debatte über das Einwanderungsgesetz bedeutet ja lediglich, daß die Grenzen auf einem anderen Niveau zugemacht werden. Auch ein Einwanderungsgesetz basiert auf der Ideologie „das Boot ist voll“. Wir müssen die Realität der Einwanderung zur Kenntnis nehmen und über die Fremdenfeindlichkeit im eigenen Lande reden.
Wie sollen die osteuropäischen Staaten selbst diese Wanderungsbewegungen kontrollieren?
Der Westen versucht diese Länder zu zwingen, die Auswanderung zu kontrollieren. In erster Linie läuft das auf eine Polizeikooperation hinaus. Dahinter steht aber auch noch etwas anderes: Polen, die CSFR und Ungarn haben bereits ihre Bereitschaft bekundet, im Bereich der Wanderungsbewegungen mit der EG zu kooperieren, etwa dadurch, daß diese Länder ihre Ostgrenzen gegenüber Rumänien und der Sowjetunion dichtmachen. Sie schaffen damit so eine Art Pufferzone zwischen diesen Ländern und den EG-Staaten und versprechen sich dadurch bessere Bedingungen bei einer Assoziierung an die EG und eine großzügige wirtschaftliche Hilfe. Und das bedeutet eine neue Spaltungslinie in Europa.
Werden diese Staaten die EG-Einwanderungsrichtlinien übernehmen?
Insgesamt zeigt sich der Trend, daß die Einwanderungspolitik von ganz Westeuropa wieder stärker in die EG selbst, das heißt in die politische Diskussion der Union hineinverlagert wird. Dieser Linie werden sich die östlichen Staaten schrittweise anschließen. Der Juni-Gipfel der EG in Luxemburg hat beschlossen, daß die Asyl- und Einwanderungspolitik zur Sache der EG gemacht werden soll. Es bleibt abzuwarten, ob die Länder sich auf ihrer Dezember-Konferenz in Maastricht auf eine gemeinsame Linie einigen können. Ich bin da skeptisch. Interview: Anita Kugler
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