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INTERVIEWKommt die Umweltrevolution?

■ Lester Brown, Präsident von „World Watch“, über die Zukunft des Globus

Das Washingtoner World- Watch-Institut veröffentlicht zur ökologischen Lage des Globus einen jährlichen Bericht, der in 26 Sprachen übersetzt wird. Bei der Eröffnung des Jahreskongresses der „Internationalen Ärzte gegen den Atomkrieg“ (IPPNW) hielt Lester Brown das Hauptreferat.

taz: Sie haben in Ihrem letzten Bericht die ökologische Revolution gefordert. Wer sollen die Revolutionäre sein?

Lester Brown: Sie und ich.

Aber das reicht doch nicht...

Es gibt eine fatale Tendenz, auf Umweltaktivisten zu warten, die diese Arbeit für uns erledigen sollen, während wir uns zurücklehnen und abwarten. Zwanzig Jahre sind vergangen seit der ersten internationalen Umweltkonferenz in Stockholm. Fast alle Staaten verfügen inzwischen über nationale Umweltbehörden. Aber die globalen Trends sind trotzdem negativ. Offensichtlich müssen wir also etwas wesentlich Fundamentaleres tun.

In Deutschland gibt es eine Art ökologischen Überdrusses, das Gift der Woche wird entdeckt und vergessen. Viele Menschen tanzen auf dem Vulkan in vollem Bewußtsein der Probleme. Sie glauben, als einzelne nichts tun zu können.

Einzelne allein können es nicht schaffen. Es braucht eine Veränderung des Systems. Die Europäische Gemeinschaft beispielsweise denkt jetzt über eine Energiesteuer nach, bis zu zehn Dollar je Barrel Öl [1 Barrel = 159 Liter, d.Red.]. Ich halte das für einen äußerst wichtigen Schritt. Ob die Steuer schließlich verabschiedet wird, ist noch nicht klar, aber sie wird ernsthaft verhandelt. Vielleicht braucht es letztlich noch mehr Zeichen ökologischer Zerstörung, aber ich beobachte schon jetzt, daß die Menschen politisch auf die ökologische Herausforderung reagieren.

Was heißt Systemveränderung?

Es gibt einige Dinge, die Sie und ich tun können: Mit dem Fahrrad statt mit dem Auto fahren. Aber das Energiesystem eines Landes kann nur über staatliche Eingriffe verändert werden. Wenn sie in großem Stil von Kohle auf Erdgas, von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien umsteigen wollen, brauchen sie staatliches Handeln.

Es wird behauptet, der Staat nutze die vorhandenen Instrumente nicht. Statt dessen zahle der Staat dann die Rechnung für seine Unterlassungssünden.

Ich glaube, da ist etwas dran. Nehmen sie das Beispiel Südkalifornien. Das ist vielleicht die am weitesten automobilisierte Gesellschaft weltweit — mit allen Konsequenzen. Und nun beginnt gerade Südkalifornien die Nutzung der Autos stark zu beschränken. Vor unseren Augen findet ein grundlegender Wandel im Energiesystem Südkaliforniens statt. Heute arbeiten die Verantwortlichen dort an einem Schnellbahnnetz von 350 Meilen Länge für den Großraum Los Angeles. Der Grund für all die Anstrengungen ist, daß Tausende von Kindern aus der Region schon im Alter von zehn Jahren bleibende Lungenschäden davongetragen haben. Die Eltern sind aufgebracht.

Die Gesundheitsschäden waren der Auslöser?

Autofahren in Südkalifornien bedeutet zudem Frust im Stau. Staus wiederum bedeuten wirtschaftliche Effizienzverluste. Sie können keine Menschen und keine Güter mehr transportieren und sie verlieren an Konkurrenzfähigkeit auf den internationalen Märkten. In Großbritannien gibt es inzwischen sogar Ökonomen, die begonnen haben, die Kosten von Staus zu berechnen.

Sie sprechen sich für Umweltsteuern aus. Wie hoch müssen solche Steuern sein, damit sie Konsumenten und die Wirtschaft in eine ökologischere Richtung lenken?

Ich denke, wenn Umweltsteuern tatsächlich Lohn- und Einkommensteuer ersetzen und die Hauptlast des Staatshaushaltes tragen, werden wir sehr schnell Veränderungen des Energiesystems und des Umgangs mit Rohstoffen überhaupt sehen. Nehmen wir zum Beispiel die Tabaksteuer in Kanada. Eine Schachtel Zigaretten kostet die Gesellschaft drei bis fünf Dollar an Gesundheitskosten, entgangener Arbeitsleistung etc. Nach dieser Erkenntnis ist in Kanada eine Tabaksteuer von fast fünf Dollar pro Schachtel eingeführt worden. Eine Packung Zigaretten kostet jetzt 6,50 Dollar. Folge: Der Zigarettenkonsum in Kanada befindet sich im freien Fall. Was würde passieren, wenn wir eine Steuer auf fossile Brennstoffe hätten, die so die Kosten von saurem Regen, von Luftverschmutzung und Klimaveränderungen reflektierte? Wenn man nur alle Kosten ins System holen würde, alle externen Kosten tatsächlich den Produkten anlasten würde, würden wir schnelle Veränderungen sehen, revolutionäre Veränderungen, ja eine ökologische Revolution.

Welche Hebel gibt es außerdem, um Firmen zu einem umweltfreundlicheren Wirtschaften zu bringen?

Die wirtschaftliche Entwicklung wird mehr und mehr durch ökologische Einschränkungen bestimmt sein. Wir steigen gerade aus der Produktion von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) aus. Das bedeutet die rapide Umstrukturierung eines Teils der chemischen Industrie. Wenn wir unser Klima stabilisieren wollen, müssen wir aus den fossilen Brennstoffen aussteigen, so oder so: Mit Verordnungen, über CO2-Steuern oder mit Subventionen für Alternativen. Dies bedeutet also eine radikale Umstrukturierung der Energiewirtschaft.

Oder nehmen sie das Beispiel Wasser: Die Wassermengen, die in verschiedenen Teilen der Welt verfügbar sind, werden durch das lokale Klima, Regen und Verdunstung bestimmt. In vielen Teilen der Welt ist der Bedarf heute schon größer als das vorhandene Wasser. Städte befriedigen ihren Wasserbedarf, indem sie die Wasserrechte der Landwirtschaft kaufen. In Arizona schrumpft die Landwirtschaft, weil die Städte die Wasserrechte erwerben. Aus Ackerland wird dort wieder Wüste. In der Landwirtschaft wird man eine kontinuierliche Bewegung zu weniger wasserintensiven Kulturen beobachten können. Eine Tonne Weizen braucht eben nur halb soviel Wasser wie eine Tonne Reis. Umwelteinschränkungen werden also die wirtschaftliche Entwicklung prägen. Firmen, die diesen Trend erkennen und jetzt beginnen zu reagieren, werden auf den Wachstumsmärkten profitieren, die anderen werden verlieren. Diese Firmen wissen, daß die Zukunft nicht im Kohlebergbau, sondern in der Produktion von Windrädern und Photovoltaics liegt. Konzerne, die am alten festhalten, werden die Verlierer sein.

Die US-Regierung ist der Bremser in der internationalen Umweltpolitik im Vorfeld der großen UNCED-Umweltkonferenz in Rio. Sie befinden sich in einer Rezession. Umweltpolitik gilt aber als Schönwetterpolitik...

Präsident Bush hat seine politische Karriere in Texas mit der Hilfe von Ölfirmen begonnen. Die Unterstützung begleitete ihn bis ins Weiße Haus. Er empfindet offensichtlich eine Art von Loyalität mit dieser Industrie. Wenn er Energiepolitik sagt, meint er nach Öl bohren, vor der Küste Kaliforniens oder in den Naturschutzgebieten Alaskas. Aber er wird Kompromisse machen müssen. Auf dem Höhepunkt seiner Popularität hat er beim Thema Umwelt immer nur abgewunken, das ist jetzt anders. Die neue Ozonpolitik ist eine dramatische Illustration. Zwei Tage, nachdem die erschreckenden Zahlen der NASA über ein drohendes Ozonloch hier im Norden öffentlich wurden, wurde ein Antrag zum beschleunigten Ausstieg aus den FCKW im US- Senat einstimmig angenommen. Und noch nicht einmal eine Woche später kündigte die Administration den FCKW-Ausstieg schon für 1995 an. Diese Erfahrung wird auch für die Klimapolitik und die Haltung zur Rio-Konferenz eine Bedeutung haben. Ob das ausreicht für eine spürbare Veränderung der US-Position in Rio muß man abwarten. Ich habe da Hoffnungen. Interview: H.-J. Tenhagen

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