INTERVIEW: „Vordemokratische Zustände“
■ Für den Verfassungsrechtler Hans Herbert von Arnim verstößt die derzeitige Politikfinanzierung gegen die Verfassung
taz: Sie haben am 11. Mai eine Studie zur fragwürdigen Politikfinanzierung in Deutschland vorgelegt. Dieses Mal geht es um „Die finanziellen Privilegien saarländischer Minister“. Können Sie noch einmal knapp zusammenfassen, worin Sie den Skandal sehen?
Hans Herbert von Arnim: Ich habe in einer Analyse für den Bund der Steuerzahler festgestellt, daß das Saarländische Ministergesetz eine große Zahl von zum Teil grob unangemessenen Privilegien aufweist, besonders bei der Versorgung von Ministern und ihren Hinterbliebenen. Ein saarländischer Minister kann zum Beispiel nach einem Tag im Ministeramt bereits einen Anspruch auf Altersrente in Höhe von 75 Prozent seiner Aktivenbezüge erwerben; das sind über 12.000 DM monatlich, zu zahlen ab vollendetem 55. Lebensjahr, lebenslänglich. Dies ist so grotesk, daß ich es selbst kaum glauben könnte, wenn es nicht im Saarländischen Ministergesetz stünde und im Saarland auch so praktiziert würde. Dieser Vorzug kommt daher, daß vorangegangene Zeiten im Landesparlament wie Ministerzeiten behandelt werden. Wer über 13 Jahre im Landtag war, erwirbt sich so schon am ersten Tag eine Anwartschaft auf eine Vollversorgung von über 12.000 DM monatlich.
In Hamburg brachte 1991 öffentlicher Protest ein von SPD und CDU gefördertes Diätengesetz zu Fall. Worin besteht denn der Unterschied zwischen der Hamburger Pensionsregelung und dem Verfahren im Saarland?
Die Privilegien für saarländische Minister sind noch viel ausgeprägter als die für Hamburger Senatoren. In Hamburg führt die kritisierte Regelung dazu, daß ein Senator nach fünf Jahren Amtszeit eine Altersrente von 62 Prozent der Aktivenbezüge erwerben kann. Dort hat die Anrechnung von vier vorausgegangenen Jahren im Parlament den Protest hervorgerufen, so daß diese Regelung nunmehr aufgehoben wird. Im Saarland werden nicht nur fünf vorausgegangene Parlamentsjahre angerechnet, sondern unbeschränkt viele. Diese Regelung muß erst recht zurückgenommen werden.
Vor vier Jahren haben Ihre Analysen in Hessen dazu geführt, daß ein Diätengesetz zurückgenommen werden mußte. Der Präsident und der Vizepräsident des Landtages mußten zurücktreten.
Auch in Hessen wurden völlig unangemessene Regelungen durchgesetzt, beispielsweise neben dem Abgeordnetengehalt eine steuerfreie Kostenpauschale von über 60.000 DM jährlich. Und die Öffentlichkeit wurde mit falschen Hinweisen getäuscht: Präsident und Vizepräsident hatten vorgetragen, hessische Abgeordnete bildeten das Schlußlicht im Vergleich zu anderen Parlamenten. In Wahrheit waren sie schon in der Spitzengruppe.
Worin liegt denn Ihrer Auffassung nach das verbindende Element bei diesen Formen der Politikfinanzierung? Es bleibt doch der fade Geschmack der Selbstbedienung.
Ob in Hessen, in Hamburg oder im Saarland, immer war die Opposition mit von der Partie und hat ihre Aufgabe, unangemessene Regelungen zu kritisieren und die Öffentlichkeit zu informieren, vernachlässigt. Das Grundproblem staatlicher Politikfinanzierung liegt in einem Systemmangel, nämlich darin, daß die Parlamente hier in eigener Sache entscheiden und die Abgeordneten deshalb nicht mehr unbefangen und neutral sind. Das lädt zu Mißbräuchen ein. Wenn es gelingt, auch noch die öffentliche Kontrolle zu unterlaufen, wird alles möglich. Hier besteht die Gefahr, daß sich die politische Klasse den Staat sozusagen zur Beute macht.
Wie erklären Sie sich, daß das Thema Politikfinanzierung in der Öffentlichkeit jetzt erst solch hohe Wellen schlägt. Ihre Studien und Ihre Aufsätze sind doch schon seit langem bekannt.
Dies liegt an dem rasant zunehmenden Gewicht der Politikfinanzierung. Die staatlichen Zuwendungen an die Parteien, ihre Fraktionen und Stiftungen haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten verneunfacht. Immer mehr wird auch erkannt, daß es hier nicht nur um eine Belastung des Steuerzahlers geht, sondern daß die Finanzen Fehlentwicklungen im Bereich des Parteienstaates insgesamt widerspiegeln. Die Bürger werfen nach Umfragen den Parteien vor allem zweierlei vor: einmal eine abnehmende Problemlösungs-Kompetenz, zum anderen, daß die vornehmlich an ihre eigenen Interessen, an Geld und Macht denken. In der staatlichen Politikfinanzierung spitzen sich beide Elemente zu.
Ihnen eilt ja nicht der Ruf voraus, als „staatskritischer Jurist eine andere Republik und ein anderes Rechtssystem anzustreben“. Wie beeinflußte Ihre Arbeit Ihr Demokratieverständnis?
Mein Politikverständnis hat sich nicht geändert. Was sich geändert hat, ist die Politikfinanzierung. Das verlangt natürlich auch eine theoretische Verarbeitung. Die klassische Demokratie- und Pluralismusauffassung geht davon aus, im Konzert der verschiedenen Kräfte und Interessen ergäbe sich schon ein ausgewogenes Gesamtergebnis. Das trifft aber nicht immer zu. Es gibt wichtige Belange, die zu kurz kommen. Ein besonders krasser Bereich ist die Politikfinanzierung. Ich glaube, daß die sogenannte pluralistische Harmonielehre deswegen zu blauäugig-unkritisch ist. Erforderlich sind institutionelle Gegengewichte, auch eine aufmerksame Öffentlichkeit, die Wissenschaft, die hier gegensteuern.
Sie wollen in Zukunft die Finanzierungspraxis auch der Fraktionen unter die Lupe nehmen. Worin bestehen Ihre rechtlichen Zweifel?
Bei den Fraktionen entspricht ein unglaubliches Wachstum der staatlichen Zahlungen einem extremen Mangel an Publizität. Die staatlichen Zahlungen an Bundestagsfraktionen haben sich in den letzten 26 Jahren verdreißigfacht. 1966 betrugen sie noch 3,4 Millionen DM jährlich, 1991 waren es schon 104 Millionen. Diese unerhörten Wachstumsraten hängen mit dem extremen Publizitätsmangel zusammen. Fraktionen brauchen weder über ihre Einnahmen noch über ihre Ausgaben oder ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft abzulegen. Es existiert bisher kein Fraktionsgesetz. Dies entspricht einer Art vordemokratischem Zustand, der meines Erachtens auch mit verfasssungsrechtlichen Grundsätzen unvereinbar ist.
Auch bei den politischen Stiftungen gibt es Wachstumsraten „wie im Schlaraffenland“. Steht dies im Einklang mit der Verfassung?
Es fehlt auch hier an der erforderlichen gesetzlichen Regelung. Ebenso an der Pflicht zur öffentlichen Rechenschaft über Einnahmen, Ausgaben und Vermögen. Auch hier verstößt dies meines Erachtens gegen die Verfassung. Denn das Bundesverfassungsgericht hat mit Recht gesagt, daß bei Entscheidungen des Parlaments in eigener Sache die Öffentlichkeit die einzig wirksame Kontrolle ist.
Wann glauben Sie, werden die Finanzen der Fraktionen und der Stiftungen auch vom Bundesverfassungsgericht überprüft?
Ich würde es sehr begrüßen, wenn etwa die Bundestagsfraktion Die Grünen/ Bündnis 90 ein Verfahren in Karlsruhe beginnen würde.
Welche demokratischen Verfahren müßten installiert werden, um die staatliche Politikfinanzierung wieder in seriöse Bahnen zu lenken und damit vielleicht auch die Politikverdrossenheit zu mindern?
Das Bundesverfassungsgericht hat Anfang April die staatliche Parteienfinanzierung im engeren Sinne insgesamt für verfassungswidrig erklärt und dem Gesetzgeber die Auflage gemacht, das Parteienfinanzierungsrecht bis Ende 1993 verfassungsrechtlich in Ordnung zu bringen. Meines Erachtens müßten aber neben der Parteienfinanzierung auch Fraktionen und Stiftungen in die Reform mit einbezogen werden. Mein Vorschlag wäre, daß der Bundespräsident eine Kommission aus unabhängigen Sachverständigen beruft, die all diese Bereiche gutachtlich prüft, einen umfassenden Bericht vorlegt, der dann öffentlich diskutiert wird und vom Gesetzgeber hoffentlich umgesetzt würde. Ermunternd ist auch, daß immer mehr verantwortungsbewußte und politisch erfahrene, ehemalige Politiker wie etwa Frau Hamm-Brücher ihre Stimme erheben und auf eine baldige Eindämmung der Mißbräuche drängen. Interview: Thomas Leif
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