INTERVIEW: UNO spricht von Minenräumung — doch faktisch passiert nichts
■ Kambodscha: Rupert Neudeck vom Hilfskomitee Cap Anamur bereitet Minenbeseitigungsprojekt vor/ UNO-Blauhelme räumen selbst nicht
Die Umsetzung des kambodschanischen Friedensplanes unter der Ägide der UNO ist zugleich ihre bislang größte und teuerste Mission. Die UNO soll die Demobilisierung der vier ehemaligen Bürgerkriegsparteien überwachen, freie Wahlen vorbereiten und für die sichere Rückführung von über 300.000 Flüchtlingen an der thailändischen Grenze sorgen. Die militärisch stärkste Widerstandsfraktion, die Roten Khmer, weigern sich jedoch weiterhin, ihre Soldaten zu entwaffnen. Am Dienstag beschloß der UNO-Sicherheitsrat, jegliche Unterstützung für die Roten Khmer zu stoppen, bis diese sich zur Einhaltung der von ihnen im Friedensabkommen unterschriebenen Verpflichtungen bereit zeigen.
Doch es sind nicht nur die Roten Khmer, die den Friedensprozeß blockieren. Auch die UNO-Übergangsverwaltung in Kambodscha (UNTAC) muß sich einige Kritik gefallen lassen. Denn eine der dringendsten Aufgaben in dem Land, das von zwanzig Jahren Krieg und Bürgerkrieg zerrüttet ist, ist die Beseitigung von Millionen von Minen. Ohne die Räumung der Minen kann das Land nicht wieder aufgebaut werden, können die Flüchtlinge nicht zurückkehren. Doch gerade hier geschieht kaum etwas. Rupert Neudeck vom Hilfskomitee Cap Anamur kam am 18.Juli aus Kambodscha zurück, wo seine Organisation sich an der Minenräumung beteiligen will.
taz: Wer müßte die Minen wegräumen?
Nach der Genfer Konvention ist verantwortlich für das Wegschaffen von Minen „die Regierung des Landes, in dessen Boden die Minen liegen“. Daran hält sich auch die UNO fest und macht sich die Arbeit natürlich teuflisch leicht, indem man einfach sagt, die Kambodschaner sind dafür zuständig, daß die Minen aus dem Boden herauskommen. Deshalb werden bisher nur einige hundert kambodschanische Soldaten ausgebildet, von einigen wenigen Experten der UNTAC-Friedenstruppe. Vor zwei Wochen hat die UN-Flüchtlingsorganisation ein Abkommen mit der französisch-belgischen Organisation „Handicap International“ unterzeichnet. Und dieses Abkommen wird in Südostasien gefeiert als der Beginn einer großen Aufräumaktion von Minen in Kambodscha. Faktum ist, daß noch niemand dort ein Minenräumgerät in die Hand genommen hat, weil das Abkommen allein dazu dient, eine administrative Institution zu schaffen, die die Gelder verwaltet, die die UNO-Flüchtlingsorganisation zu diesem Zweck ausgeben will. Bislang gibt es erst eine einzige kleine Gruppe, der britische „Halo-Trust“, die etwas unter Einsatz des eigenen Lebens tut. Das sind drei Leute, die allerdings nur mit Handsuchgeräten ausgerüstet sind. Damit kommt man sehr langsam voran. Wenn man mit diesen Detektoren arbeitet, hat der Halo-Trust ausgerechnet, dann wird es insgesamt mindestens dreihundert Jahre dauern, ehe die wichtigsten Minenfelder des Landes geräumt sind.
Bislang hat die UNTAC selbst erst mit der Ausbildung begonnen, aber außer den Halo- Leuten räumt noch niemand?
Nicht nur das, die UNTAC weigert sich auch, über die Ausbildung hinaus etwas zu tun. Man sucht jetzt also Leute, Nichtregierungsorganisationen, weil die billiger sind, die diese ausgebildeten Kambodschaner beauftragen, etwas zu tun. Dazu kommt noch etwas, was aktuell gefährlich ist: Ich bin selbst in Minengürteln gewesen, die markiert waren. Man hat uns auch Bunker, in denen noch Unmengen von Minen lagern, gezeigt. Man hat uns gesagt, man könne dort mit der Räumung nicht beginnen. Solange die Gefahr der Angriffe von Roten Khmer aus den Bergen weiter drohe, werden die Kambodschaner verschiedener Fraktionen, der Regierungsarmee et cetera sich diese Minenfelder nicht wegnehmen lassen.
Was können Sie denn in einer solchen Situation tun?
Wir haben mit der UNTAC in Phnom-Penh gesprochen, und die ist auch bereit, Cap Anamur logistische Unterstützung zu geben. Wir müssen das nur noch einmal in einer formellen Vereinbarung festhalten. Jetzt beginnt die große Regenzeit in Kambodscha, und eine vernünftige Arbeit mit den von der Bundeswehr zur Verfügung gestellten Minenräumpanzern kann also erst im November beginnen. Dann wird Kambodscha für uns ein mindestens genauso wichtiges Feld sein, wie es Angola jetzt schon ist. Die Situation der Verminung Kambodschas ist noch unendlich viel schlimmer als die in Afrika. Man hat mehrere Generationen von Minen, die übereinander und untereinander liegen, die Minen der Amerikaner, die Minen der Roten Khmer, der Vietnamesen, der Chinesen. Diese furchtbare Situation wird noch dadurch verschärft, daß die Minen booby- trapped sind. Das heißt, sie sind durch verschiedene Drähte und Schnüre miteinander verknüpft. Wenn man mit seinem Fuß an irgend etwas stößt, dann kann es passieren, daß diese hochspringenden Minen an allen möglichen Ecken um einen herum explodieren und von den Menschen oder dem Vieh nichts mehr lebend übriglassen. In Kambodscha gibt es eine der scheußlichsten und perversesten Minen-Situationen der Welt.
Ihre Arbeit kann doch nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein. Wie viele Leute können Sie schicken?
Der Tropfen auf dem heißen Stein ist immer konstitutiv für humanitäre Arbeit. Es soll nun beginnen in der Provinz Kampot. Sie liegt am nächsten zum Hafen Kompong-Som, wo das Schiff landen wird. Die Ingenieure der UNTAC waren begeistert, daß wir dieses schwere Minenräummaterial nach Kambodscha mitbringen. Eines der wichtigsten Dinge, die geschehen müssen, ist die Entminung von Straßen, Pisten und Trassen. Wir werden dort insgesamt zwei oder drei dieser schweren Minenräumpanzer haben und das entsprechende Peripheriematerial sowie fünf Ex-Pioniere und zwei gutausgebildete Automechaniker, die auch in der Lage sind, Panzer zu reparieren. Und dazu kommen noch einheimische Fachkräfte, die man in Kambodscha auch findet.
Das Material stellt die Bundesregierung?
Verteidigungsminister Rühe hat uns am 29. April versprochen, daß wir ein ähnliches Materialpaket für Kambodscha bekommen können, wie wir es schon für Angola haben.
Wie lange würde es dann brauchen, um zum Beispiel einen Hektar zu räumen?
Wenn eine Gruppe von zwanzig ausgebildeten Leuten mit diesen Handminendetektoren auf einem flachen Gelände, also einem Reisfeld, ist, dann braucht man eine Woche, um einen Hektar zu räumen. Um ein anderes Bild zu gebrauchen: Wir können auf Straßen, Trassen, Pisten oder Feldern mit diesen Panzern mit einer Geschwindigkeit von bis zu 25 Kilometer pro Stunde arbeiten. Dieses Bild führt aber in die Irre, wenn man meint, daß sei der Schnitt. Ich will damit nur andeuten, daß mit diesem Gerät nur eine Beschleunigung in diese Räumungssache gebracht wird.
Sie haben auch die Sanitätseinheit der Bundeswehr in Kambodscha gesehen. Was tun die da eigentlich?
Ich finde deren Arbeit im Feldlazerett bei Phnom Penh ganz ausgezeichnet. Die medizinischen Evakuierungsflüge sind wahrscheinlich die schwierigsten Operationen, die im Feldlazerett gemacht werden. Zum hohen Lob der deutschen Mediziner muß ich sagen, daß sie sich an das hirnrissige UNO-Prinzip nicht halten, nach dem man nur UNO-Angehörige behandelt. Solange Plätze und Kapazitäten frei sind, wird die Zivilbevölkerung dort mitbehandelt und betreut. Gott sei Dank ist erst ein kanadischer UNTAC-Soldat auf eine Mine gefahren und hat dabei einen Arm und ein Auge verloren. Ansonsten trifft die Gefahr die Zivilbevölkerung. Es gibt täglich fünf bis sieben solcher medizinischer Evakuierungen. Interview: Jutta Lietsch
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