: INTERVIEW MIT EINEM SOCKENBÜGLER
Ist da ein Pflegevorgang über sich hinausgesprungen? ■ B Ü G E L T E X T E
Sie sind Sockenbügler, nicht wahr?
Sockenbügler und -presser.
Ist das nicht sehr aufreibend?
Im Gegenteil. Die Härchen an der Oberfläche werden geglättet oder beim Pressen dem Gewebe eingedrückt.
Die meisten Leute tragen aber ungebügelte bzw. ungepreßte Socken.
Jedes Kleidungsstück, das Sie in der Auslage sehen, ist in seiner Form gesteigert worden. Sei es durch aufgenähte Blendstücke, doppelte Nähte, Appretur und durch Pressen oder Bügeln. Wenn diese Akzente fehlen, kümmert das Kleidungsstück in seiner Rohform dahin. Der Reiz, es zu tragen, stellt sich nicht ein.
Nun sind ja Socken weder mit Blendwerk noch verstärkenden Nähten versehen. Ebenso wenig liegt das Bügeln nahe.
Eine einmal angestellte, grundsätzliche Überlegung muß reichen. Die Socke ist ein Kleidungsstück wie der Hut auch. Bei ihr, die den Fuß kleidet, fällt Blendwerk fort. Deswegen ist die Aufbereitung durch Bügeln wichtig. Es ist das einzige, was die Socke aus ihrer Rohform reißt.
Wie bügeln Sie? Wollten Sie das fußgerecht machen, wäre ja eine komplizierte Faltung nötig.
Das ist nicht mein Ehrgeiz. Im Gegenteil. Die Socke kann durchaus Faltung haben, die sich aus der Verpackung ergibt. Ein zusammengelegtes Handtuch läßt die Körperformen ja auch außen vor.
Also hat die von Ihnen gebügelte Socke über dem Spann und unter der Sohle eine Falte. Fängt die nicht an, unter oder über dem Fuß im Schuh zu drücken, wird da nicht dem Sockenträger eine Nuance anders zu gehen aufgezwungen? Ist da nicht ein Pflegegang über sich hinausgesprungen? Düstere Gedanken kommen auf, weil ein Alp von der Sohle her drückt.
Falten werden nur dann beim Tragen nicht wieder glatt, wenn die Socken zu groß sind. Wenn der Träger, als er die Socken aussuchte, den Kauf von etwas zu Großem, von mehr als er braucht, als ein unerwartetes Geschenk empfand. Solche Leute kommen nicht zu mir. Zu mir kommen alle, die das Anliegen der Socke als wohltuend und schmeichelnd empfinden, die keine Socke sterben sehen können, denen der Gedanke an Verschleiß die feinsten Poren öffnet.
Reante Hampke
Der Text ist dem Bändchen „Interview mit einem Sockenbügler und 8 weitere Interviews“, erschienen im Svato Verlag in limitierter Auflage, Hamburg 1978, entnommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen