I N T E R V I E W: "Amerika spielt mit dem Feuer"
■ Interview mit dem libyschen Revolutionsführer Muammar Ghaddafi
taz: Nach dem US–Angriff gab es Spekulationen über Umbesetzungen in der politischen Führung. (Ghaddafi lacht) Hat sich Libyen seither verändert? Ghaddafi: Die Kampfbereitschaft des libyschen Volkes hat zugenommen. Die Sorge des libyschen und arabischen Volkes und der Völker auf der ganzen Welt um mein Leben ist größer geworden. Ein Zustrom von Freiwilligen aus Libyen und anderen Ländern hat eingesetzt, die mich bewachen wollen, ohne Gehalt und ganz gleich, welche Aufgabe ihnen zugeteilt wird. Sie haben gesehen, daß Amerika mich umbringen will und darüber ist die Wut natürlich größer geworden. Wie beurteilen Sie die Meinungsverschiedenheiten zwischen den USA und Westeuropa hinsichtlich Libyens? Die westeuropäischen Staaten stecken in einer Zwickmühle, da sie starke Interessen in Libyen und der arabischen Welt haben. Der terroristische Druck Amerikas auf Westeuropa und besonders der Krieg im Mittelmeerraum geht in erster Linie auf Kosten dieser Länder. Amerika tut alles, um seine eigenen Interessen durchzusetzen und spielt mit dem Feuer in einem Gebiet, das weit entfernt von seinen Grenzen liegt. Wenn Amerika Krieg führen will, warum dann in einer so weit entfernten Region wie dem Mittelmeerraum? Vertreter westeuropäischer Staaten sagen, sie hätten gemeinsame Interessen mit uns und bitten darum, ihnen Zeit zu lassen, bis dieser verrückte und zionistische Außenminister der USA weg ist. Welche Rolle spielt Italien als NATO–Staat vor Libyens Haustür? Das erste Land, das beunruhigt ist, ist natürlich Italien. Unser Wunsch ist jedoch, daß das Mittelmeer ein Meer des Friedens bleibt. Welche konkreten Schritte wollen Sie dafür unternehmen? Engere Zusammenarbeit zwischen den arabischen und westeuropäischen Staaten, die die gemeinsamen Interessen stärkt, Abzug der Flotte der Supermächte aus dem Mittelmeer und Auflösung der großen militärischen Stützpunkte im Mittelmeerraum. Die USA sind nicht nur mit militärischen, sondern auch mit ökonomischen Mitteln gegen Libyen vorgegangen. Welche Auswirkungen hat der Wirtschaftsboykott gegen Libyen? Die europäischen Staaten und die amerikanischen Firmen sind die Verlierer. Solche Maßnahmen wie Krieg und Wirtschaftsboykott sind wirkungslos. Man hätte eine Verständigung mit Libyen anstreben sollen. Welche Folgen hat der Ölpreisverfall? Der Fall des Ölpreises hat vor allem den westlichen Firmen, aber auch der ganzen Welt geschadet. Die europäischen Firmen haben Verluste hinnehmen müssen, ihre Projekte sind nicht mehr rentabel. Sie sind an einem hohen Ölpreis interessiert, damit die Öleinnahmen Libyens hoch sind und Libyen damit Projekte fördern kann. In Tripolis sind jetzt mehr kleine Geschäfte eröffnet worden. Kann das als Zeichen für Änderungen in der Wirtschaftspolitik gewertet werden? Der Handel liegt in den Händen des Volkes. Das ganze Volk entscheidet darüber. Libyen wird im Westen häufig als ein Land bezeichnet, das den Terrorismus unterstützt. Warum? Dafür gibt es keine Beweise. Wir sind gegen den Terrorismus. Wir unterstützen den Kampf der Völker für Freiheit. Macht das westliche Bild von Libyen Ihnen Kopfschmerzen? Natürlich. Wenn jemand über uns Lügen verbreitet und sagt, wir würden den Terrorismus unterstützen, ohne zu wissen, wie wir in Wirklichkeit sind, dann ist das eine Sache, die uns schmerzt und stört. Ich bin aber überzeugt, daß unser Ruf in der Geschichte anders sein wird. Was heute geschieht ist nicht so wichtig. Bitte entschuldigen Sie mich, ich muß jetzt beten.
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