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Hutmacherin über ihren Beruf„Mein Atelier ist sehr klein“

Auf dem Kopf passiert in Deutschland wenig. Dagegen arbeitet Britta Hildebrandt an: Sie ist Hutmacherin am Theater Mannheim.

Hat eine leidenschaftliche Beziehung zu Hüten: Britta Hildebrandt in ihrem Atelier Foto: Miriam Stanke
Interview von Katrin Ullmann

taz am wochenende: Frau Hildebrandt, gehen Sie eigentlich regelmäßig zum Pferderennen?

Britta Hildebrandt: Ja, ich war vor einigen Jahren mal auf dem Pferderennen in Baden-Baden und war total begeistert. Ich fand die Mischung aus „wir haben uns heute schick gemacht“ und in diesem Outfit dann leger auf dem Rasen zu sitzen und zu picknicken grandios. Natürlich habe ich den Anblick von so vielen wunderschönen, vor allem auch ausgefallenen Hüten sehr genossen.

Hüte kommen in unserem Straßenbild so gut wie nicht mehr vor. Ist diese Kopfbedeckung inzwischen aus der Mode gekommen?

Die Mode ist heute extrem leger. Der Hut ist nur noch modisches Accessoire. Er gehört nicht mehr zwingend zum Outfit dazu wie früher. Ich erinnere mich sehr gut an eine Situation in meiner Kindheit in den 1970er Jahren. Meine Großmutter kam aus Hamburg mit dem Zug angereist und die ganze Familie holte sie vom Bahnhof ab. Ich sehe sie noch vor mir, wie sie aus dem Zug stieg: im Kostüm mit Hut, Handtasche und Handschuhen. Von Kopf bis Fuß eine Dame!

Wer wiederum vor Kurzem von der englischen Königsfamilie mit welchem Hut zur Beerdigung von Queen Elizabeth II. erschienen ist, das wurde in den Medien schon hoch- und runterdekliniert und interpretiert …

Ja, in England hat das Hütetragen noch eine ganz andere Tradition. Ich finde es schon ein bisschen schade, dass sich hier in Deutschland Menschen nicht mal für einen Anlass wie eine Hochzeit so richtig schick machen und dann einen Hut tragen.

Dennoch sind Sie Hutmacherin geworden. Wie ist es dazu gekommen?

Tatsächlich habe ich das Gefühl, mich hat ein unsichtbarer Faden dahin gezogen. Ja, es ist ein Beruf, den viele gar nicht kennen und die dann ganz erstaunt sind, dass es den noch gibt. Und so ging es mir auch. Ich habe ja gar nicht gewusst, ob und wo man das Handwerk des Hutmachers überhaupt noch erlernen kann. Und als ich mich dann damit befasst habe, hat mir das total gut gefallen.

Zunächst haben Sie eine Ausbildung zur Damenschneiderin absolviert …

Ja. Und nach dieser Ausbildung und einem kurzen Studium der Kunstgeschichte war ich auf der Suche, wie es jetzt weitergeht, und habe für eine Theaterproduktion die Kostüme gemacht. Für das Kostümbild habe ich damals ganz einfache Kappen genäht. Von der Form her waren alle gleich, aber jeder Schauspieler, jede Schauspielerin ist anders damit umgangen, hat sie anders aufgesetzt und hat anders damit gespielt: Der eine hat sie hochgeschlagen, die andere hat sie geknüllt. Je­de*r hat mit dieser einfachen Kappe etwas gemacht. Das hat mich total fasziniert. Und da blieb praktisch mein Blick auf dem Kopf hängen.

Im Interview: Britta Hildebrandt

Der Mensch

Britta Hildebrandt, 1968 in Stuttgart geboren, absolvierte von 1988 bis 1991 in Speyer eine Ausbildung zur Damenschneiderin. Für ein Musiktheaterstück entwarf sie 1992 die Kostüme und beschloss daraufhin, Hutmacherin zu werden. Von 1993 bis 1995 absolvierte sie in Ludwigshafen eine Modisten-Lehre. Seit 1996 arbeitet sie als Modistin am Nationaltheater Mannheim. Daneben kreiert sie Kostüme und Kopfbedeckungen für freie Theater- und Filmproduktionen, für Museen und natürlich auch für ihren eigenen Kopf.

Der Beruf

Traditionell waren Hutmacher männliche Hersteller von Herrenhüten. Für Damenhüte waren Modisten oder auch Putzmacher zuständig, die allerdings nicht weiblichen Geschlechts sein mussten. Den Beruf des Modisten erlernt man in einer 36-monatigen Ausbildung, das Lehrgehalt beträgt mittlerweile im ersten Jahr etwas mehr als 900 Euro. Der Beruf ist ganz bestimmt kein Trendberuf: Im Jahr 2021 befanden sich 19 Modist*innen in Ausbildung.

Die Gefährdung

Der englische Ausdruck „mad as a hatter“ ist auf die in dieser Berufsgruppe einst häufig auftretende Quecksilbervergiftung zurückzuführen. Im 18. Jahrhundert behandelten Hutmacher Hasen- und Kaninchenfelle mit Salzen, die das gefährliche Nervengift enthielten. In der Literatur aufgegriffen wurde das Syndrom von Lewis Carroll mit dem verrückten Hutmacher aus „Alice im Wunderland“.

Wann war das?

Das war 1992. Es gab natürlich sehr wenig Ausbildungsplätze. Von einer Bekannten habe ich dann erfahren, dass es in Hannover jemanden gibt, die ein Atelier hat und die auch Praktikanten nimmt. Daraufhin bin ich für drei Monate nach Hannover gegangen.

Und war das Praktikum dann so, wie Sie es sich vorgestellt hatten?

Ich stand bei Frau Schlue-Wende im Atelier und habe gewusst: Das ist mein Ding. Durch meine handwerklichen Grundlagen, eben durch die Ausbildung zur Schneiderin, konnte ich dort auch gleich mitarbeiten.

Und wie schnell haben Sie anschließend einen Ausbildungsplatz gefunden, wenn es ja gar nicht mehr so viele davon gab?

Ich habe, als ich aus Hannover zurückkam, das war im Mai 1993, angefangen, Bewerbungen zu schreiben. Im Herbst habe ich dann meine Ausbildung in Ludwigshafen bei „Hutmoden Stephanie“ angefangen. Das war ein Fachgeschäft mit Werkstatt mit einer Meisterin, zwei Auszubildenden und noch Aushilfen, die im Verkauf tätig waren. Aufgrund meiner Schneiderlehre konnte ich die Ausbildung auf zwei Jahre verkürzen.

Wie viel Ausbildungsgehalt haben Sie damals bekommen?

Die Vergütung war sehr gering. Man bekam noch weniger als Friseure und Floristen. Aber das war mir egal. Ich wollte das unbedingt lernen.

Wie viel war es denn genau?

Im ersten Lehrjahr waren es damals 200 Mark, im zweiten 250 Mark.

Davon kann niemand leben …

Ich hatte ein kleines, sehr, sehr günstiges WG-Zimmer mit Ölofenheizung und habe am Wochenende immer in Cafés gejobbt und mir so die Ausbildung finanziert. Ich weiß noch, als ein Freund von mir erfuhr, wie wenig ich verdiene, meinte er, er würde für diese Summe nicht mal morgens aufstehen. So habe ich nie gedacht. Ich war glücklich, dass ich diesen Beruf erlernen konnte.

Wie ging es für Sie nach der Ausbildung weiter?

Ich wurde von meinem Ausbildungsbetrieb übernommen und habe noch ein halbes Jahr in einer Filiale meiner damaligen Chefin in Mainz als Gesellin gearbeitet. Das hat mir großen Spaß gemacht, aber ich hatte im Hinterkopf immer den Wunsch, dass ich irgendwann ans Theater möchte. Eines Tages rief mich eine Auszubildende an. Sie hatte in der Berufsschule erfahren, dass am Theater Mannheim eine Hutmacherin gesucht wird. Dort habe ich mich dann beworben.

Hatten Sie für Ihr Vorstellungsgespräch am Theater Mannheim einen Hut auf?

Ja, das weiß ich noch genau. Ich trug damals einen Nadelstreifen-Mantel und habe mir dazu passend einen schwarzen Filzhut mit schwarz-weißen Blüten gemacht. Als ich vom Bahnhof zum Theater gelaufen bin, haben sich die Leute nach mir umgedreht. Mein Outfit war eigentlich gar nicht so auffällig, es war ja weder bunt, noch hatte ich einen Papagei auf dem Kopf, aber einen Hut zu tragen, ist immer etwas Besonderes. Und als ich später die Stelle am Theater bekommen hatte, sagte mir mein damaliger Chef, dass ihn das beeindruckt habe.

Inzwischen sind Sie seit mehr als 25 Jahren am Nationaltheater Mannheim angestellt…

Das ist natürlich eine superlange Zeit, aber die Arbeit ist meistens sehr abwechslungsreich. Es kommen ja die verschiedensten Kostümbildner ins Haus, mit denen ich dann zusammenarbeite. Die haben zwar alle denselben Beruf, aber sind natürlich ganz unterschiedliche Menschen. So kommt auch ein bisschen die Welt zu dir.

Wie sieht Ihr Arbeitsplatz aus?

Mein Atelier ist sehr klein, den meisten Platz nehmen die Holzformen und die Kisten mit meinen Arbeitsmaterialien ein. Dafür habe ich ein großes Regal. Zum Arbeiten brauche ich eigentlich nur zwei Tische: einen Arbeitstisch und einen etwas niedrigeren Tisch, an dem man die Hüte zieht.

Beschreiben Sie uns mal Ihren Arbeitsalltag …

Als Modistin hat man eigentlich meistens drei, vier Sachen gleichzeitig in Arbeit. Ein Hut wird zuerst gezogen, dann muss die Form erst mal trocknen. Also macht man in der Zwischenzeit etwas anderes und am nächsten Tag, wenn der Hut trocken ist, nimmt man ihn von der Form und arbeitet daran weiter. Das mag ich auch sehr gern an der Arbeit, dass man immer so viele verschiedene Dinge macht. Manchmal kann ich einfach was wegarbeiten, aber es gibt wirklich auch komplizierte Arbeiten mit einer schwierigen Form oder Arbeiten, bei denen ich nicht weiß, wie ich überhaupt die Form konstruiere. Oder ich hatte das Material noch nie in den Händen …

Britta Hildebrandt zeigt ein Foto von sich mit einem ihrer Modelle Foto: Miriam Stanke

Was war das kurioseste Material, aus dem Sie schon einmal eine Kopfbedeckung gefertigt haben?

Da fällt mir spontan eine Krone ein, für die ich Dutzende von Schaumstoffstreifen mit Papier umhüllt, mit Kleister fixiert, angesprüht und anschließend aufgefädelt habe. Eine andere Krone habe ich – in Zusammenarbeit mit der Kostümmalerin – aus Federkielen gearbeitet, mit Gewebefüller ergänzt und angemalt. Für die Musiktheaterproduktion „Vespertine“, eine Pop-Oper nach Björk, habe ich im Jahr 2018 Kopfbedeckungen aus einem neoprenähnlichen Stoff angefertigt. Sie durften nicht an Hut- oder Mützenformen erinnern. Es entstanden wolkenähnliche Gebilde in verschiedensten Ausformungen, zum Teil mit Sehschlitzen.

Gibt es einen Hut, auf den Sie besonders stolz sind?

Die Hüte für die Opernproduktion „My Fair Lady“ von Frederick Loewe in der Regie von Helmut Baumann und mit Uta Loher als Kostümbildnerin. Loher ist Expertin für Jahrhundertwendekostüme. 2010 war das und das war wirklich ein großes Ding. „My Fair Lady“ ist natürlich für jede Hutmacherin das Stück überhaupt! Die Ascot-Szene: Der Vorhang ging auf und alle Damen des Chores standen mit ihren wunderschönen Kostümen und Hüten da. Es ging ein Raunen durch das Publikum. Es war wahnsinnig viel Arbeit und ich habe ein halbes Jahr vorher damit angefangen, sonst wäre das gar nicht zu schaffen gewesen. Es waren an die 100 Hüte, die durch meine Hände gingen. Es war eine wirklich tolle Arbeit und ich bin stolz darauf. Man musste sich in jeden Hut reindenken. Jeder war individuell.

Aber solche Highlights gibt es ja selbst im Theater nicht andauernd …

Klar. Die Arbeit am Theater hat eine enorme Bandbreite. Von Aufträgen wie: „Fertigen Sie mir bitte diesen Hut exakt nach Vorlage, genauso wie auf dem Foto“, bis zu: „Machen sie eine 60er- Jahre-Kopfbedeckung.“ Das ist dann natürlich die absolute Freiheit, das ist toll, aber die habe ich ja nicht immer. Man muss gerade am Theater sehr viel improvisieren und man muss sehr viel Geduld haben. Und natürlich gibt es dort auch Durststrecken. Ich hatte mal zwei Produktionen hintereinander, in der einen musste ich Hochzeitsschleier machen und in der zweiten Trauerschleier. Da habe ich dann wochenlang eben nur Schleier genäht. Da muss man wirklich die Zähne zusammenbeißen und durch. Es ist nicht so, dass ich jeden Tag die Wahnsinnskreation mache, sondern ich mache natürlich auch ganz langweilige Sachen. Das ist ja in jedem kreativen Beruf so, auch ein Architekt entwirft nicht jeden Tag Traumhäuser.

Und wie gehen Sie mit solchen Durststrecken um?

Ich habe neben meiner Arbeit am Theater Mannheim selbst auch schon Kostüme für Theaterproduktionen gemacht, habe an Modenschauen teilgenommen, mehrere Kunsthandwerkermärkte organisiert. Also wenn mir im Theater mal langweilig wird, dann fällt mir immer noch was ein. Im Theater bediene ich ja auch die Wünsche und Vorstellungen der Kostümbildner. Und natürlich möchte ich auch mal was Eigenes machen, also meine eigenen Ideen umsetzen.

Was unterscheidet die Arbeit am Theater von der in einem Hutsalon?

Das Besondere am Theater ist die Zusammenarbeit mit den anderen Gewerken. Manchmal arbeite ich mit der Schuhmacherin zusammen, etwa wenn wir für den Kopf irgendetwas aus Leder arbeiten müssen. Dann gehe ich mit meinem Holzkopf zu ihr und bin ganz fasziniert, wie sie das Leder verarbeitet. Sehr gerne arbeite ich auch mit der Kostümmalerin zusammen. Im Theater tragen alle ihren kleinen Teil zur Produktion bei. Es ist einfach schön, das Gesamtwerk am Schluss, bei der Premiere, auf der Bühne zu sehen. Im Atelier ist das natürlich anders. Aber wenn man da einen neuen Hut kreiert, den ins Schaufenster stellt und dann kommt jemand rein, weil er genau diesen Hut im Schaufenster gesehen hat. Und dann probiert derjenige den Hut an, er gefällt ihm und er kauft ihn. Das ist ein Wahnsinnsgefühl.

Welche Eigenschaften braucht man als Hutmacherin?

Geduld. Liebe zum Detail, Vorstellungsvermögen. Natürlich auch ein gutes Gefühl für Proportionen und Improvisationstalent. Also am Anfang saß ich manchen Nachmittag da und hatte Bauchschmerzen, weil ich gedacht hatte, ich schaffe es nicht. Ich wusste nicht, wie ich eine bestimmte Form herstelle. Aber bisher habe ich es immer geschafft.

Tragen Sie privat eigentlich häufig Hüte?

Zu festlichen Anlässen mache ich mir gerne eine Kopfbedeckung, meist einen Fascinator. Ein Fascinator ist ein kleines, „faszinierendes“ Etwas, meist aus Federn, Tüll oder Blumen gearbeitet. Es kann nur ein Haarschmuck sein oder etwas größer in Form eines sehr kleinen Hutes. Das kommt bei meiner Teenie-Tochter nicht so gut an. O-Ton: „Willst du wirklich mit dieser Antenne auf dem Kopf zur Hochzeit gehen?“

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