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Hussam Al Zaher Hamburger, aber halalDas Klischee vom Plattenbau

Leser*innen, die diese Kolumne schon öfters gelesen haben, wissen es schon: Ich habe meine Kindheit und Jugend in der Nähe von Damaskus verbracht, in einer kleinen, siedlungsähnlichen Nachbarschaft außerhalb der Stadt. Dort stand ein Haus, in dem nur meine Familie lebte. Hohe Decken, viele Zimmer, ein Nachbar, der jeden Morgen sehr laut den Koran hörte. Die meisten Nach­ba­r*in­nen waren direkt oder indirekt mit meiner Familie verwandt. Als ich nach Hamburg kam, war mir klar: Alles wird anders. So war es auch dahingehend, wie und wo ich heute wohne.

Das Thema Wohnen beschäftigt viele in Hamburg. Ich denke, ich werde die Liste der damit verbundenen Probleme nicht abschließend nennen können, sie ist lang und die meisten von uns kennen sie gut. Aus meinem persönlichen Umfeld aber habe ich vor Kurzem doch etwas neues gelernt: „Wohnen in der Platte“.

Eine befreundete Familie sucht eine größere Wohnung, sie wünschen sich mehr Platz für ihre Kinder. Nach fast einem Jahr und Hunderten Bewerbungen, Besichtigungen und Absagen bekamen sie über Kontakte eine Information: In Steilshoop wird eine Wohnung frei! Genügend Quadratmeter, aber für knapp 1.500 Euro Miete im Monat. Kaltmiete. Sie erzählte meiner Frau davon, die sagte erstaunt etwas wie „So viel für ’ne Plattenbauwohnung!?“

Das war das erste Mal, dass ich das Wort „Plattenbau“ gehört habe. Ich wusste nicht, was es bedeutet, meine Frau konnte es zwar sachlich beschreiben, aber nicht genau, warum man dort automatisch geringere Mieten erwartet.

Können eng gebaute Wohnungen aus Beton kein schönes Zuhause sein? Was hat es mit Steilshoop auf sich? Neben Plattenbau habe ich nun auch die Begriffe „Hochhaussiedlung“ und „Systembauweise“ gelernt.

Foto: privat

Hussam Al Zaher

ist syrischer Journalist und Politikwissenschaftler. Er hat das Magazin „Kohero“gegründet, das Themen rund um Migration verhandelt, und publiziert den Newsletter „Syrien Update“.

Die Woche darauf war ich beruflich in Dresden unterwegs und mir begegnete das Thema wieder. Ich suchte syrische In­ter­view­part­ne­r*in­nen und kam ins Gespräch, während ich mich in ihrer Plattenbausiedlung umsehen durfte.

Von einem Balkon hing eine Palästinaflagge, beim Nachbarn wurde Lammfleisch gegrillt. Auf dem Hof spielten Kinder Verstecken – auf Arabisch. Es war nicht idyllisch, aber es fühlte sich sozial und harmonisch an. Und das zählt auch, oder? Na ja, die Gebäude waren hässlich und schmutzig. Und niemand wollte wirklich was ändern. „Seit 30 Jahren ist hier nichts renoviert worden“, erzählte mir ein alter Mann.

Zurück in Hamburg habe ich ein bisschen nachgelesen: Plattenbauten sollten in den 60er-Jahren die Wohnungsnot in der DDR lösen. Günstig und schnell gebaut mit vorgefertigten Betonplatten. „Die Platte“ galt als Zeichen der Fortschrittlichkeit, spätestens nach der Wiedervereinigung war das wieder vorbei. Im Osten wurde die Bauweise zum Zeichen für Stillstand. In Westdeutschland als Ort für die „sozial Abgehängten“.

Beim Begriff „Plattenbau“ schwingt im Subtext mit: arm, migrantisch, asozial

Und heute? Nach meiner kurzen Recherche und ein paar Gesprächen höre ich beim Begriff „Plattenbau“ oft im Subtext mit: arm, migrantisch, asozial. Ähnlich wie bei „Problemviertel“ oder „sozialer Brennpunkt“. Ich kenne Steilshoop nicht, auch nicht die anderen Plattenbausiedlungen der Stadt. Aber ich höre die Sprache und denke mir, wir vermischen, wie wir über die Architektur sprechen und wie über die Menschen. Und die Architektur ist schließlich nicht vom Himmel gefallen, sie wurde so geplant und gemacht.

Ich habe auch aus den Gesprächen gelernt: In vielen Plattenbauwohnungen leben Menschen seit mehreren Generationen, viele deutsche wie nicht deutsche Bürger*innen, viele Familien, viele Arbeiter*innen. Man kennt sich, unterstützt sich, passt mal auf die Nachbarskinder auf, feiert zusammen Eid al-Adha. Ist das romantisiert? Vielleicht. Gibt es kollektive Strukturen, Widerstand gegen die Einsamkeit und gegen das Übersehenwerden? Vielleicht mehr in Plattenbausiedlungen als anderswo.

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