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Sy­re­r*in­nen nach dem Sturz AssadsAuf der Suche nach der Heimat

Seit dem 8. Dezember frage ich mich wie viele Syrerinnen und Syrer im Exil, ob ich hierbleiben oder zurück nach Syrien gehen soll.

Entstehen hier noch Heimatgefühle? Straße im syrischen Homs am 26. Dezember Foto: dpa/AP

A m 8. Dezember 2024 hat sich für mich viel verändert – die Herrschaft der Familie Assad über Syrien endete und in meinem Kopf fielen Mauern. Ich denke, so geht es vielen Syrerinnen und Syrern, die in Hamburg oder sonst wo im Exil leben. Wir atmen neue Luft und stellen uns neue Fragen über die Zukunft und über das Leben als Sy­re­r*in­nen im Exil. Sind wir noch Geflüchtete? Sind wir Einwanderer*innen, wie aus jeder anderen Nation?

Ich habe in den vergangenen Wochen tausende Beiträge in den sozialen Medien gelesen, ich kann gar nicht aufhören, die Gedanken und Nachrichten der Sy­re­r*in­nen in Syrien und im Ausland zu verfolgen. Ich sehe, wie die Personen hinter Accounts auf Instagram oder X ihre echten Namen veröffentlichen und schreiben, dass sie jetzt keine Angst mehr haben. Sie sagen: „Ich bin kein Refugee mehr!“

Dann sind da die deutschsprachigen Medien. Einige Politiker haben keine Zeit verschwendet, um nach dem Sturz Assads dafür zu plädieren, Sy­re­r*in­nen zurück nach Syrien zu schicken oder abzuschieben. Andere mussten sich erst mal daran erinnern, dass das Land Syrien und die Sy­re­r*in­nen mehr sind als die „talking points“ Krieg, Terror, Geflüchtete. Die Geschichte, die Politik und die Gesellschaft Syriens ist vielschichtig, so wie in jedem Land.

Als ich nach Hamburg kam, hatte ich keine andere Wahl. Ich wurde als Geflüchteter anhand eines Verteilungsschlüssels dorthin gebracht. Ich sprach kein Deutsch, kannte niemanden außer meinen Bruder und die Syrer, mit denen ich die Unterkunft in der Schnackenburgallee teilte. Ich musste und wollte lernen, Hamburg zu meiner Heimat zu machen, denn ich wollte nicht das Gefühl haben, in einer Fremde zu leben. Mit viel Anstrengung (und Übersetzungsapps) habe ich Kontakte gesucht und gefunden, die zu den Bausteinen für mein neues Zuhause wurden. Sie halfen mir, ein soziales Netz zu bauen, meinen Weg zu finden, meinen Traum eines Magazins für neue Perspektiven zu gründen.

Heimat hier und dort

Ich lernte meine Frau kennen, wir heirateten, zogen um, machten neue Bekanntschaften. So viel habe ich hier in Hamburg gefunden – nicht nur, weil ich es wollte, sondern auch, weil ich keine andere Möglichkeit hatte. Es ist schwer, das in Worten auszudrücken, ohne zynisch oder undankbar zu klingen. Aber eine Rückkehr nach Syrien – sogar nur für einen Besuch – war fast zehn Jahre lang keine Option, keinen Gedanken wert.

Heute scheint ein Besuch und auch eine Rückkehr nach Syrien möglich zu sein. Und damit stellt sich mir eine entscheidende Frage: Welche Heimat habe ich jetzt? Ist es Syrien, das Land, in dem ich geboren wurde, in dem meine Kindheitserinnerungen liegen, das ich aber nicht selbst gewählt habe? Oder ist es Hamburg, mein Exil, mein neuer Hafen, den ich ebenfalls nicht selbst gewählt habe?

Ich denke, dass ich noch nicht bereit bin, Hamburg als Heimat zu vergessen. Und ich schreibe bewusst Hamburg und nicht Deutschland, weil Deutschland für mich oft zu groß erscheint. Es gibt zu viele Stimmen, die mich nicht als deutsch akzeptieren. Auch das ist mir nicht mehr so wichtig wie vor dem 8. Dezember. Aber Hamburg, diese Stadt, die ich nicht gewählt habe, wurde zur besten Möglichkeit, die ich je hatte.

Es ist nicht mehr 2011

Gleichzeitig weiß ich nicht, ob ich nach all den Jahren im Exil noch in Syrien meine Heimat finden werde. Ich selbst, wie viele andere Sy­re­r*in­nen auch, habe mich verändert. Auch Syrien hat sich verändert. Ich kann nicht in ein Flugzeug steigen und es ist wieder 2011.

Was passiert, wenn ich nach Syrien zurückkehre und dort kein Heimatgefühl mehr finde? Werde ich mich dann heimatlos fühlen? Oder bleibe ich ab jetzt zwischen den Heimaten Damaskus und Hamburg? Ich weiß es nicht. Aber ich freue mich und bin dankbar dafür, dass ich das jetzt herausfinden kann.

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1 Kommentar

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  • Ich habe auch einige Jahre im Ausland gelebt, ich hatte aber das Glück, dass es meine Entscheidung war. Also kaum mit dem vorliegenden Bericht zu vergleichen. Trotzdem kann ich die Zerrissenheit gut nachvollziehen. Man hat sich einen Freundeskreis aufgebaut, hat einen Job und fühlt sich eigentlich wohl. Dann kann man die Entscheidung treffen, möchte ich bleiben oder möchte ich gehen. Das ist schwierig und es stellt sich auch die Frage nach dem Begriff und dem Inhalt des Wortes Heimat. Ich wünsche dem Autor der Zeilen, dass er die für ihn stimmige, ich schreibe extra nicht das Wort richtige, Entscheidung treffen kann. Es gibt aber sicher viele Menschen die sich freuen würden, ihn weiterhin in Hamburg zu haben. Jutta/ Hamburg