: Huren und Heroin über die Adria
■ Unter dem Druck der Massenproteste überließ die Polizei die Stadt Vlorä sich selbst – und dem organisierten Verbrechen
Volkszorn, Gewaltbereitschaft und politischer Protest ergeben in Vlorä eine explosive Mischung. Schon seit Wochen herrscht in Albaniens zweitgrößter Hafenstadt faktisch der Ausnahmezustand. Unter dem Druck der Massenproteste überließ die Polizei Mitte Februar die Stadt sich selbst. Mit dem Sturm auf die Zentrale der Geheimpolizei Shik fiel am Wochenende die letzte Bastion der Staatsmacht. Bei der Plünderung einer Kaserne bemächtigte sich die Menge Hunderter automatischer Gewehre. Gestern brannte das Rathaus, der Bürgermeister hat sich ohnehin seit ein paar Tagen nicht mehr blicken lassen. Niemand kann Politik und Kriminalität noch auseinanderhalten.
Nur 60 Kilometer Luftlinie liegen zwischen Vlorä und der italienischen Küste. Schlepper, Drogenschmuggler und Frauenhändler treiben ganz unverhohlen ihre Geschäfte. Drei Stunden hin und zurück brauchen die Motorboote, die Prostituierte, illegale Einwanderer, Zigaretten und Haschisch über die Adria nach Italien bringen. Im nahen Evlores wird Marihuana angebaut. „Angesichts der momentanen politischen Situation ist das Hauptgeschäft derzeit aber der Transport von Albanern“, sagte ein Schiffer kürzlich beim Einladen seiner Fracht. Die 135 Kutter, die vergangenes Jahr von der Polizei beschlagnahmt wurden, sind seit dem Abzug der Sicherheitskräfte wieder ständig im Einsatz.
Die britische Zeitung Independent berichtete unter Berufung auf westliche Geheimdienste, die albanische Regierung sei in illegale Geschäfte verwickelt, die Geheimpolizei kontrolliere den Heroinschmuggel nach Italien. „Hier in Albanien sind doch alle Komplizen, einschließlich der Regierung“, sagt ein Haschischschmuggler in Radhimes, nur zwei Kilometer entfernt von der Sommerresidenz des Präsidenten Sali Berisha, die am Sonntag von Demonstranten angezündet wurde. Das Gerücht, die Geheimpolizei wolle den Hungerstreik von 41 Studenten gewaltsam beenden, hatte den Aufstand ausgelöst, bei dem in der Nacht zum Samstag sechs Polizisten und drei Zivilisten starben.
Die Studenten, die mit ihrem Hungerstreik gegen die Regierung protestierten, haben ihre Aktion inzwischen beendet. Sie forderten die Menschen in Vlorä auf, ihre Kalaschnikows niederzulegen – bisher erfolglos. „Vlorä ist wie ein eigener Staat“, sagt die 21jährige Studentin Albana Venollari. „Aber wir wollen zu Albanien gehören.“ Briseida Mema (AFP), Vlorä
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