Hospiz unerwünscht: Bitte sterben Sie woanders
Einen Tag nach seiner Öffnung muss ein Hospiz in Hamburg womöglich wieder schließen. Die Kläger wollen den Tod nicht vor der Haustür haben.
HAMBURG taz | Das Ehepaar K. will nicht sprechen. Am Montagmittag sind alle Rollläden heruntergelassen, auf die schriftliche Bitte, sich zu melden, reagiert es nicht. Wer die beiden in ihrer Doppelhaushälfte am Hamburger Stadtrand besuchen will, kommt nur bis zur Hecke.
Hier, vom Fußweg aus, kann man sehen, was das Ehepaar wütend und sprachlos macht: Gegenüber hat das Rote Kreuz (DRK) das Gemeindezentrum zum Hospiz umgebaut. Ein Doppelstockbau mit massiver Backsteinwand, keine fünf Meter entfernt von der eigenen Fensterfront. Ehepaar K. klagt gegen das Hospiz, heute verhandelt das Verwaltungsgericht. Sollte das Paar recht bekommen, kann es sein, dass das Hospiz abgerissen werden muss. Erst am Mittwoch wurde es eröffnet.
Formal begründet das Ehepaar seine Einwände in der Klageschrift, die der taz vorliegt. Dort ist der Ärger in die Fachsprache der Juristen übersetzt. Bemängelt werden die „Abstandsflächen“, die „Mehrverschattung“, und die „kurze Verweildauer“ der kranken Patienten. Ein Hospiz entspreche nicht dem „Gebietscharakter des allgemeinen Wohngebietes“, heißt es. „Der Bau nimmt, mit anderen Worten, keine Rücksicht auf das Wohnumfeld.“
Einen Tag nach der Eröffnung eines Hospizes in Hamburg-Harburg kann die Einrichtung nun auch wie geplant die Arbeit aufnehmen. Das Verwaltungsgericht wies am Donnerstag die Klage von Anwohnern ab, die eine Belegung verhindern wollten, wie ein Sprecher sagte.
Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) begrüßte den Beschluss: „Die schnelle Entscheidung des Gerichts macht den Weg frei für eine gute und sinnvolle Einrichtung in Harburg.“ Bislang gab es kein Hospiz im Süden der Hansestadt. In der Einrichtung in Harburg können zwölf Menschen betreut werden.
Zwei Tage vor der Eröffnung steht Harald Krüger am Fenster eines Patientenzimmers im Hospiz. Er zeigt auf die Hecke, die auf der Grundstücksgrenze zwischen dem Hospiz und dem Garten des Ehepaars K. verläuft: „Das war unser Kompromiss,“ sagt er. „Per Vertrag haben wir geregelt, dass die Hecke einen Sichtschutz bildet.“
Hinter der Hecke
Harald Krüger leitet das Bezirksbüro des DRK, das Hospiz ist sein Projekt. Das Patientenzimmer, aus dem er auf die Nachbarn schaut, ist noch unbewohnt. Die Wände sind gelb und weiß gestrichen, es riecht nach frischer Farbe und Laminat. Am Montag soll die erste Patientin einziehen. Ein fahrbares Bett und ein fahrbarer Sessel sind schon da, Fernseher und Stehlampe fehlen noch. Zwölf Patienten sollen in dem Hospiz einmal leben – und sterben. Wenn das Hospiz überhaupt bleiben darf.
Krüger ist ein kräftiger Mann mit grauem Bart. Er spricht mit fester Stimme und Hamburger Schnack. Keiner, der sich schnell geschlagen gibt. Seit dreißig Jahren arbeitet Krüger beim DRK und hat schon viele soziale Einrichtungen eröffnet. Bei jeder, egal ob Kindergarten oder Altenwohnanlage, habe es Beschwerden der Anwohner gegeben. „Aber so viel Widerstand wie hier habe ich noch nie erlebt“, sagt er.
Krüger und das DRK hatten das Gemeindezentrum im letzten Jahr von der Kirche gekauft. Noch bevor der Kaufvertrag unterschrieben war, hatte Krüger die erste Beschwerde im Briefkasten. Damals empörten sich neben dem Ehepaar noch mehr Anwohner, und dann begann die Protestwelle. Krüger lud alle Anwohner zu einer Infoveranstaltung ein. 150 Nachbarn kamen und trugen ihre Sorgen vor: „Einer meinte, ihm bleibe das Brötchen im Halse stecken, wenn an seinem Frühstückstisch der Leichenwagen vorbeifährt. Viele Eltern hatten Angst um ihre Kinder, wenn die sehen, wie hier Leichen abtransportiert werden. Und wieder andere hatten Angst, dass sie im Sommer nicht mehr draußen grillen dürfen“, erinnert sich Krüger.
„Wir sind von Anfang an belogen worden“
Zurück auf der Straße in Sichtweite von Hospiz und Nachbarhaus: Einer der Anwohner steht vor seinem Gartentor. Wie er es findet, dass hier ein Hospiz eröffnet? „Wir sind von Anfang an belogen worden“, sagt er. „Die Baupläne, die uns das DRK im letzten Jahr vorgesetzt hat, sahen ganz anders aus.“ Er trägt Funktionsjacke und eine Aktentasche, beim Reden läuft er auf und ab, wird immer lauter und gestikuliert mit seiner freien Hand.
Das Hospiz regt ihn auf, aber seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen: „Das Gebäude versperrt dem Ehepaar die Aussicht. Ich kann gut verstehen, dass die sich beschweren.“ Auch er habe am Anfang gegen das Hospiz gekämpft, mittlerweile sei ihm das aber zu viel Arbeit. „Ich habe doch überhaupt nichts gegen das Hospiz“, sagt er. „Aber im Umkreis von nicht einmal zwei Kilometern gibt es einen Waldrand am freien Feld. Wieso konnte man das Hospiz nicht dahin bauen? Dort hätte es keinen gestört.“
Solche Sätze hat Martina Kuhn schon oft gehört. Sie koordiniert die Hamburger Hospize. „Jedes Hospiz, das in Hamburg neu aufgemacht hat, hat Proteste erlebt“, sagt sie. „Aber bei keinem haben die Anwohner so lange gekämpft und sind sogar vor Gericht gegangen.“ In einem anderen Stadtteil sei ein Ehepaar umgezogen, als es einsah, dass es das Hospiz nicht verhindern konnte. Bei einem anderen Hamburger Hospiz, das seit 15 Jahren geöffnet ist, beschweren sich die Nachbarn bis heute regelmäßig mit Zetteln im Briefkasten, wenn das Licht im Haus zu lange brennt oder man nachts in die Zimmer schauen kann.
„Das sind alles vorgeschobene Gründe. In Wirklichkeit ertragen es die Menschen nicht, den Tod so nah vor der Haustür zu haben“, sagt Kuhn. „Sie haben Angst vor ihrem eigenen Tod und wollen den Gedanken so weit es geht wegschieben. Viele wissen gar nicht, was in einem Hospiz überhaupt passiert.“
Auch in Nordrhein-Westfalen klagen derzeit vier Anwohner gegen den Neubau eines Hospizes. „Ich habe doch Kinder und Enkel – an die muss man doch auch denken“, rechtfertigt sich einer der Kläger in der Lokalzeitung. Er habe grundsätzlich nichts gegen ein Hospiz, sagt der Rentner. „Aber doch nicht in einem gewachsenen Wohngebiet wie hier.“
„Da gehört das Hospiz hin“
Langenbek, der Ortsteil, in dem das Hospiz des DRK entstehen soll, ist auch so ein gewachsenes Wohngebiet. Eine typische deutsche Vorstadtsiedlung: Einfamilienhäuser aus rotem Backstein stehen dicht beieinander, abgegrenzt durch kniehohe Gartenzäune und Hecken. Dahinter: Weihnachtssterne und Lichter in den Fensterscheiben.
„Genau da gehört das Hospiz hin“, sagt Pastorin Hella Lemke. Sie ist Hospizseelsorgerin und hat bis vor sieben Jahren in den Räumen gewohnt, in denen jetzt das Hospiz entsteht. „In einem Hospiz geht es nicht nur ums Sterben, sondern auch um Leben. Ein Hospiz, das mitten im Wohngebiet steht, macht auch architektonisch klar: Leben und Sterben gehören zusammen.“
Wenn Lemke aus ihrer Wohnung tritt, steht sie auf dem Kirchfriedhof. Sie kann verstehen, dass es Zeit braucht, sich daran zu gewöhnen, neben einem Haus zu wohnen, in dem Menschen sterben. „Aber ich finde es sehr traurig, dass die vergangenen eineinhalb Jahre nicht ausgereicht haben, damit sich die Nachbarn an das Hospiz gewöhnen.“
Bestatter fahren VW-Bus
Eine Spielstraße führt direkt auf das Hospiz zu. Als es noch ein Gemeindezentrum war, kamen viele Menschen: Bibelstunde, Jugendgottesdienst oder die Seniorensportgruppe. Jetzt, wo das Gemeindezentrum weg ist, ist es ruhiger geworden.
So wird es nicht bleiben, wenn das Hospiz erst einmal da ist, argumentiert das Ehepaar K. 150 Leichenwagen würden jährlich durch die Straße fahren, haben sie ausgerechnet. „Bei einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von 28 Tagen und 12 Gästen findet alle zwei bis drei Tage ein Wechsel statt“, steht in der Klageschrift. „Diese hohe Fluktuation übersteigt den Rahmen dessen, was in dem allgemeinen Wohngebiet verträglich ist.“
Harald Krüger zieht bei solchen Sätzen die Schultern hoch: „Wenn sich Anwohner vom Leichenwagen gestört fühlen, finden wir da eine Lösung. Die Leichen müssen ja nicht zur Frühstückszeit abtransportiert werden oder wenn die Kinder von der Schule kommen“, sagt er. Außerdem: „Leichenwagen erkennen Sie heute gar nicht mehr. Es gibt kaum noch Bestatter, die mit den klassischen Autos fahren. Die meisten fahren einen VW-Bus oder einen Kombi.“
Ein Jahr lang habe er die Anwohner zu überzeugen versucht. Einzelgespräche habe er geführt, ein Sommerfest organisiert. Mit Erfolg: Mittlerweile haben sich viele Nachbarn als Ehrenamtliche gemeldet, die vorlesen oder Sträucher einpflanzen wollen. In dem Raum, der einmal der Speisesaal für die Patienten werden soll, steht ein Regal voller Bücher und Spiele – Spenden von den Nachbarn. Eine Frau, die mit ihrem Hund am Hospiz vorbeispaziert, sagt: „Mein Vater ist im vergangenen Jahr gestorben. Ich wäre froh gewesen, wenn ein Hospiz in der Nähe gewesen wäre. Gut, dass hier nun eins eröffnet.“
Von all jenen, die das Hospiz verhindern wollten, ist nur noch das Ehepaar geblieben. Krüger steht im Treppenhaus des Hospizes und guckt auf das Nachbargrundstück: „Wir haben Briefe geschrieben, eine Mediation angeregt und angeboten, den Eheleuten andere Hospize zu zeigen. Nichts davon wollten sie.“ Einmal hat er die Ehefrau gesprochen, da habe sie gesagt, sie habe keine gute Erinnerung an ihren letzten Besuch in einem Hospiz.
Die entscheidende Frage
Wenn das Hamburger Verwaltungsgericht heute über die Klage gegen das Hospiz verhandelt, werden baurechtliche Vorgaben im Vordergrund stehen: Sind die 2,5 Meter Mindestabstand zwischen Grundstück und Hospiz gewahrt? Darf das Hospiz zwei oder nur ein Stockwerk haben? Ist die Hecke hoch genug? Dürfen dort zwölf oder acht Menschen gleichzeitig sterben?
Das sind die formalen Punkte, auf die sich das Kläger-Ehepaar stützt. Eigentlich steht dahinter aber eine ganz andere Frage. Eine, die sich nicht mit Zahlen messen lässt: Wie viel Sterben verträgt die Vorstadt?
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