Horst-Köhler-Satire: Netzsperre auf Verdacht
Eine anrührende Netzgeschichte: Nach den Drohgebärden gegen eine Horst-Köhler-Satireseite bleiben Widersprüche – und viele Verdächtige. Weil keiner was weiß, dürfen jetzt alle mitraten.
Der Kriminalfall um die Drohgebärden gegen eine Horst-Köhler-kritische Homepage im Internet wird immer absurder. Am 3. Juni hatte die taz über den ominösen Versuch berichtet, auf illegalem Wege gegen eine satirische Internetseite vorzugehen, die Späße auf Kosten des zurückgetretenen Staatsoberhaupts machte.
Was war geschehen? Wenige Stunden nach dem Rücktritt von Horst Köhler vom Amt des Bundespräsidenten am 31. Mai hatte der Berliner Protestaktivist und taz-Gastkolumnist Jean Peters eine leicht als Satire zu erkennende Website ins Netz gestellt. Auf der Seite bot angeblich Horst Köhler nun seine wirtschafts- und militärpolitische Expertise der freien Wirtschaft an. Die Idee klickte sich: Der Ansturm auf die Homepage brachte innerhalb weniger Stunden den Server zum Erliegen und führte laut Providerangaben zu bis zu 2000 Klicks pro Sekunde.
Parallel dazu soll der Provider laut eigenen Angaben durch einen Anruf von der Staatsanwaltschaft Köln telefonisch sowie in einem vermeintlichen Schreiben des Bundesverwaltungsamtes (BVA) auch schriftlich unter Druck gesetzt worden sein, die Seite aus dem Netz zu entfernen. Gleichzeitig beantragte eine unbekannte Person die Löschung der Homepage aus dem Google-Cache, wo sie zeitweise verschwand. Dies alles nur wenige Stunden nach der Veröffentlichung der Homepage.
Auf Anfrage der taz bestritt allerdings sowohl die Kölner Staatsanwaltschaft als auch das Bundesverwaltungsamt, das dem Innenmministerium unterstellt ist und für den Missbrauch von Hoheitszeichen zuständig ist, in der Sache tätig geworden zu sein.
Komisch: Viele Details der vermeintlichen Abmahnmail, die die taz hier veröffentlicht hat (jpg-Datei, 888 KB), deuteten darauf hin, dass die Mail direkt aus dem Bundesverwaltungsamt kam. Der dort genannte Mitarbeiter arbeitet tatsächlich beim BVA. Und ein IP-Check ergab, dass die Mail von einem Server des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) stammen sollte, das ebenfalls dem Innenministerium unterstellt ist und über das tatsächlich die Mails aus dem BVA laufen. Das BVA schließt nun aus, dass der in der Mail genannte Mitarbeiter beteiligt gewesen sein könnte. Gegenüber der taz heißt es: "Dass die Mail nicht aus unserem Hause stammt, haben die technischen Auswertungen zweifelsfrei ergeben."
Das BVA und auch das BSI gehen deshalb nun davon aus, dass jemand die Mail professionell gefälscht hat. Einiges deutet in der Tat darauf hin: So ist der Wortlaut der Mail teilweise aus dem Internet kopiert. Und: Verschiedene von der taz befragte InformatikerInnen und WissenschaftlerInnen kommen zu dem Schluss, dass die Mail gefälscht sein könnte. Sie alle sagen aber auch: Für eine derart professionelle Fälschung musste massiver Aufwand und fundierte Expertise nötig sein.
Also stellt sich die Frage: Wer konnte das Wissen und Interesse haben, den Betreiber einer vergleichsweise belanglosen Internetsatire unter großem technischen, inhaltlichen und kriminellen Aufwand unter Druck zu setzen? Und dies bereits wenige Stunden nachdem die Seite überhaupt online war? So weit, so unklar.
Nun geht die Witzgeschichte in die nächste Runde. Denn wer den unklaren Hintergründen auf die Spur kommen will, scheitert in einem Dickicht aus Widersprüchen. Beispiel eins: Auf Nachfrage der taz teilte das Bundesverwaltungsamt mit, wegen der angeblich gefälschten Mail am 11. Juni Anzeige gegen Unbekannt bei der Kölner Staatsanwaltschaft gestellt zu haben. Doch: Die Kölner Staatsanwaltschaft kann dies gegenüber der taz nicht bestätigen. Ein Sprecher sagte der taz, ihm lägen keine Hinweise darauf vor.
Komisch, denn: Beim Provider mit Sitz im niedersächsischen Königslutter waren nach Angaben der Provider-Geschäftsführung bereits am 7. Juni – und damit bevor überhaupt Anzeige erstattet wurde – angeblich Kriminalbeamte im Haus, die die Echtheit der strittigen Mail prüften. Widerspruch zwei: Denn auch die zuständige Polizeipressestelle in Wolfsburg bestreitet, dass Polizisten oder Kriminalbeamte überhaupt bei dem Provider waren. Ein Polizeisprecher sagte der taz: „Wenn jemand von uns dort gewesen wäre, wüssten wir das.“ Auch die für den Einzugsbereich Königslutter zuständige Staatsanwaltschaft Braunschweig will an der Sache nicht beteiligt sein. Na, wer hat denn dann die Polizei geschickt? Oder war sie etwa gar nicht da?
Kurz: In der absurden Geschichte um eine relativ unbedeutende Homepage geht es eigentlich nicht um sehr viel. Und doch ist sie ein ganzes Staatsgeheimnis: Niemand weiß von nix. Und keiner wars gewesen. Und irgendjemand lügt.
Die taz stellt deshalb ihre 10 Lieblingsverdächtigen vor und ruft zu heftigen Spekulationen auf. Wer wollte und konnte ein Interesse daran haben, die Horst-Köhler-Satire zu attackieren? Und wer wäre in der Lage, die Mail zu fälschen? Wer hat ein Interesse daran, einen Fall, dessen Inhalt nur bedingt bedeutungsvoll ist, so aktiv zu vertuschen? Also bitte: Wer kann Hinweise geben, die zur Ergreifung der sicherlich gewitzten Täter führen?
Hier die 10 Lieblingsverdächtigen der taz:
1. Horst Köhler wars! Der Ex-Präsident hatte am Tag vor der Internetsperrung auch schon einen beleidigten Abgang gemacht und wenig Spaß verstanden. Außerdem hatte unser Hauptverdächtiger vor allem eins: Viel Zeit!
2. Vielleicht war es auch Thomas S. aus K.! Der Mitarbeiter des Bundesverwaltungsamtes ist in dem Anschreiben an den Provider namentlich als Absender genannt. Ein sonniges Übermaß an Mitleid mit Horst Köhler könnte ihn zu einer flotten Mail veranlasst haben. Logo: Jetzt wird er gedeckt.
3. Oder war es ein Neider von Thomas S. aus K.. Wer wollte dem Mitarbeiter des Bundesverwaltungsamtes schaden und macht üble Späße auf seine Kosten?
4. Vielleicht der Bundesinnenminister Thomas de Maiziere? Ihm unterstehen sowohl das Bundesverwaltungsamt als auch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik. Und ein waschechtes Interesse daran, mal zu schauen wie sich Netzsperren auch anders machen lassen, das hat er sicher auch.
5. Vielleicht schlug aber auch ein Praktikant der Staatsanwaltschaft Köln zu: Er hat witterte eine Ungeheuerlichkeit und schlug sich auf eigene Faust durch. Das erklärt auch, warum die Kölner Staatsanwaltschaft noch immer von nix weiß. Da fischt doch jemand!
6. Oder aber es war der Provider! Von dort kommen viele Infos, die sich nicht erhärten lassen. Er sieht sogar Polizisten bei sich, die es gar nicht gibt. Oder gibt es sie doch?
7. Dann hat sie womöglich der Satiriker Jean Peters selbst geschickt: Der Aktionskünstler ist der Urheber der Horst-Köhler-Website und ganz schön gewitzt. Klaro: Die ganze Nummer ist coole Publicity.
8. Viel wahrscheinlicher aber war ein Satiriker in spe am Werke: Irgendjemand könnte sich gedacht haben, dass man Satire am besten mit Satire beikommt. Schöne Idee: Deine Fake-Homepage vernichte ich mit einem Fake-Anschreiben. Hat voll geklappt! Ein Bier auf seinen Klarnamen!
9. Nicht auszuschließen aber auch, dass wir es selbst waren. Die taz ist doch immer an guten Geschichten interessiert. Wir könnten alles frei erfunden haben. Was spricht für uns als Täter? Genau das.
10. Am Ende war es dann wahrscheinlich niemand. Das ist ja wie so oft im Leben: Bei dieser Antwort könnten sich immerhin alle einig sein.
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