Horror-Reihe auf dem Filmfest Rotterdam: Rache an den Peinigern
Nichts ist furchterregender als die Angst vor der Angst: Die Geister des asiatischen Kinos lärmen in der Sonderreihe "Hungry Ghosts" auf dem Filmfest Rotterdam mächtig im Dunkeln.
Die Untoten sind lebendig im asiatischen Filmschaffen. Ob in Gestalt rachsüchtiger Dämonen oder als sehnsüchtiger Schatten der verstorbenen Geliebten, in Filmen aus China und Japan, aus Thailand, Korea und den Philippinen hat das Übernatürliche seinen festen Platz. Das Kino spiegelt dabei den alltäglichen Glauben seines Publikums und seiner Macher. Er habe mehr als einmal erlebt, dass Filmproduktionen ihre Büroräume wechseln mussten, weil dort angeblich Geister umgegangen seien, berichtet Gertjan Zuilhof, Kurator der zwei Dutzend Filme für die Sonderreihe "Hungry Ghosts" auf dem Filmfest Rotterdam.
"Tu einfach so, als seien sie nicht da", sagt der Vater in "Nightmare Detective 2" von Shinya Tsukamoto zu seinem Sohn, als vor dessen Fenster eine unheimliche Prozession vorbeiführt: Schulkinder, die noch von den Wunden und Verstümmelungen des Unfalls gezeichnet sind, bei dem ihr Bus in eine Schlucht stürzte. Das blutige Defilée bleibt jedoch die einzige Referenz auf die in diesem Genre übliche Überdeutlichkeit des Horrors. Denn Tsukamoto ist in seinem Thriller weniger an Schockeffekten als an der Psychologie des Schreckens interessiert. Sein zentrale Einsicht lautet: Nichts ist furchterregender als die Angst vor der Angst. "Es ist schrecklich, zu leben", sagt der Geist eines jungen Mädchens, das so lange in die Träume seiner Mitschülerinnen eindringt, bis diese beschließen, nicht mehr zu Bett zu gehen und aus Schlafentzug tot umfallen.
Die Polizei von Hongkong findet pragmatischere Wege, das Gespenstische zu ignorieren. Es wird per Dekret einfach untersagt, an Geister zu glauben. Egal, wie viele Fakten dagegen sprechen. So sehen sich in "Rule #1" von Kelvin Tong zwei Polizisten einem unmöglichen Auftrag gegenüber: den Geist eines Serienkillers zu jagen und gleichzeitig dessen blutige Spuren zu verwischen. Mit dieser Prämisse dreht Tong die Konventionen eines schon oft variierten Genres auf einfallsreiche Weise weiter. Seine Cops kämpfen gegen einen Psychopathen, der jeder sein könnte, auch der eigene Kollege.
Mit Hilfe von Bürokratie und Regelwerken haben auch die Zensoren auf den Philippinen versucht, das zu unterbinden, was ihnen zu unheimlich ist. Das belegt das Zitat der staatlichen Filmbewertungsstelle, das Punk-Digitalfilmer Khavn de la Cruz seinem Film "Three Days of Darkness" als Motto voranstellt und das den Film auf die denkbar kürzeste Weise charakterisiert: keinerlei moralischer Wert, dafür einige pornografische Szenen und jede Menge Blasphemie. Eine Reise ans Ende der Nacht: Drei junge Frauen sind in einem Haus eingesperrt, während vor den Türen die Apokalypse wütet. Zu Beginn erkundet die Kamera das leere Haus in einer Reihe von festen, lichtdurchfluteten Einstellungen, die an Architekturfilme erinnern. Dann versinkt der Film in beinahe vollständige Dunkelheit und eine intensiv gewebte Geräuschkulisse.
Wer es sich zutraute, konnte sich nach dem Besuch dieses Films ins ehemalige Fotomuseum Rotterdam begeben, wo der philippinische Filmemacher Lav Diaz einen Ausstellungsraum in ein Geisterhaus verwandelte. Auch hier völlige Lichtlosigkeit, gepaart mit ohrenbetäubender Rockmusik (eingespielt von "The Brockas", einem Rockmusik-Projekt von Lav Diaz, Khavn und anderen Regiekollegen). Wo aber "Three Days of Darkness" die staatlichen Zensoren durch schiere Radikalität herausforderte, war die begehbare Installation ein expliziter politischer Kommentar auf die Lage der Menschenrechte auf den Philippinen, wie eine Tafel am Ausgang erläuterte.
Geister sind Wiedergänger. Da wundert es nicht, wenn Filme über Geister meist in Serie gehen. Die Reihe "Art of the Devil" bringt es mittlerweile auf drei Folgen und wurde in ihrem Heimatland Thailand ein Hit an den Kinokassen. Der jüngste Teil erzählt vom Schicksal der schönen Panor, die umgebracht wird, damit der Geist einer verstorbenen Frau in ihren Körper einfahren kann. Wie in den meisten Filmen der Sonderreihe "Hungry Ghosts" ist es wieder einmal die Frau, die zum Opfer schwarzer Magie oder das Ziel dämonischer Attacken wird. Doch schlägt sie hier zurück und übt Rache an ihren Peinigern. Interessanter jedoch als sein arg formelhafter Plot ist die Produktionsgeschichte des Films: Er wurde, wie auch seine Vorgänger, von einem siebenköpfigen Regiekollektiv realisiert, die über jeden Schritt vom Drehbuch bis zur Postproduktion gemeinsam entschieden haben.
Dass Drastik nicht nur im Horrorgenre zu finden ist, bewies der koranische Wettbewerbsbeitrag "Breathless" von Yang Ik-June. Die Geister, die hier umgehen, sind die Erinnerungen an traumatische Erlebnisse. In dem neorealistischen Gangsterdrama begegnen sich lauter Verletzte: ein Kleinkrimineller und Geldeintreiber, gespielt von Yang Ik-June selbst, und eine Schülerin, die unter einem dementen Vater und einem gewalttätigen Bruder zu leiden hat. "Breathless" erzählt von den Mühen, aus dem Zirkel von Gewalt auszubrechen, indem man sich den Dämonen stellt, die man in sich trägt. In Rotterdam wurde der Film dafür mit einem VPRO Tiger Award ausgezeichnet.
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