: Honecker bald allein vor Gericht
■ Das Gericht stellte das Verfahren gegen Willi Stoph vorläufig ein und trennte es ab/ Möglicherweise ist auch Mielke aus gesundheitlichen Gründen bald nicht mehr dabei
Berlin (dpa) – Schon kurz nach Beginn des historischen Prozesses gegen Erich Honecker und fünf weitere Mitglieder der ehemaligen DDR-Führung kann das Verfahren nicht wie geplant durchgeführt werden: Der Prozeß muß ohne den Mitangeklagten Willi Stoph weitergehen. Das Berliner Landgericht erklärte den 78jährigen Stoph gestern für verhandlungsunfähig und stellte sein Verfahren vorläufig ein. Die Sachverständigen hatten eine „schwere instabile Angina pectoris“ (Sauerstoffmangel im Herz) und depressive Angstzustände festgestellt. Die begleitenden „Blutdruck-Krisen“ könnten unter den Belastungen eines Prozesses lebensbedrohlich sein. Die Verhandlungsfähigkeit, bestätigte das Gericht, bestehe auf „nicht absehbare Zeit“. Im Falle der Genesung müßte gegen Stoph ein neuer Prozeß eröffnet werden, da das Gericht das Verfahren gegen Stoph abtrennte. Eine Bestrafung Stophs wird damit unwahrscheinlich.
Willi Stoph war es, der den Sturz Honeckers am 18. Oktober 1989 im SED-Politibüro einleitete. Als Erich Honecker den Tagesordnungspunkt eins der Routinesitzung aufrief, meldete sich der gelernte Bautechniker zu Wort: „Ich stelle den Antrag, den Genossen Honecker von seiner Funktion als Generalsekretär zu entbinden...“ Stoph, der in der Sitzung die Mehrheit der Politbüromitglieder hinter sich hatte, soll schon insgeheim seit 1980 Pläne zur Entmachtung Honeckers gehegt haben.
Nach dem Ausscheiden Stophs bleiben in dem Honecker-Prozeß neben dem Hauptangeklagten nur noch Ex-Stasi-Chef Erich Mielke (84), Ex-Verteidigungsminister Heinz Keßler (72), dessen Stellvertreter Fritz Streletz (66) sowie der ehemalige Suhler SED-Bezirkschef Hans Albrecht (72).
Auch auf Erich Mielke muß der Vorsitzende Richter Hansgeorg Bräutigam in Zukunft eventuell verzichten. Nach einem neuesten psychiatrischen Gutachten ist der 84jährige gesundheitlich nicht in der Lage, den Honecker-Prozeß durchzustehen, sagte sein Anwalt Stefan König. Nach dem Gutachten eines Neurologen ist Mielke bereits durch das laufende Verfahren wegen des doppelten Polizistenmordes auf dem Berliner Bülowplatz zu stark belastet. Diese Einschätzung unterscheidet sich allerdings von der eines Herz- Kreislauf-Spezialisten, der Mielke für verhandlungsfähig erklärt hat.
Das Gericht will nun beide Gutachter im Beisein der Staatsanwaltschaft am nächsten Verhandlungstag anhören. Mielke wird deshalb zunächst am Montag noch neben Honecker auf der Anklagebank Platz nehmen und eineinhalb Stunden später noch einmal, ebenfalls im Raum 700 des Moabiter Gerichts, wegen der Bülowplatz- Morde vor den Kadi treten.
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