: »Homosexuelle liquidieren«
■ Liebe zwischen Männern ist in der Sowjetunion noch immer ein Verbrechen, das mit bis zu fünf Jahren Zuchthaus bestraft wird/ Berliner Schwulengruppen wollen mit Broschüren und Unterschriften helfen
Charlottenburg. Schwule sollte man am besten »liquidieren«, findet in der UdSSR jeder Dritte. Dieses Ergebnis einer angeblich repräsentativen Meinungsumfrage vermeldete unlängst das sowjetische Fernsehen. Die »Internierung« von Männern, die Männer lieben, fordern demnach weitere 30 Prozent der sowjetischen Bevölkerung. Sex zwischen erwachsenen Männern gilt in dem Land von Glasnost und Perestroika noch immer als Verbrechen: Bis zu fünf Jahre Zuchthaus drohen gemäß Paragraph 121 des sowjetischen Strafgesetzbuches. Zum Vergleich: Für Mörder gibt es drei bis neun, für Vergewaltiger drei bis fünf Jahre Knast.
Olga Chuk ist lesbisch. Nächtliche Drohanrufe — wahrscheinlich vom KGB — rauben der Präsidentin der »Kulturinitiative Tschaikowsky« seit August letzten Jahres den Schlaf: Damals gründete sie in Leningrad zusammen mit 10 Lesben und 40 Schwulen eine Vereinigung »zum Schutze sexueller Minderheiten«. Wichtigstes Ziel der Initiative: die erneute Streichung des Schwulen- Paragraphen 121. Lenin hatte ihn nach der Oktoberrevolution 1917 schon einmal abgeschafft, Stalin 1933 wieder eingeführt.
»Schwule werden terrorisiert, Lesben bemitleidet«, beschreibt Olga Chuk die Situation von homosexuellen Männern und Frauen während ihres Besuchs bei der Deutschen Aids-Hilfe (DAH). Eine schwule oder lesbische Szene gebe es in der UdSSR kaum. Wer sich, wie einige Abgeordnete des Leningrader Stadtparlaments, für die Probleme von Homosexuellen engagiert, müsse mit Repressalien oder mit Denunziation rechnen. Zwei »Zeugen« genügten, um nach Paragraph 121 (Tatbestand: Analverkehr) »überführt« zu werden. Tausende von Schwulen, so Chuk, seien gegenwärtig unter menschenunwürdigen Bedingungen inhaftiert. Die »Kulturinitiative Tschaikowsky« fordert ihre Freilassung und Rehabilitierung. Zur Unterstützung startet die DAH demnächst in Deutschland eine Unterschriftenaktion.
Zusammen mit dem Berliner »Bruno-Gmünder-Verlag« plant die Leningrader Initiative den Druck von Safer-Sex-Broschüren — Präventionsmaßnahmen, die den größten Teil der sowjetischen Öffentlichkeit immer noch schockieren. Offiziell gibt es in der Viermillionenstadt Leningrad nur 50 Aids-Kranke und HIV-Positive. In der Öffentlichkeit gelten sie als kriminell. Auf Isolierstationen hermetisch abgeschlossen, werden sie nur von Immunologen behandelt. Andere Mediziner, wie Chirurgen oder Zahnärzte, verweigerten in der Regel die Behandlung, erzählt Olga Chuk. Auch hier versuche die Kulturinitiative zu helfen. Doch die Behörden verweigern die offizielle Registrierung der Vereinigung. Grund: Die Aktivitäten des Vereins seien unvereinbar mit dem Paragraphen 121. Marc Fest
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