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Homosexualität in der "Bravo"Es ist nur eine Phase

50 Jahre Schwule und Lesben in der Zeitschrift "Bravo" - Erwin In het Panhuis hat die Antworten des angeblich liberalen Dr. Sommer unter die Lupe genommen.

Pop-Kultur war in Unterdrückungszeiten (klandestin) schwuler als heute: Titel der ersten "Bravo"-Ausgabe von 1956. Bild: dpa

Digitale Schmutz-und-Schund-Filter brauchte man früher nicht. Es gab auch noch kein Internet, das sexuelle und andere Bedrohungen hätte in die Jugendzimmer tragen können. Stattdessen gab es schon seit den Sechzigerjahren das Zentralorgan der westdeutschen Jugendkultur, die Zeitschrift Bravo.

Auch meine Mutter brauchte seinerzeit in den Achtzigern keine Filtersoftware. Sie filzte einfach am Erscheinungstag der Bravo meinen Schulranzen an der Haustür, um den Schmutz & Schund zu konfiszieren. Weshalb mir das unter Kleidung und Gürtel verborgene Printprodukt mitunter schmerzhaft auf jene Körperregion drückte, über deren Funktionsweisen ich mir Überblick zu verschaffen suchte. Und Dr. Sommer, der Pubertätskummerkasten, hatte ja auch wenigstens Antworten auf jene Fragen, die zu stellen man sich anderswo gar nicht erst getraut hätte. Homosexualität?!? "Es ist nur eine Phase." Ich warte noch heute darauf, dass diese bislang durchaus bereichernde Phase einmal zu Ende geht.

Auch solch persönliche Erinnerungen von Schwulen an ihren "Lebensbegleiter" Bravo finden Platz in Erwin In het Panhuis Band "Aufklärung und Aufregung. 50 Jahre Schwule und Lesben in der BRAVO", veröffentlich im Verlag des Archivs der Jugendkulturen.

Doch darüber hinaus schließt der Autor, unterstützt vom "Kölner Centrum Schwule Geschichte", eine Forschungslücke innerhalb der zahlreichen Publikationen, die anlässlich des 50. Geburtstages der Zeitschrift erschienen. Wobei allein das Durchblättern des Bandes suggeriert, dass es sich bei den Homosexuellen in Bravo-Zusammenhängen nicht wirklich um Lückenfüller gehandelt haben kann: Rex Gildo, Freddie Mercury, Elton John, George Michael, Boy George, Limahl … die Pop-Kultur war in Unterdrückungszeiten (klandestin) schwuler als heute. So könnte es zumindest im Nachhinein erscheinen, wäre da nicht zum Beispiel Ricky Martin, Popikone der Neunziger, der erst im Frühjahr 2010 die Welt mit seinem Coming-out "überraschte". Im Vordergrund der kulturhistorisch auch für nicht sexuell Andersbegabte faszinierenden Zeitreise steht jedoch die publizistische Rolle der Bravo als Instanz jener sexuellen Aufklärung, die von Schule und Elternhaus verabsäumt wurde. Und hier, so die Erkenntnis des Autors, spielte die Zeitschrift eine zwiespältige Rolle: Einerseits zeigten sich "Dr. Christoph Vollmer" (Marie Louise Fischer) und Dr. Sommer (Dr. Martin Goldstein) aufgeschlossen gegenüber der traditionell verfemten Onanie, andererseits fühlte man sich, dem Zeitgeist entsprechend, verpflichtet, das "Normale" und damit die zweigeschlechtliche, der Reproduktion gewidmete Sexualität zu befördern.

Die gleichgeschlechtliche Sexualität, vor 1969 noch strafbar, wurde ab den Siebzigern zwar nicht mehr eindeutig verteufelt, aber man wollte sie unter dem Eindruck der Verführbarkeitstheorie nicht auch noch "befördern" - denn genau dieser Vorwurf brachte der Redaktion mehrfach Ärger mit der Zensur.

Bild: taz

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Im Ergebnis hingen meist völlig allein auf sich gestellte Schwule und Lesben, die bei der Bravo Rat suchten, bis in die späten Achtziger ratlos im Reich des Tragischen. Von vorübergehender Verwirrung war die Rede und von Ermutigung weniger: "Das mit schwul solltest du dir nicht einreden. Du bist doch nicht so, nur weil die anderen dich so nennen. Wahrscheinlich würde helfen, wenn du dich mal wehrst und einfach ,Quatschkopf' zurückgibst."

In het Panhuis Buch ist kein fundierter wissenschaftlicher Beitrag zur Sexualgeschichte Deutschlands - und will es auch nicht sein. Zudem war der Homosexualitätsforschung in Deutschland bislang stets eine Existenz im Hinterhof zugedacht - man füllte eben mit bescheidensten Mitteln Forschungslücken.

Es ist dennoch ein wichtiger Beitrag. Anhand einer Minderheit wird die Geschichte der deutschen Jugendkultur in Schnipseln erzählt, als bunter Sexstarschnitt. Die Schwulen und Lesben waren in Bezug auf ihre sexuellen Nöte zwar nicht besser dran als ihre Altersgenossen, die nichts wussten von Lusttropfen und Petting. Doch die Bravo bot ihnen, bei allen Unzulänglichkeiten, wenigstens die Benennung ihrer Sexualität überhaupt: "Kann es sein, dass ich schwul bin?"

Das Internet gab es ja noch nicht. Heute ist die Bravo längst marginalisiert, und die Jugend klärt sich online auf. Noch, denn die Erwachsenen, geeint im Kampf gegen die angeblich die Jugend verderbende Pornografie, stehen ja mit der Filtersoftware bereits an der Haustür.

Erwin In het Panhuis: "Aufklärung und Aufregung. 50 Jahre Schwule und Lesben in der BRAVO". Archiv der Jugendkulturen Verlag, Berlin 2010, 194 Seiten, 28 Euro.

Die Ausstellung zum Thema in der Kölner Christuskirche dauert noch bis zum 2. Oktober.

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7 Kommentare

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  • K
    krusty

    @ M. A.:

     

    lol

  • SS
    Stephan Strotkötter

    @M.A.

    Du definierst einfach den Begriff Pornographie (üblicherweise die Darstellung des Sexualakts rein zum Zweck der Erregung des Betrachters/Lesers/Hörers) um, um die Keule dagegen schwingen zu können. Das mag zwar praktisch sein, einer Diskussion ist es aber nicht förderlich, wenn sich jeder die Begriffe so hindefiniert, dass sie zu seiner Meinung passen.

  • MA
    M. A.

    @ Veganarchist (Veganer? Anarchist? Und dann vertrittst du diese Ansichten? Haha!):

     

    Pornos zeigen ausschließlich sadomasochistische "Praktiken", alles andere darf sich meinetwegen Erotik nennen. Vielleicht kannst du den Zusammenhang zwischen asexueller Gewalt und sad./mas. Sexualität eher begreifen, wenn nicht die furchterregende EMMA (ich wusste, dass man mich mit dem Verweis gleich in eine entsprechende Schublade stecken und mich nie wieder ernst nehmen würde), sondern der Psychoanalytiker Erich Fromm dabei von der einzig wirklichen Perversion im eigentlichen Wortsinn spricht, weil ein eigentlich lebensförderlicher Trieb (der Sexualtrieb) verkehrt und benutzt wird, um einen Anderen in gewisser Weise abzutöten, zu verdinglichen, etc. Sadismus ist keine sexuelle Ausdrucksweise, sondern eine lebens- und vor allem freiheitsnegierende Charakterstruktur, das sollte gerade dir, VegANARCHIST, eigentlich zu denken geben!

    Dass im Idealfall (!) alle am Akt beteiligten Spaß an SM-Spielchen haben, ist längst kein Indiz dafür, dass das Ganze gesund ist.

    Ich empfehle dir das Buch "Anatomie der menschlichen Destruktivität" vo Erich Fromm, ich hätte dir gerne direkt draus zitiert, hätte ich es vorliegen. Statt dessen ein Zitat aus Wiki zum Thema Sadismus:

     

    "Sadismus definiert er [Erich Fromm] als Wunsch, einer Person physische oder psychische Schmerzen zuzufügen, sie zu demütigen, in Ketten zu legen, zu unbedingtem Gehorsam zu zwingen. Nach Fromm kommen nichtsexuelle Formen des Sadismus viel häufiger vor als sexuelle. Sie äußern sich z. B. in der Misshandlung von Kindern, Gefangenen, Sklaven, Kranken (vor allem Geisteskranken) oder Hunden."

     

    Im Übrigen wird Sadismus nicht dadurch besser, dass Frauen ("Femdom" etc.) sich sadistisch verhalten. Das ist ganz ganz falsch verstandene Emanzipation!

    Und Pornos produzieren/konsumieren zu dürfen, hat nichts mit sexueller Befreiung zu tun. Das ist ein perverser und kommerzieller Missbrauch der Sexualität.

  • VM
    Veganarchist -> @ M. A

    Es gibt wohl kaum eine undifferenziertere Art sich mit Pornos auseinander zu setzen als die Zeitschrift von Alice "porNO" Schwarzer. Was sich in deiner Aussage die Pornos als grundsätzlich "verderblich" darstellt wunderbar wiederspiegelt.

     

    Allerdings wird bei dieser eindimensionalen Darstellung einfach ausgeblendet dass das Repertoire

    mit Filmen "von Frauen für Frauen" bishin zu "Femdom" Movies weitaus mehr vorlieben abdeckt als die Emma suggeriert, davon das es nun mal Menschen gibt die im Bett einen dominanten Partner mögen mal ganz ab, aber man sieht halt immer nur was man sehen will.

  • K
    Kinsey

    @atypixx

     

    Eigentlich könnten wir ja auch spätestens seit den grauen 50ern (wieder) wissen, dass das mit der heterosexuellen "Norm" und "Mehrheit" eine gesellschaftliche Zwangskonstruktion ist.

     

    Würde aber nicht so gut in insgesamt auch "wissenschaftlich" dominierende heterosexistische Diskurse passen. Selbst die "Verführungstheorie" erlebt momentan ja zumindest unterschwellig auch wieder eine Renaissance und Jungs, die homosexuelle Kontakte wohlgemerkt mit Gleichaltrigen haben, können natürlich nur einem "Missbrauch" zum Opfer gefallen sein.

     

    Stichwort "Bravo" ist aber gut. Wenn im Jahr 2009 nur 16% der männlichen Jugendlichen Homosexualität für etwas Normales halten, dann ist es um die angebliche Liberalität unserer Gesellschaft offenbar nicht ganz so gut bestellt.

     

    Wenn homosexuelle Jugendliche immer noch - empirisch bewiesen und sogar von der letzten Bundesregierung anerkannt - in Folge psychischer, struktureller und teils roher Gewalt einem viermal höheren Suizidirisko ausgesetzt sind, sind die herrschenden Verhältnisse immer noch unerträglich und inakzeptabel.

     

    Immerhin war die BRAVO in den 70ern und 80ern schon so weit, die Existenz von Homosexualität und jungen Homosexuellen anzuerkennen. Die Bundeszentrale für Gesundheit und Aufklärung (BZgA) hat diesen Pfad im Jahr 2010 in ihrer jüngsten Erhebung "Jugendsexualität", finanziert auch mit schwul-lesbischen Steuergeldern, wieder gänzlich verlassen und setzt Sexualität von A bis Z mit Heterosexualität gleich, hat dabei die eine (und einzige) Frage zu gleichgeschlechtlichen Kontakten, die seit 1980 gnädigerweise üblich war, auch noch aus dem Fragenkatalog gestrichen.

     

    Und das vor dem Hintergrund der oben genannten gesellschaftlichen Realitäten!!!

     

    Homosexualität taucht dann nur noch in ein paar Nebensätzen als "Tabuthema" neben sexueller Gewalt und Prostitution auf.

     

    Während andere EU-Länder wie Großbritannien oder Schweden im Erziehungs- und Bildungswesen Schulen krankmachende homophobe Gewalt aktiv und einklagbar bekämpfen, ist Deutschland mit seiner beispiellosen Geschichte der Unterdrückung und Verfolgung bis hin zur gezielten Ermordung von Homosexuellen also immer noch nicht auf dem sexualwissenschaftlichen Stand der 1950er Jahre angekommen. Und vor allem nicht in den Realitäten von heute.

     

    Scheint hierzulande aber niemanden wirklich zu interessieren, auch nicht die taz.

  • MA
    M. A.

    Zitat: "...geeint im Kampf gegen die angeblich die Jugend verderbende Pornografie..."

    Moment mal! Nur angeblich verderblich? Sind durch sexuelle Gewalt ausgelebte Macht- und Erniedrigungsfantasien, das Reduzieren eines Menschen auf ein konsumierbares Stück Fleisch inzwischen für die psychische Entwicklung förderlich? Pornos gucken statt Sexualkunde? Eigentlich nicht ganz verkehrt. Spiegelt der Porno doch sehr anschaulich gegebene gesellschaftliche Verhältnisse wieder.

    (http://www.emma.de/ressorts/artikel/pornografie/im-zentrum-steht-der-schmerz/)

     

    Bestimmt hat der Autor diese Passage ganz anders gemeint. Tipp: Beim nächsten Mal jemanden Korrektur lesen lassen!

  • A
    atypixx

    "Das mit schwul solltest du dir nicht einreden. Du bist doch nicht so, nur weil die anderen dich so nennen. Wahrscheinlich würde helfen, wenn du dich mal wehrst und einfach ,Quatschkopf' zurückgibst."

     

    Also wenn jeder schwul wäre, den ich in der Schulzeit mal als solchen bezeichnet hörte, gäbe es etwa 10% Heterosexuelle.