Homophobie in Berlin: "Ursachen lassen sich nicht leicht festmachen"
Der Sozialpsychologe Bernd Simon hat nachgewiesen, dass junge Migranten deutlich schwulen- und lesbenfeindlicher sind als ihre deutschen Altersgenossen.
BERND SIMON (47) ist Professor für Sozialpsychologie an der Uni Kiel. Er hat Berliner Jugendliche zu ihren Einstellungen befragt.
taz: Herr Simon, Augenzeugen berichten, der Überfall auf mehrere Drags in Kreuzberg gehe auf das Konto von türkischstämmigen Männern. Manche klagen allgemein über eine zunehmende Homophobie bei Migranten. Ist da was dran?
Bernd Simon: Ich denke schon. Wir haben 2006 eine Untersuchung an Berliner Schulen gemacht. Die zeigt, dass Jugendliche mit türkischem Migrationshintergrund tatsächlich erheblich stärker ausgeprägte schwulen- und lesbenfeindliche Einstellungen haben als ihre Altersgenossen deutscher Herkunft.
Wie äußert sich das?
Wir haben die 14- bis 20-Jährigen in Fragebögen zum Beispiel einschätzen lassen: Wenn zwei schwule Männer sich küssen, finden sie das abstoßend? 79 Prozent der türkischstämmigen männlichen Jugendlichen haben gesagt, das treffe zu. Von ihren Altersgenossen ohne Migrationshintergrund waren es 48 Prozent. Wir haben auch abgefragt, ob die Jugendlichen die Gleichberechtigung für Schwule und Lesben unterstützen. Und ob sie glauben, dass sich Schwule und Lesben für etwas Besseres halten.
Die jungen Männer türkischer Herkunft haben da eine deutlich homophobere Einstellung bewiesen?
Nicht nur sie. Die Ergebnisse bei den Jugendlichen, deren Familie aus der ehemaligen Sowjetunion stammt, waren ganz ähnlich. Ein paar Schüler arabischer Herkunft hatten wir auch darunter, deren Antworten gingen ebenfalls in diese Richtung.
Haben Sie herausgefunden, womit eine solche Schwulen- und Lesbenfeindlichkeit zusammenhängt?
Die Ursachen lassen sich so leicht nicht festmachen. Ein paar Auffälligkeiten gibt es aber: Es hat sich gezeigt, dass - unabhängig vom Migrationshintergrund - traditionelle Männlichkeitsnormen die Homosexuellenfeindlichkeit begünstigen. Auch Religiösität spielt eine Rolle. Wenn Jugendliche türkischer Herkunft sagen, sie seien religiös, dann äußern sie sich häufig auch schwulen- und lesbenfeindlich.
Haben Sie auch die Gewaltbereitschaft erfragt?
Nein. Uns ging es um die Einstellungen. Man darf das nicht gleichsetzen. Wenn jemand eine homosexuellenfeindliche Haltung vertritt, heißt das noch lange nicht, dass er Gewalt gegen Schwule und Lesben anwenden würde. Ich warne auch davor, wegen der türkisch-religiösen Identität auf eine erhöhte Gewaltbereitschaft zu schließen. In einem anderen Projekt haben wir das untersucht. Und konnten keinen Zusammenhang feststellen.
Was sollte man Ihrer Meinung nach gegen Homophobie unter Migranten tun?
Da ist zum einen der persönliche Kontakt. Wer eine Lesbe oder einen Schwulen kennt, äußerte sich in unserer Studie viel positiver. Wichtig ist auch der Grad der Integration. Je besser integriert die Migranten sind, desto seltener zeigen sie eine homosexuellenfeindliche Einstellung.
Das Problem liegt also auch bei der deutschen Mehrheitsgesellschaft.
Ja. Nicht nur bei der Frage der Integration. Ich denke, dass Migranten ein feines Gespür dafür haben, was legitime Opfer in einer Gesellschaft sind. Schwule und Lesben werden hierzulande immer noch benachteiligt. Die Mehrheitsgesellschaft muss eindeutig zeigen, dass sie Homosexuelle vollständig akzeptiert. Nur so kann sie den Migranten signalisieren, dass auch sie Schwule und Lesben als gleichberechtigt betrachten müssen.
INTERVIEW: A. LANG-LENDORFF
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