Homophobie-Expertin der Berliner Polizei: "Gewalt fängt nicht an, wenn es blutet"
Bei Gewalt gegen Homosexuelle ermittelt der Staatsschutz. Die lesbische Berliner Kriminalkommissarin Tischbier motiviert Betroffene, solche Straftaten zu melden.
taz: Frau Tischbier, sind Sie froh, dass Sie nicht Polizistin im Iran sind?
Maria Tischbier: Der Iran gehört zu den Ländern, in denen Homosexualität unter Todesstrafe steht. Deshalb möchte ich als lesbische Frau dort nicht leben. Und zu den ausführenden Staatsorganen möchte ich dort auch nicht gehören.
Bei der Berliner Polizei sind Sie seit einem Jahr Ansprechpartnerin für gleichgeschlechtliche Lebensweisen. Ist das Ehre oder Schmach?
Vor acht Jahren machte Maria Tischbier, die sich mit 16 als Lesbe outete, einen radikalen Schnitt: Sie ging zur Polizei. Ursprünglich wollte sie Musik und Gesang studieren.
Vor einem Jahr wurde die 36-jährige Berlinerin zur Ansprechpartnerin der Berliner Polizei für gleichgeschlechtliche Lebensweisen. Diese Abteilung gibt es schon seit zehn Jahren. Tischbiers Kollege Uwe Löhr hat die Stelle inne. Es dauerte ein paar Jahre, bis die Polizeiführung auf die Bitte einging, Löhr eine Frau zur Seite zu stellen.
Am kommenden CSD-Wochenende teilen sich die beiden die Demos. Löhr ist für den Marsch, der zur Siegessäule geht, Tischbier für den Transgenialen CSD in Kreuzberg zuständig. Nach dem Unterschied gefragt meint sie, der eine sei eher links, der andere Mainstream. Letzterer ist ihr zu sexualisiert. Beide vermittelten zu viele Klischees, sagt sie. Ihr idealer CSD wäre einer, der Normalität sichtbar macht. WS
Toll finde ich, dass die Berliner Polizei diese Stelle eingerichtet hat. Insofern ist es eine Ehre, dass ich das machen darf. Eine Schmach ist es, weil so eine Stelle auch bei uns noch notwendig ist. Ideal wäre, wenn kein Hahn danach krähte, ob man schwul, lesbisch oder sonst was ist.
Was hat Sie bewogen, sich auf die Stelle zu bewerben?
Ich hatte auch keine genaue Vorstellung, was eine Ansprechpartnerin macht. Als ich mich informierte, dachte ich, das ist ne interessante Arbeit. Ich kann mich einsetzen für Dinge, die ich richtig und wichtig finde.
Was machen Sie als Ansprechpartnerin genau?
Ich werbe um Vertrauen.
Wofür?
Unter anderem um die Anzeigenbereitschaft zu erhöhen. Was ja vielen nicht klar ist: Es gibt nach wie vor Gewalt gegen Schwule und Lesben. Gewalt fängt nicht erst an, wenn es blutet. Gewalt fängt mit den täglichen Belästigungen, Beleidigungen, Diskriminierungen an. Es sind Sachen, wegen denen die meisten Betroffenen nicht zur Polizei gehen. Das Dunkelfeld in diesem Bereich ist - soziologischen Studien nach - extrem hoch. Polizei und Gesellschaft kann aber nur dann helfend eingreifen, wenn die Vergehen dokumentiert sind. Und nur dann können Täter bestraft werden.
Was können Sie tun, wenn ein Mann kommt und sagt: Ich wurde angespuckt, als ich mit meinem Freund unterwegs war?
Dann kann ich mit ihm die Strafanzeige aufnehmen.
Und danach passiert nichts?
Doch da passiert was. Es ist eine homophobe Straftat. Die wird dann auch beim Staatsschutz erfasst. Das wissen viele nicht.
Ihre Aufgabe ist es also, dass das Anspucken der Schwulen als politisch motivierte Straftat bewertet wird?
Wir sind dabei. Ganz wichtig, es geht bei unserer Erfassung um die Motivation der Täter. Niemals um die sexuelle Orientierung der Opfer. Im polizeilichen Meldesystem gibt es keinen Marker für die sexuelle Orientierung der Opfer. Viele melden sich nicht, weil sie glauben, es werden rosa Listen geführt. Diese Angst hat historische Gründe. Das Verhältnis der Homosexuellen zum Staat ist ja nicht unbelastet. Nach der Nazi-Diktatur wurden Homosexuelle auch in der Bundesrepublik noch strafrechtlich verfolgt. Bis 1969 gab es ungefähr 100.000 Gerichtsverfahren und 50.000 Verurteilungen.
Wenn sich aber heute - wo die Gesetzgebung homophobe Gewalt bestraft - mehr Menschen melden würden, die Erfahrungen mit homophoben Taten haben, wie können Polizei und Gesellschaft dann anders handeln?
Mir geht es in erster Linie darum, ein Signal zu setzen, dass Staat und Gesellschaft hinter seinen Minderheiten steht. Es ist auch ein Signal an die Täter. Wenn klar ist, dass ein Spruch wie "du schwule Sau" kein Kavaliersdelikt ist, dann ändert sich gesellschaftliches Bewusstsein. Dann wird die schwul-lesbisch-transsexuelle Community Ausgrenzung nicht mehr so oft wegstecken. Und die gesellschaftlichen Institutionen werden wacher.
Sind Sie sicher?
Wenn ich von Politikern gefragt werde, wie viel homophobe Straftaten wir zum Beispiel im Rollbergviertel in Neukölln haben, und ich antworte: "Uns liegen keine vor", dann sagen die: "Ach, dann haben wir ja auch kein Problem. Dann brauchen wir dieses präventive Projekt, diese Sportbegegnungsstätte, die der Verein XY machen will, auch nicht." Das greift doch alles so ineinander. Dass Schwule und Lesben im Rollbergkiez vielleicht aber, weil es negative Reaktionen auslöst, gar nicht Hand in Hand gehen, das steht ja wieder auf einem anderen Blatt.
Was machen Sie ganz konkret?
Wir arbeiten viel mit den schwul-lesbischen Projekten zusammen. Wie neulich, als ein Hassprediger, der öffentlich für die Todesstrafe für Homosexualität plädiert hat, auftreten sollte. Da überlegten wir mit, was man machen kann. Wir beraten Schwule, Lesben und Transgender. Sei es, ein schwuler Mann meldet sich bei uns, dessen Familie Druck auf ihn ausübt, oder eine lesbische Frau, die, weil sie Lesbe ist, vom Nachbarn schikaniert wird. Wir überlegen gemeinsam, was man machen kann. Soll eine Strafanzeige gestellt werden? Können wir vermitteln? Können andere vermitteln?
Das klingt alles nach Sozialarbeit und Mediation.
Zum Teil ist es das. Dazu kommt die Auswertung der uns gemeldeten Straftaten, damit präventive Konzepte entwickelt werden können. Netzwerkarbeit, Öffentlichkeitsarbeit, Unterstützung bei Polizeieinsätzen kommen ebenfalls dazu - wie jetzt beim CSD. Außerdem unterstützen wir polizeiliche Ermittlungen. Eigene Ideen sind zudem erlaubt. Ich hab mit einer Grafikerin eine Postkarte, die in Kneipen ausliegt, entwickelt. Da steht vorne drauf: "schwule Sau", "scheiß Lesbe". Auf der Rückseite stehen die drei Möglichkeiten, wie man eine Strafanzeige erstatten kann. Viele wissen nicht, was strafrechtlich relevant ist und wohin sie sich wenden müssen. Viele wissen auch nicht, dass man sogar eine Anzeige per Internet aufgeben kann.
Sie arbeiten also an einer Veränderung der Wahrnehmung. Aber wie ist es um die Toleranz Schwulen und Lesben gegenüber bei der Polizei selbst bestellt?
Ich habe keine Beschimpfungen gehört. Ich weiß natürlich nicht, wie es ist, wenn ich nicht im Raum bin. Erlebt hab ich, dass jemand sagt: Was ist das für eine schwule Scheiße. Die Polizei ist eben auch ein Spiegel der Gesellschaft. Wir machen interne Fortbildungen. Dabei geht es viel um handlungsorientierte Fragen, die die polizeiliche Arbeit betreffen, wie "Was ist ein Cruisinggebiet?" Aber auch darum, was Hasskriminalität, was vorurteilsmotivierte Kriminalität ist. Was bedeutet es, wenn ich jemanden wegen seiner Behinderung, seiner Hautfarbe, seiner sexuellen Orientierung zusammenschlage? Das kann man nicht in zehn Minuten vermitteln, wie das auf eine Gesellschaft wirkt, wenn man diese Sachen laufen lässt und staatlich nicht eingreift.
Überzeugungsarbeit also?
Dass man jedem erklären muss, was man will, und dass man was Gutes, was Sinnvolles will, das ist das Anstrengende an dem Job.
Sinnvoll ist, was in die Gesellschaft hineinwirkt?
Ich will meinen Beitrag dazu leisten, dass das Miteinander in dieser Stadt besser wird, angenehmer wird und nicht kippt. Das wird natürlich immer schwieriger in Zeiten mit weniger Geld, Arbeitslosigkeit, den ganzen brennenden Fragen. Da finde ich es schon toll, wenn man hie und da was zur Gemeinschaft beitragen kann. Es geht darum, Opfer von hassmotivierten Gewalttaten ernst zu nehmen und nicht das Gefühl stehen zu lassen, das sei normal in unserer Stadt. Ich will nicht, dass das normal ist.
Sie haben einmal gesagt, dass Sie davon ausgehen, dass jeder Schwule, jede Lesbe Erfahrungen mit homophober Gewalt hat. Warum glauben Sie das?
Weil ich mit vielen spreche und weil ich weiß, was mir passiert.
Was ist Ihnen passiert?
Auch ich habe Beleidigungen erlebt: "Lesbenvotze" - "Wer ist denn bei euch der Kerl?" - "Wer liegt bei euch oben?" Dazu muss man sich noch nicht einmal küssen. Auch körperliche Attacken hab ich erlebt, wo Jugendliche einen in den Kreis schließen und anfangen rumzuschubsen, und das eindeutig deshalb, weil man ein lesbisches Paar ist.
Wo war das?
Am Mehringdamm. Der Abend war gelaufen. Ich saß zu Hause, heulend und gedemütigt. Ich hab mich geärgert, weil ich mich nicht wehren konnte. Ich war damals noch nicht bei der Polizei und dachte, was viele denken: "Das interessiert die doch nicht." Seither weiß ich, dass viele Homosexuelle erst mal gucken, wer in der Nähe ist, bevor sie sich einen Kuss geben. Es ist ja nicht so, dass man an jeder Ecke zusammengeschlagen wird, aber dieses Gefühl, dass man sich nicht gänzlich frei bewegen kann, das haben viele. Und viele denken auch, dass es derzeit einen Rückschritt gibt. Dass das, was erreicht wurde, wieder weggenommen wird.
Also stimmt die Wahrnehmung vieler schwul-lesbischer Organisationen, dass Angriffe auf Homosexuelle zugenommen haben?
Aus polizeilicher Sicht nicht. Die Zahlen geben es nicht her.
Stehen Sie nicht auf verlorenem Posten, wenn Sie gleichzeitig sagen, wir nehmen die subjektive Wahrnehmung ernst, dass homophobe Gewalt zunimmt?
Sicher. Aber wir gehen davon aus, dass nicht alles angezeigt wird. Wenn ich mit Leuten aus dem Fuggerkiez spreche und die sagen: "Ha, was ihr da an Zahlen habt, das haben wir jedes Wochenende hier doppelt und dreifach", dann muss ich das doch ernst nehmen. Auch wenn, wie in diesem Fall, homophobe Gewalt und Eigentumsdelikte sehr leicht vermischt werden.
Wie meinen Sie das?
Man muss zwischen vorurteilsmotivierter Kriminalität und Eigentumskriminalität unterscheiden. Bei Letzterer geht es darum, Tatgelegenheitsstrukturen auszunutzen. Im Fuggerkiez sind viele Lokale, viele Leute und viele, die mit der irrigen Annahme rumlaufen, jeder Schwule will nur Sex. Da kann man dem auch zwischen die Beine greifen und dabei sein Portemonnaie klauen. Das stufen wir nicht als explizit schwulenfeindliche Tat ein, sondern als Eigentumsdelikt. Und Taschendiebstähle gab es in letzter Zeit tatsächlich viele.
Was ist aus Polizeisicht dran an der oft wiederholten Vermutung, dass vor allem muslimisch geprägte junge Männer gewaltbereit gegen Homosexuelle vorgehen?
Es hängt immer vom Tatort ab. Täter sind meist junge Männer, die aus dem umliegenden Gebiet kommen. Deshalb haben wir in Schöneberg eher Migranten als Täter. In Marzahn aber, da haben wir es, na ja nicht immer, mit dem Neonazi, oft auch mit dem sogenannten guten Deutschen zu tun. Aus den Fällen, die gemeldet werden, sehen wir, dass viele Deutsche mit ihrem schwulen Nachbarn nicht klarkommen.
Wie war das kürzlich? Da hat die Polizei nicht den Namen des Imbissbetreibers rausgerückt, der Homosexuelle schlug. Warum nicht? Weil er Migrant war?
Weil die Polizei in keinem Fall persönliche Daten rausgibt und dies auch gar nicht darf.
Machen Sie diese Arbeit eigentlich gern?
Ja.
Obwohl Sie doch Musik studieren wollten?
Ich habe lange Musik gemacht. Ich hab Konzertgitarre gespielt und Klavier. Gesang dazu. Eine Band hatte ich auch: "Sea of time". Ende der 90er-Jahre war das. Wir haben englischen Pop gemacht.
Und dann haben Sie die Gitarren auf den Schrank gepackt und sind Polizistin geworden?
Die Gitarren stehen in meiner Wohnung und werden benutzt. Ich wusste, als Musikerin wird es ein immer schwieriges Auskommen sein. Ich hätte zum Studieren aus Berlin weggehen müssen, weil ich an Hochschulen hier nicht angenommen wurde. Bevor ich zur Polizei ging, hab ich angefangen, Musikwissenschaften zu studieren. Das machen viele verkrachte Musiker. Dann merkte ich, das wird nichts. Ich dachte, vielleicht ist es Zeit, den Tisch noch mal leer zu räumen und von vorne zu beginnen.
Jetzt sind Sie Kriminalkommissarin. In der Hierarchie der Polizei bedeutet das was?
Mittendrin.
Glauben Sie, dass Ihre Homosexualität ein Hindernis bei Beförderung sein könnte?
Nein.
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