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Hollywood goes Heiligendamm

Die Piraten als Globalisierungsgegner, der Seeräubergipfel als Anti-G-8-Treffen: Unter viel Getöse liegt in „Am Ende der Welt“, dem dritten Teil der „Pirates of the Caribbean“-Saga, die Geschichte vom Kampf der Multitude gegen das Empire verborgen

VON TOBIAS RAPP

Wo Macht ist, ist auch Gegenmacht, hat ein großer Philosoph einmal gesagt, und als Kind der europäischen Aufklärung hat man wenig Schwierigkeiten, die Künste der Letzteren zuzuschlagen. Nicht dass es keine guten Argumente dagegen gäbe, aber in Anbetracht des Umstands, dass der G-8-Gipfel in Heiligendamm herannaht und man die Hoffnung ja niemals aufgeben soll, dass es doch noch andere Möglichkeiten der künstlerischen Äußerung geben muss als das Problematisieren von Grenzzäunen und die Inanspruchnahme von Kunst als Gummipuffer zur Gewaltprävention, kommt „Pirates of the Caribbean – Am Ende der Welt“ gerade richtig. Es dürfte der erfolgreichste Film dieses Sommers werden. Und wenn man ihn in einem knappen Satz zusammenfassen wollte, könnte man sagen: Hollywood goes Heiligendamm!

Ja, es gilt einiges wegzuschaufeln, wenn man zum politischen Kern dieses Großspektakels vorstoßen möchte, vor allem den Soundtrack von Hans Zimmer, der einen nach 169 Minuten doch einigermaßen zugedröhnt aus dem Kino stolpern lässt: alldieweil der Showdown ohnehin schon in einem visuell ziemlich überwältigenden Mahlstrom stattfindet, der die beiden verfeindeten Schiffe so tief in Richtung Meeresgrund drehen lässt, dass sie sich schließlich gegenüberliegen, ihre Masten verhakeln und umeinanderkreisen, während die Mannschaften das gegnerische Schiff zu entern versuchen, um sich dann gefühlte 20 Minuten lang gegenseitig die Gliedmaßen abzuschlagen. Klar: So etwas will akustisch begleitet sein.

Aber jenseits dieses Gedonners ist die „Pirates of the Carribean“-Trilogie nach dem trunkenen Beginn und dem comichaften Mittelteil mit ihrem Finale nun genau dort angelangt, wo es jedem Staatssekretär, der seine Kinder noch mal kurz vor dem Kino absetzt, bevor er in die Sitzung fährt, um irgendwelche abgelegenen Weltgegenden ins Unglück zu stürzen, angst und bange werden dürfte: bei der globalen Gegenmachtfantasie.

Bisher war das anders gewesen. Die ersten beiden Teile lebten von Johnny Depps queerem Sexappeal und vom Slapstick, von abstrusen Wendungen und individuellem Gewinninteresse. Am Ende waren es immer ein Schatz oder Schulden, die die Handlung antrieben. Damit ist es jetzt vorbei. Nach den komplizierten Drehungen, die die Handlung bisher nahm, ist „Am Ende der Welt“ auch vorbildlich einfach strukturiert: Da die britische Krone sich in Besitz des Herzens des krakenköpfigen Unterwasserkapitäns Davy Jones gebracht hat und ihn mitsamt seinem Fliegenden Holländer dazu zwingt, auf allen sieben Weltmeeren die Piraten zu jagen, bleibt den acht mächtigsten Seeräubern nichts übrig, als sich zu einem Gipfel zu treffen und zu beratschlagen, wie man dieser Gefahr begegnen möchte.

Großartige Idee natürlich: Vor dem Hintergrund des G-8-Gipfels gehört nicht viel dazu, in dieser Konstellation einen klassischen Fall von Übertragung zu entdecken, wie man ihm in der Psychoanalyse jeden Tag begegnet: Räuber bleiben die Gipfelteilnehmer natürlich, aber um der eigenen Verstrickung in die komplizierten gesellschaftlichen Verhältnisse Herr zu werden, spaltet man sie vom Imperium ab, um sie zu Identifikationsobjekten machen und sie so gegen die Macht wenden zu können. Und schaut man sich die acht Piratenkapitäne einmal an, die sich zum Gipfel treffen – eine Chinesin, ein Franzose, ein Singapurer, ein Inder, ein Afrikaner, ein Südamerikaner, ein Türke und Johnny Depp (und dazu noch Keith Richards als Captain Teague, der Mann, der den aus dem ersten Teil bekannten Piratenkodex verwaltet) –: ist das nicht die Multitude, wie man sie aus der Globalisierungsgegnerfolklore kennt? Die Dritte Welt zusammen mit dem alten Europa plus Rock ’n’ Roll?

Tatsächlich ist auch die Zeichensprache, die sich Regisseur Gore Verbinski und Produzent Jerry Bruckheimer für die Piraten ausgedacht haben, überzeugend den kulturellen Vorstellungen der globalisierungskritischen Bewegung angepasst: nicht ganz so hochtechnologisiert wie in „The Matrix“, wo die Widerständler ihre autonome Zone namens Zion auf dem Meeresboden haben, Dreadlocken und Tribaltattoos tragen und zu Techno tanzen. Aber fast: Die Haare waschen sich auch die Piraten nicht (außer Keira Knightley natürlich). Dafür haben sie schlechte Zähne (außer Keira Knightley und Orlando Bloom natürlich). Und das Leben in „shipwreck grove“, dem geheimen Piratenrückzugsort am Ende der Welt, findet auch im selbstgeschaffenen Bricolage-Idyll statt. Ein großer babylonischer Turm, zusammengezimmert aus alten Schiffen. Und immer ist genug Schnaps für alle da, ahoi!

„Pirates of the Caribbean – Am Ende der Welt“ R.: Gore Verbinski. Mit Johnny Depp, Keira Knightly u. a. USA 2007

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