Editorial: Hoffnungslostendenziös
Von unserer Redaktion
Hört her! Die „Bild“-Zeitung ist als schmieriges Kampagnenblatt entlarvt worden, und der Springer-Chef hat nicht mehr alle Gurken im Glas. Für sich genommen ist das in etwa so überraschend wie die Entdeckung von Steueroasen auf den Bahamas. Nichtsdestotrotz ermöglichte die „Zeit“ vergangene Woche bemerkenswerte Einblicke, als sie Auszüge aus den Privatnachrichten von Mathias Döpfner öffentlich machte. Der Milliardär an der Spitze eines Medienimperiums ekelt sich vor Ostdeutschen, verabscheut die Grünen und hält von Angela Merkel so viel wie der Teufel vom Weihwasser. Besonders erschreckend ist, wie Döpfner seine umweltpolitischen Ansichtenzusammenfasst: „Ich bin sehr für den Klimawandel. Zivilisationsphasen der Wärme waren immer erfolgreicher als solche der Kälte.“
Dass der Axel-Springer-Konzern seine Medienmachtmissbraucht, um Einfluss aufdie Politik zu nehmen, dürftehingegen kaum jemanden vomHocker gehauen haben, weiles seit Jahrzehnten schwer zu übersehen ist. Im vergangenen Februar veröffentlichte das österreichische Medienwatchblog „Kobuk“ eine Auswertung,wie die „Bild“-Zeitung überBundeswirtschaftsministerRobert Habeck (Grüne) berichtet. Von den 147 Artikeln, die zwischen 1. Juli und 31. Dezember 2022 gedruckt wurden, waren demnach 101 negativ,45 neutral und nur einer positiv. Die Bemühungen, die Tendenziösität zu überblenden,wirken überschaubar. „Andrea braucht ein Atemgerät: Herr Habeck, der Blackout bedeutet für mich den Tod!“, lautet eine Überschrift. Oder auch, mit einer Extraportion Albernheit: „Habeck, der Ampel-Grinch? Wirtschaftsminister vermiest uns Weihnachten!“
Wie Kontext-Autor Jürgen Lessat in dieser Ausgabe nachzeichnet, bringen Springer-Medien gerne auch dievergleichsweise klimafreundlichen Wärmepumpen durch pseudojournalistische Desinformation in Misskredit. Während die fossile Lobby agitiert, verzweifeln andere an der Erderhitzung – wobei sich Hoffnungslosigkeit offenbar strafmildernd auswirken kann. In Heilbronn standen erneut Aktivist:innen der Letzten Generation vor Gericht. Einer von ihnen glaubt inzwischen nicht mehr daran, dass die Blockade-Aktionen irgendwas bewirken, weil beim Klima ohnehin alles verloren sei und er nun unter Depressionen leide. Im Gegensatz zu seinen früheren Mitstreiter:innen kam er mit einer Bewährungsstrafe davon.
Nathanael Liminski und Oliver Schenk, die Medienminister von Nordrhein-Westfalen und Sachsen, beide CDU, fordern von der Bundesregierung eine Förderung für die Zustellung gedruckter Zeitungen – so wie es große Verlagshäuser schon seit Jahren tun: zu hohe Kosten für Zusteller, aktuell auch noch für Energie und Papier. Die beiden Minister befürchten „Zeitungswüsten“ und ein Nachlassender politischen Bürgerbeteiligung, einen Rückgang deröffentlichen Kontrolle unddie Radikalisierung des Diskurses. Das Forum gemeinnütziger Journalismus, vonKontext mitbegründet, findet, die Forderungen greifen zu kurz. Vielmehr wünscht sich der Zusammenschluss gemeinnütziger Medien, statt nur die Zeitungszustellung für den darbenden Print-Bereich zu subventionieren, endlich auch eine Umsetzung dessen, was im Koalitionsvertrag steht: dass Journalismus in Deutschland rechtssicher als gemeinnützig anerkannt wird.
Verhandelt wird am Wochenende wieder über die Gehälter im Öffentlichen Dienst. Der kürzlich erarbeitete Schlichterspruch für diesen Tarifkonflikt ist bekannt – in diesem Jahr Inflationsausgleich in monatlichen Tranchen, nächstes Jahr 200 Euro für jede:n plus 5,5 Prozent mehr Lohn. Unter den Arbeitgebern soll der Vorschlag für schlechte Laune gesorgt haben, weil teuer und zu viel Sozialpolitik, also relativ stärkere Erhöhung für schlecht Verdiendende. Jedenfalls diskutieren die beiden Lager dieser Tage den Spruch intern, damit ihre Verhandler:innen am Samstag/Sonntag wissen, was ihre Basis will. Für den Fall des Falles, also die Ablehnung des Schlichtungsvorschlags, bereitet Verdi sicherheitshalber die Urabstimmung für einen unbefristeten Streik vor. Dass die kommunalen Gärtner:innen, Erzieher:innen, Müllwerker streiken können, wenn sie wirklich sauer sind, haben sie ja bereits gezeigt.
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